Andreas Dünser

Chefredakteur "thema vorarlberg" (andreas.duenser@themavorarlberg.at)

„Es darf keinen zweiten Lockdown geben!“

Juni 2020

Landesrat Marco Tittler (43) sagt, dass die differenzierte und exportorientierte Ausrichtung der Vorarlberger Wirtschaft dem Land helfen wird. Von der Grenzöffnung erwartet sich Tittler viel – Sorgen bereitet ihm allerdings eine bestimmte krisenbedingte Eigenheit am Arbeitsmarkt.

Herr Landesrat, wie schwer hat die Pandemie die Vorarlberger Wirtschaft getroffen? 

Die Pandemie hat uns in einer noch nicht absehbaren, noch nie dagewesenen und daher auch nicht vergleichbaren Art und Weise getroffen. Klar ist nur, dass der Einbruch dramatisch sein wird. Die Prognosen gehen weit auseinander, und reichen dabei bis zu einem doppelt so starken Einbruch wie bei der Finanz- und Wirtschaftskrise ab 2008. Und es ist nicht abschätzbar, wie sich das mittel- und längerfristig auswirken wird.

Und wie lange werden wir getroffen sein? Was sagen Wirtschaftsforscher?

Auch da gehen die Prognosen weit auseinander. Im günstigsten Fall wird man Ende des heurigen Jahres eine Erholung sehen und ein größeres Wirtschaftswachstum dann 2021. Aber auch diese Frage ist schwierig zu beantworten. Im Unterschied zur Krise 2008 ist heute die gesamte Wirtschaft unmittelbar getroffen, lokal und global. Der Exportstandort Vorarlberg ist stark davon abhängig, wie schnell sich die Weltmärkte wieder erholen. Wobei glücklicherweise ja zumindest der asiatische Markt wieder einigermaßen funktioniert, zu einem großen Teil jedenfalls. Und das hilft uns bereits in dieser schwierigen Zeit.

Wenn es also im Herbst zu einer zweiten Welle kommen sollte, was ist dann? Experten sagen, dass ein zweiter Lockdown für viele Unternehmen nicht zu verkraften wäre.

In der ersten Phase ist es darum gegangen, eine akute Gefahr zu bekämpfen. Jetzt sind wir in der Erarbeitung eines Impuls- und Konjunkturprogrammes, um die Wirtschaft in ihrem Hochfahren zu unterstützen. Und da wird eine der notwendigen flankierenden Maßnahmen eine Test-Strategie für die Wirtschaft sein. Sollte es zu einer zweiten Welle kommen, müssen wir die Kapazitäten haben, um potentiell schnellstmöglich abzusondern und zu testen und somit Betriebe offenhalten zu können. Es darf keinen zweiten Lockdown geben! 

Es mehren sich die Stimmen, gerade aus der Wirtschaft, die sagen, der Lockdown sei überzogen und so nicht notwendig gewesen. 

Jetzt geht es darum, die Wirtschaft beim Hochfahren zu unterstützen. Aber zum damaligen Zeitpunkt, mit dem damaligen Wissen, war der Lockdown der einzig richtige Weg. Die Gesundheit der Menschen war derart gefährdet, dass dem alles untergeordnet werden musste. Wir haben in Norditalien gesehen, welche Folgen Corona haben kann. 

Der Landeshauptmann und Sie hatten mit den Branchenvertretungen der Wirtschaftskammer Gespräche geführt. Man wisse nun sehr genau, was von Landesseite erwartet wird, hieß es anschließend. Was ist Stand der Dinge?

Stand der Dinge ist, dass die Ergebnisse dieser Gespräche in das Impuls- und Konjunkturprogramm einfließen werden. Wir werden in einer Regierungsklausur* demnächst konkretisieren, welche Projekte Wertschöpfungseffekte und Beschäftigungseffekte bringen. Für bestimmte Branchen, die besonders hart getroffen sind und wahrscheinlich auch in absehbarer Zeit betroffen sein werden, sind Sonderprogramme in Ausarbeitung. Die Unterstützung für Hotellerie und Gastronomie ist ja bereits fixiert. Betreffende Unternehmen bekommen eine Investitionsprämie im Ausmaß von sechs Prozent vom letztjährigen Umsatz der Monate März, April, Mai. Das Land schießt diese Investitionsprämie zu, damit die Unternehmen Betriebsmittel anschaffen, regionale Lebensmittel kaufen, Kunden ansprechen oder die Digitalisierung vorantreiben können. Dieser Zuschuss muss zweckkonform eingesetzt werden, das Land behält es sich vor, die Verwendung zu prüfen. 

 

Wir müssen jetzt schauen, dass junge Leute trotz unsicherer Situation in Ausbildung kommen.

Die Arbeitslosigkeit in Vorarlberg ist auf einem historischen Höchststand, wie kann, wie will man denn da überhaupt eine Trendwende erreichen?

Der Arbeitsmarkt in Vorarlberg hatte zum Beginn der Krise kein großes strukturelles Problem. Wenn die Grenzen wieder offen sind, kommen Kunden, die Hotellerie, Gastronomie, Handel und Dienstleistungsbranchen entlasten werden. Etwas mehr Kopfzerbrechen bereitet die Tatsache, dass nach Krisen stets auch die Sockelarbeitslosigkeit höher war, weil es in Krisen immer auch zu Verwerfungen und zu Verschiebungen kommt. Da werden dann bestimmte Fähigkeiten stärker nachgefragt, andere Fähigkeiten dagegen weniger oder unter Umständen gar nicht mehr. Es ist zum jetzigen Zeitpunkt nur sehr schwer abschätzbar, welche Herausforderungen da auf uns zukommen werden. Aber eines ist klar: Die krisenbedingte Arbeitslosigkeit darf sich nicht dauerhaft verfestigen, vor allem nicht in dieser Höhe. Deswegen müssen wir jetzt schauen, dass junge Leute trotz unsicherer Situation in Ausbildung kommen; dass Personen, die sich weiterqualifizieren wollen, ein Angebot bekommen – und dass es auch am zweiten Arbeitsmarkt ausreichend Kapazitäten gibt, um Personen aufzunehmen. Um sie dann, wenn die Wirtschaft hochfährt, schnellstmöglich wieder in den Arbeitsmarkt bringen zu können.

Die Pandemie hat uns Abhängigkeiten von internationalen Märkten vor Augen geführt. 

Im ersten Moment wäre man dazu geneigt, zu sagen, dass diese Abhängigkeiten ein großes Problem sind. Ich rate aber dringend dazu, das differenzierter zu sehen: Man muss prüfen, wie Lieferketten gestärkt werden können, man hat sich zu fragen, ob regional bestimmte Produktionen zurückgeholt oder Produktionsketten geschlossen werden müssen. Aber ich bin überzeugt davon, dass man rückblickend eines feststellen wird: Dass Vorarlberg vor allem dank der internationalen Verflechtung besser durch die Krise gekommen ist als andere Regionen. Ich möchte mir nicht ausmalen, wie sich die Situation darstellen würde, wäre die gesamte Vorarlberger Wirtschaft ausschließlich auf den Heimatmarkt konzentriert. Dann würde uns diese Krise noch viel stärker treffen. Diese differenzierte, breite und exportorientierte Ausrichtung der Vorarl­berger Wirtschaft wird uns helfen.

Was macht Ihnen Mut? Bleiben Sie Optimist?

Das war ich von Anfang an, obwohl das zugebenermaßen zeitweilig recht schwierig war. Mut macht mir, dass sich die Betriebe sehr kämpferisch geben und das Positive suchen und sehen, auch wenn alles nur schrittweise erfolgt. Von der Grenzöffnung erhoffe ich mir, dass sie einen Schub bringen wird. Und dass sich Politik, Unternehmer und Interessensvertreter gemeinsam dafür einsetzen, dass wir da möglichst positiv durchkommen, auch das macht mir Mut.

Vielen Dank für das Gespräch!

* Die von Landesrat Tittler angesprochene Regierungsklausur war terminlich zwei Tage nach Redaktionsschluss dieses Magazins angesetzt.

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