Franz Schellhorn

(* 26. Mai 1969 in Salzburg) ist ein österreichischer Wirtschaftsjournalist und leitet die Denkfabrik Agenda Austria.

(Foto: © Agenda Austria)

Ein Land meldet sich ab

Juni 2015

Österreich hat seinen Vorsprung als wirtschaftliches Erfolgsmodell verspielt. Was ist passiert?

Vor nicht allzu langer Zeit waren in einem deutschen Nachrichtenmagazin folgende Zeilen zu lesen: „Während in Deutschland der Frust grassiert, Neid zur neuen Nationaltugend heranwächst, die Arbeitslosigkeit steigt, geht es in der Alpenrepublik voran.“ Mit guter Stimmung, mehr Wirtschaftswachstum und jeder Menge Jobs hätten die „ewig rückständigen“ Österreicher die Deutschen überflügelt. Es war im Juni 2005, als der „Stern“ Österreich kurzerhand zum „besseren Deutschland“ kürte. Das mag auch an der damaligen Schwäche Deutschlands gelegen haben, freute aber das ganze Land. Zehn Jahre später zählt Österreich zu den wachstumsschwächsten Volkswirtschaften Europas. Die Arbeitslosigkeit ist so hoch wie zuletzt 1953, Frust und Neid haben beste Chancen, sich zu den ganz großen Wachstumsbranchen zu entwickeln. Auffallend ist, dass Österreich nicht nur gegenüber Deutschland an Boden verliert, sondern auch gegenüber fast allen anderen EU-Ländern.

Wie ist dieser Absturz in so kurzer Zeit möglich? Derzeit wachsen jene Volkswirtschaften auffallend stark, die sich in der jüngeren Vergangenheit zu Reformen durchringen konnten – wie Irland, Spanien, Portugal, aber auch Schweden und eben Deutschland. Am unteren Ende der Wachstumstabelle tummeln sich Volkswirtschaften, deren politische Führung seit Jahren versucht, die Wirtschaft mit hohen Staatsausgaben in Schwung zu bringen – etwa Frankreich, Italien und Österreich. Höhere Staatsausgaben zur Konjunkturbelebung landen eben oft nicht dort, wo sie hingehören, sondern meist bei politisch gut vernetzten Lobbying-Gruppen und personalintensiven Branchen, die selten zu den produktivsten zählen.

Regierungen hingegen, die unpopuläre Reformen umsetzen, werden selten geliebt, sorgen aber für Zuversicht. Den Bürgern wird signalisiert, dass die Staatsführung Probleme erkennt und zu lösen bereit ist. Dieses in Österreich aus der Mode gekommene Phänomen läuft unter dem Begriff „politisches Leadership“. Dies zeigte die deutsche Regierung, indem sie mitten in der Krise den Staatshaushalt über gebremste öffentliche Ausgaben sanierte. Dieses Agenda-2010-Programm wurde von lauten Buhrufen renommierter Ökonomen begleitet, die aber offensichtlich falsch lagen: Die deutsche Wirtschaft brummt trotz staatlicher Sparprogramme, und das Land weist tatsächliche Budgetüberschüsse aus. So wissen die Bürger, dass die Regierung mit dem eingenommenen Geld auskommt und sie nicht mit neuen Belastungen zu rechnen haben. Das ist ein gutes Fundament für wirtschaftliche Dynamik, weil sich niemand für härtere Zeiten wappnen muss.

Natürlich ist dem deutschen Finanzminister Wolfgang Schäuble die Gratisgeldpolitik der EZB zu Hilfe gekommen – aber nicht nur ihm, sondern auch seinem österreichischen Amtskollegen. Deutschland nutzte die niedrigen Zinsen zum Abbau der öffentlichen Kosten, Österreich zur Ausweitung der Staatsausgaben. Während der deutsche Nachbar heute darüber brütet, ob die erzielten Haushaltsüberschüsse für Investitionen in die Infrastruktur, den Schuldenabbau oder für Steuersenkungen verwendet werden, verteilt Österreichs Regierung Gratiszahnspangen und ruft nach neuen Konjunkturprogrammen. Könnte der Staat Konjunktur produzieren, würden heute Frankreich und Österreich als Wachstumslokomotiven gefeiert und nicht Deutschland.

Klar, Deutschland ist es seit Ausbruch der Krise deutlich besser gelungen, neue Märkte außerhalb Europas zu erschließen. Und ja, Österreich ist von den Nachfragerückgängen aus Russland, der Türkei und osteuropäischen Staaten hart getroffen. Aber das erklärt nicht, dass das Land an Terrain verliert. Die Menschen spüren, dass das Modell Österreich ins Rutschen geraten ist. Sie haben Angst vor einem wirtschaftlichen Abstieg, der längst begonnen hat. Das ist auch der Grund dafür, dass trotz des vielen Gratisgeldes nicht auf Teufel komm raus konsumiert und investiert wird. Es ist vermutlich so wie mit einem Hotel, das vor Jahren das erste Haus am Platz war, aber mittlerweile etwas verstaubt ist. Man fährt zwar noch hin, aber eben nicht mehr so oft. Sondern sieht sich auch andernorts um. In jenen Häusern, die sich dauerhaft erneuern.

Schade eigentlich. Denn wer in Österreich der sogenannten Nachkriegsgeneration angehört, weiß, wie sehr sich dieses Land zum Guten verändert hat. Erst durch den sagenhaften Aufstieg wird klar, was die politische Führung Österreichs durch ihr konsequentes Zaudern aufs Spiel zu setzen bereit ist: all das, was die Bürger in den vergangenen 70 Jahren mit Fleiß und Einsatz erreicht haben. Dabei wissen sie, dass der Wohlstand weder auf den Bäumen wächst noch in den Kellern der Notenbank abzuholen ist. Und ja, die Bevölkerung sehnt sich nach Sicherheit, aber auch nach Zuversicht. Allein, wenn die Regierung nur einmal damit begänne, den Reformstau aufzulösen, würde die über Österreich hängende bleierne Stimmung einer Aufbruchsstimmung weichen. An Gelegenheiten mangelt es nicht – von der Absicherung des öffentlichen Pensionssystems über die Sanierung des chronisch defizitären Staatshaushalts und die Absenkung zu hoher Arbeitskosten bis zu einem Umbau des ungenügenden Bildungssystems.

Die Alternative zu diesen Reformen heißt übrigens nicht Stabilität. Sondern Griechenland. Und das kann sich niemand in diesem Land ernsthaft wünschen.

Der Artikel ist in der Wochen­zeitung „DIE ZEIT“ Nº 20/2015 erschienen. Nachdruck mit freundlicher Genehmigung.

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