Ein Blick auf den Facharbeitermangel
Mai 2024
Über den Fachkräftemangel und zukünftige Berufe. Aspekte einer Diskussion: Aus einem aktuellen Rechnungshofbericht. Aus einem Interview zur Sache. Von einer missverstandenen Studie. Und von einem Arbeitsforscher, der sagt: „Wir konzentrieren uns zu sehr nur auf die Jungen. Was aber ist mit den Älteren?“
Arbeitsforscher Hans Rusinek war vor wenigen Tagen in Hamburg, auf einer Fachmesse mit dem Namen „Zukunft Personal“. Dort, auf der in Deutschland führenden Veranstaltung für Personalmanagement, war Employer Branding eines der zentralen Themen. Employer Branding – auf Deutsch: Arbeitgebermarkenbildung – ist laut einer gängigen Definition „eine unternehmensstrategische Maßnahme, bei der Konzepte aus dem Marketing angewandt werden, um ein Unternehmen insgesamt als attraktiven Arbeitgeber darzustellen und von anderen Wettbewerbern im Arbeitsmarkt positiv abzuheben“. Einfacher formuliert: „Es geht um die Fachkräfte und um die Frage, wie Unternehmen Mitarbeiter gewinnen können“, sagt Rusinek, „und das ist ein Thema, das uns noch sehr lange begleiten wird. Denn der Arbeitskräftemangel ist real.“
Demografie und Migration
Erst vor wenigen Tagen, Mitte April, hatte der Rechnungshof Österreich einen Bericht zum Thema veröffentlicht, eine „Bestandsaufnahme Fachkräftemangel“. Dort heißt es einleitend, dass der Fachkräftemangel Unternehmen in ihren wirtschaftlichen Aktivitäten limitiert, damit auch die gesamtwirtschaftliche Leistungsfähigkeit einer Gesellschaft negativ beeinflusst, und daher mit volkswirtschaftlichen Kosten verbunden ist. Besserung ist nicht in Sicht, ganz im Gegenteil. Die Rechnungshof-Prüfer schreiben: „Durch das Ausscheiden der Generation der ‚Baby–Boomer‘ aus dem Berufsleben wird sich der Fachkräftemangel mittel– und längerfristig verschärfen.“
Dabei ist die Situation bereits prekär. Das lässt sich an der sogenannten Stellenandrangsziffer ablesen, die anzeigt, wie viele Arbeitslose es pro offener Stelle für einen Beruf gibt. Laut Rechnungshof kamen in Vorarlberg 2022 auf eine offene Stelle im Durchschnitt weniger als zwei beim AMS arbeitslos gemeldete Personen. In anderen Bundesländern ist die Situation noch angespannter (siehe Grafik „Stellenandrang“ auf Seite 10).
Potenziale
Die Demografie ist zwar ein Treiber des Fachkräftemangels. Doch Rusinek zufolge könnte dem mit einer anderen Migrationspolitik entgegengewirkt werden. Ihm zufolge ist die Migrationspolitik in den deutschsprachigen Ländern „übermäßig restriktiv“ und damit kontraproduktiv. Erstens tue man sich in Österreich und in Deutschland gleichermaßen schwer, ausländische Fachkräfte zu akquirieren: „Es ist schwer in Sachen Bürokratie, schwer in Sachen Attraktivität, schwer in Sachen Sprache.“ Und zweitens: „Die Arbeitsmärkte tun sich schwer, bereits vorhandenes Human-kapital zu nutzen; Migranten verrichten beispielsweise oftmals Arbeiten, für die Teile von ihnen deutlich überqualifiziert sind.“ Der Rechnungshof kommt zum selben Schluss. Die Prüfer halten fest, dass „das Arbeitskräftepotenzial von in Österreich lebenden ausländischen Staatsangehörigen teilweise nicht ausgeschöpft“ sei. Die Integration von Migranten bestimmter Herkunftsländer in den Arbeitsmarkt ist laut Rechnungshof gering. Was den Zuzug qualifizierter Kräfte aus dem Ausland betrifft, könnte die Rot-Weiß-Rot-Karte Abhilfe schaffen. Doch der Rechnungshof sieht – in einem weiteren Prüfbericht – auch dort Ausbau-Potenzial; Wirtschaft und Industrie drängen auf Verbesserungen (siehe Seite 11).
Doch könnte das im Inland vorhandene Arbeitskräftepotenzial laut den Rechnungshofprüfern nicht nur bei Migranten, sondern auch bei Frauen und älteren Personen zu einer höheren Verfügbarkeit von Fachkräften beitragen. Weitere konkrete Ansatzpunkte liegen laut Prüf-Bericht im Schul– und Ausbildungssystem, sowie in „unterstützenden arbeitspolitischen Programmen zur Aus– und Weiterbildung“.
Ein falscher Fokus?
Arbeitsforscher Rusinek spricht da salopp von „aufschlauen“ der bereits in den Unternehmen befindlichen Mitarbeiterschaft: „Im positiven Sinne gesprochen: Holen wir da auch alles heraus?“ Er habe erst vor kurzem mit einem Mitarbeiter eines Unternehmens gesprochen, in dem Angestellten ab 55 keine Entwicklungsgespräche mehr angeboten werden: „Ab diesem Alter sitzen sie dort nur noch in einer Warteschleife.“ In einer Warteschleife, an deren Ende im schlechtesten Fall die Entlassung, im besten Fall die Pensionierung steht. Rusinek sagt: „Wir kennen die demografische Entwicklung, wissen, dass es weniger Junge gibt, und konzentrieren uns trotzdem zu sehr nur auf die Jungen. Was aber ist mit den Älteren? Betreiben wir da am Ende sogar Altersdiskriminierung?“ Dieser Blickwinkel mache den Begriff des Fachkräftemangels breiter, vielschichtiger.
Auch für den Rechnungshof wäre „eine höhere Erwerbsbeteiligung von älteren Personen geeignet, dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken und gleichzeitig das Pensionssystem zu entlasten.“
Allerdings setzt der gesetzliche Rahmen laut den Prüfern „weiterhin Anreize zum vorzeitigen Ausstieg aus dem Erwerbsprozess.“ Belegt wird dieser Satz mit Daten: Die österreichweite Beschäftigungsquote der 15- bis 64-Jährigen lag im Jahr 2022 demnach bei 73,1 Prozent, jene der 60- bis 64-Jährigen nur mehr bei 30,5 Prozent.
Eine fatale Studie
Machen wir an dieser Stelle einen Exkurs? Es gibt wohl kaum eine Studie, die das öffentliche Bild der künftigen Berufswelt so geprägt hat, wie jene von Osborne und Frey. 2013 veröffentlicht, berichteten Medien seither tausende Male, dass bis spätestens 2033 laut dieser Studie 47 Prozent aller Jobs automatisiert sein werden. „Diese Studie“, sagt Arbeitsforscher Rusinek, „wurde grundsätzlich falsch verstanden.“
Denn viele, unter ihnen auch „der Philosoph Richard David Precht als einer der prominentesten Missversteher dieser Studie“, hätten daraus abgeleitet, dass damit auch 47 Prozent der Menschen ihren Job verlieren, sprich die Maschine den Menschen ersetzen wird. Rusinek zufolge war das aber nie so gemeint: „Osborne und Frey haben gesagt, dass sich in jedem Job ein gewisser Prozentsatz des Tätigkeitsprofils automatisiert. Sie haben nie gesagt, dass all diese Berufe wegfallen werden.“ Die Missinterpretation der Studie hat laut Rusinek, „immensen Schaden angerichtet, weil sie Angst gemacht hat.“ Gewisse Berufe wurden dort für nicht zukunftstauglich erklärt und das ist mit ein Grund, dass in gewissen Berufen heute Arbeitskräftemangel herrscht (siehe Grafik „Stellenmonitor“).
Das Institut der deutschen Wirtschaft hatte sich schon vor längerem über die Interpretation der Studie geärgert: „In vielen Berufen mit angeblich hoher Automatisierbarkeit suchen die Unternehmen händeringend menschliche Arbeitskräfte, mit denen sie den digitalen Wandel erfolgreich gestalten wollen.“
Und: „Auf dem Arbeitsmarkt werden viele Berufe, die in der medialen Diskussion schon als abgeschrieben gelten, ganz im Gegenteil von den Unternehmen stark nachgefragt.“
Eine Illusion
Das Versprechen, das Fachkräfteproblem durch Automatisierung technisch lösen zu können, hält Rusinek „für illusorisch“. Warum? „Weil es zum einen um Arbeit geht, die sich nicht automatisieren lässt, beispielsweise in der Pflege oder in der Gastronomie. Und weil wir zum anderen Fachkräfte brauchen, um diese Automatisierung gelingend zu machen.“
Etwa den Mechatroniker. Der war im Zuge der Osborne-Frey-Studie bereits für obsolet erklärt worden. Dabei ist das Gegenteil der Fall. Auf der Homepage von Stepstone Österreich, einer der führenden Online-Jobbörsen, findet sich ein Interview mit Franz Kühmayer. Der renommierte Vordenker der neuen Arbeitswelt sagt dort: „Gerade im technischen Bereich sind Mechatroniker weiterhin stark nachgefragt.“ Und in einer Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft steht der Satz: „Es gibt keine Industrie 4.0 ohne den Mechatroniker.“
Aber fraglos: In vielen Berufen haben sich die Tätigkeitsprofile mittlerweile durch Automatisierung verändert, zum Teil auch radikal, wie Rusinek erklärt.
Was also werden die nachgefragten Fachkräfte in der Zukunft sein? Und welches sind damit auch die Berufe der Zukunft? Kühmayer sagt im Stepstone-Interview, dass sich der Jobmarkt für Spezialisten rasant weiterentwickeln wird, und es dort entscheidend sein wird, seine Kenntnisse laufend zu vertiefen: „Abgesehen davon bieten allgemein akademische Ausbildungen, die ein breites Verständnis von Feldern bieten und damit Flexibilität, die besten Voraussetzungen für die Berufe der Zukunft.“ Ihm zufolge wird technische Grundkompetenz in allen Berufen relevant sein, wobei jene Berufe eine Zukunftsperspektive haben, „die über Routinetätigkeiten hinausgehen“.
Rusinek zufolge werden künftig jene am Arbeitsmarkt gesucht sein, „welche die Automatisierung machen“. Auch Mathematikern, Physikern, generell jenen, die in der Lage seien, sich in abstrakte Sprachen und Systeme einzudenken, gehöre die Zukunft. Doch auch Berufe abseits der Technologie werden gefragt sein: „Jene Berufe sind zukunftssicher, in denen wir ständig dazulernen, in denen Anpassungsfähigkeit ermöglicht wird, in denen aber auch die Arbeit einen starken menschlichen Kopierschutz hat“. Beispiele? „Die Pädagogik. Die Pflege. Das Handwerk.“ Warum das Handwerk? „Weil sich dort nur wenig automatisieren lässt, und weil sich die Menschen angesichts zunehmender Digitalisierung auch immer stärker nach sinnlicher Arbeit sehnen werden.“
Derweil suchen die Unternehmen nach Fachkräften, setzen dabei auch auf das eingangs erwähnte Employer Branding. Der deutsche Volkswirtschaftler Alexander Burstedde hatte 2020 in einem „Thema Vorarlberg“-Interview gesagt: „Ich mache mir keine Sorgen, dass wir keine Jobs mehr haben werden. Ich mache mir eher Sorgen, dass wir in zehn Jahren einen noch größeren Fachkräftemangel haben werden, weil es immer weniger Menschen im erwerbsfähigen Alter gibt. Die Demografie wird zunächst mehr Wandel bringen als die Digitalisierung.“ Heute zeigt sich: Der Volkswirt hatte recht mit seiner Prognose. Der österreichische Wirtschaftsbund veröffentlicht regelmäßig einen Stellenmonitor, zu dessen Erstellung ein IT-Unternehmen Online-Stellenausschreibungen zählt, kategorisiert und auswertet. Die zuletzt im Februar veröffentlichten Daten wiesen für Vorarlberg 7200 offene Stellen aus.
Die Fachkräftestrategie der Wirtschaftskammer Vorarlberg
Mit einer Fachkräfteoffensive, die auch kurzfristig wirkt, etwa durch die überregionale Vermittlung vakanter Positionen, will die Wirtschaftskammer Vorarlberg die hiesigen Unternehmen bestmöglich unterstützen. Zur Sicherung von Fachkräften in allen Bereichen und Branchen wurde deshalb ein Maßnahmenpaket ausgearbeitet, das – gebündelt unter dem Begriff „Fachkräftestrategie“ –, Maßnahmen und Strategien enthält, um dem akuten Mangel an Fachpersonal entgegenzuwirken. Kräfte bündeln lautet das Credo. Die Strategie soll durch Pilotprojekte, Serviceleistungen und gezielte Maßnahmen Entlastungen für die Unternehmerschaft im Land bringen. Sie umfasst die folgenden sechs Bereiche:
1. Lehrlingsausbildung: Unternehmen, die selbst ausbilden, sichern sich ihre Fachkräfte von morgen. Die WKV unterstützt mit zahlreichen Initiativen.
2. Qualifizierung eigener Mitarbeiter: Durch gezielte Aus- und Weiterbildung wird das nötige Know-how in Unternehmen gesichert.
3. Betriebliche Gesundheitsförderung: Mitarbeiter, die sich wohl fühlen und gesund sind, sind auch leistungsfähiger.
4. Familie und Beruf: Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist ein wichtiges Asset für Mitarbeitende.
5. Arbeitskräfte finden, fördern und entwickeln: Die WKV und das AMS bietenUnterstützungen bei der Suche und Rekrutierung von Mitarbeitern und bieten zudem diverse Fördermodelle.
6. Gewinnung und Bindung von internationalen Fachkräften: Die WKV unterstützt bei der Rekrutierung von internationalem Fachpersonal.
Um den wirtschaftlichen Erfolg der heimischen Unternehmen zu unterstützen, braucht es viele Ansätze: Investitionsanreize schaffen, Körperschaftssteuer senken, den Faktor Arbeit entlasten.
Informationen unter
wkv.at/fachkraeftestrategie
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