Helmut Kramer †

(*1939 in Bregenz, † 2023 in Wien)  war von 1981 bis 2005 Leiter des Österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung, ab 1990 Honorar­professor an der Universität Wien, 2005 bis 2007 Rektor der Donau-­Universität Krems.
Foto: Robert Newald

 

Generationenbewusstes Management

Mai 2015

Sechzig Jahre nach dem Beginn des Baby-Booms der Nachkriegszeit hat er nun bedenkliche Echo-Effekte: Starke Jahrgänge haben das Ruhestandsalter erreicht, und diese Situation wird noch zumindest 20 Jahre anhalten. Die Volkswirtschaft muss eine kaum je beobachtete demografische Schwelle überwinden. An sich aus erfreulichen Gründen: Mehr Menschen erreichen ein höheres Lebensalter und, ähnlich, mehr Menschen bleiben länger gesund und leistungsfähig. Eigentlich wächst das menschliche Potenzial: mehr Jahre, mehr Möglichkeiten eines sinnerfüllten Lebens.

Das Ganze hat eine wirtschaftliche Kehrseite. Die Zahl derjenigen, die mit ihren Einkommen und ihren Produkten und Dienstleistungen die Volkswirtschaft tragen, wird bestenfalls stagnieren, eher sogar zurückgehen. Die Zahl jener, die von deren Einkommen mitfinanziert werden und die nicht mehr selbst produktiv sind, sondern die von Jüngeren produzierten Güter konsumieren, wird stark ansteigen.

Über die volkswirtschaftlichen Effekte dieser Perspektive wird seit dreißig Jahren mehr diskutiert als vorausschauend geplant. Zunächst war das eine ferne und ungewisse Perspektive. „Wir werden diesen Fluss überschreiten, wenn wir an seinem Ufer stehen“, ließ mich ein oberstes Haupt der Sozialversicherung damals wissen. Antwort des Professors: „Dann könnte es zu spät sein. So starke Umwälzungen verlangen ausreichende Vorlaufzeiten. Sonst werden sie nicht akzeptiert und die Anpassungen werden schmerzhaft erzwungen.“ Nun ist die ferne Perspektive Wirklichkeit geworden. Nicht, dass die Regierung keine Vorkehrungen getroffen hätte, doch zögerlich – zwei Schritte vor, ein bis drei Schritte zurück. Die große Aufgabe steht uns noch bevor – und sie wird jetzt schwieriger und fühlbarer. Das Ergebnis wird suboptimal sein, im besten Fall.

Die politische Aufgabe und die unvermeidliche Unsicherheit über die Zukunft sind so groß, dass ihnen viele Politiker mit schönen Worten unauffällig aus dem Weg gehen möchten. Einen Dank können sie nicht erwarten, buchstäblich, weil sie das Jahr 2035 ohnehin nicht im Amt erleben werden.

Ich neigte manchmal zur Annahme, die politische Aufgabe, die Herausforderung der Alterung zu bestehen, sei schwieriger als die der Wirtschaft. Ich traute den Unternehmen ohne Weiteres zu, sich einerseits auf stagnierenden Baby-Bedarf einzustellen und andererseits die Kapazitäten für bequeme Opa-Sessel hochzufahren und vielfältige Produkte und Dienstleistungen zu entwickeln, die der wachsenden Nachfrage der älteren Generation und der Hochbetagten entsprechen, darunter auch Technologien und Dienste, die es bei abnehmender Rüstigkeit erleichtern, in der eigenen Wohnung auch ohne fremde Hilfe zurechtzukommen, mit der Umgebung verbunden zu bleiben und am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. Ganz klar: Umbau und Anpassung von Wohnungen und Eigenheimen an die Bedürfnisse von schon ein wenig Behinderten – Stichworte: barrierefrei, Sanitärräume, Treppenlift, computerisierter Notruf, Schneeräumung, Oldie-Handy, Zustellung von Einkäufen, Paketdienste ohne Deponierung bei der Post … – sind schon und werden noch stärker boomende Wirtschaftszweige. Eine „silberne Wirtschaft“ verspricht einen Ausgleich für den zur Stagnation tendierenden Jugendbedarf.

Auf Jugend haben allerdings bisher die meisten PR-Strategien gesetzt. Ganz ehrlich: Auch ich möchte nicht als älterer oder gar alter Mensch angesprochen werden, aber wenn man mich als „junger Mann“ oder als Techno-Freak adressiert, glaub’ ich es doch nicht mehr. Ich halte nichts von anti-ageing, weil das eine Illusion ist, sehr wohl aber etwas von active ageing.

Eine alternde Gesellschaft stellt auch die Unternehmensführung nicht nur vor die Aufgaben, Leistungsschwerpunkte und Psychologie der PR zu überprüfen. Eine Reihe entscheidender Aufgaben steht an. Zunächst auf der Ebene des Chefs oder der Chefin selbst: Wie steht’s um Stellvertreter-Regelungen, wenn mit zunehmendem Alter gesundheitliche Ausfälle zunehmen? Wie ist die Nachfolge geregelt oder zumindest geplant? Das spielt sich zwar nicht vor den Augen der Außenwelt ab wie im Fall Volkswagen, aber es gilt ganz besonders für den klassischen mittelständischen Klein- und Mittelbetrieb. Und das muss unter Umständen schon ziemlich lange vor dem errechneten Zeitpunkt angelegt sein.

Und dann geht es um die Altersstruktur der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter: Wie sieht die optimale Altersstruktur des Unternehmens aus? Was kann man daran ändern, was nicht? Gibt es betriebliche Erfahrungen über den Einfluss des Lebensalters auf die Leistungsfähigkeit, über typische Merkmale von unterschiedlich alten Generationen? Wo gehen unter Umständen sehr kostspieliges Know-how, wertvolle Netzwerke und Kundenbeziehungen verloren? Wie steht es um die Motivation der Führungskräfte auf der zweiten Stufe, die unter Umständen mit 40 oder 45 Jahren die höchste für sie infrage kommende Stufe der Karriereleiter erreicht haben? Gäbe es Aufgaben für sie, die sie motivieren und Frustration verhindern?

Die unterschiedlichen Altersstufen zeigen generell unterschiedliche Stärken und Schwächen. Die Jungen sind (hoffentlich!) schon besser ausgebildet, als es die Älteren damals waren. Und sie haben neue Ideen. In einem dem scharfen Wettbewerb ausgesetzten Unternehmen müssen alle dort eingesetzt sein, wo sie ihre Potenziale voll ausnutzen. Daher schadet es nicht, zu fragen: Bist du zufrieden mit dem, was du machst, oder hast du dir überlegt, was du lieber und besser machen würdest?

Die Älteren müssen dafür gewonnen werden, ihre Erfahrungen, ihre Routine und ihre Netzwerke mit den Jüngeren zu teilen: Interne Kommunikation zwischen den Altersstufen wird noch wichtiger, und generationenbewusstes Management. Dazu kommt, dass den unterschiedlichen Geburts-„Kohorten“ (sagen die Demografen) unterschiedliche soziale Prägungen (sagen die Soziologen) zugeschrieben werden: Die Baby-Boomer seien im Allgemeinen pflichtbewusst, fleißig und können sich in Teams einordnen. Das sei bei deren Kindern schon anders: Die „Generation X“, die zahlenmäßig weit schwächeren Geburtsjahrgänge von etwa 1970 bis Anfang der Neunzigerjahre, sind eher Individualisten, suchen Selbstverwirklichung, aber auch Selbstverantwortung, fragen nach Work-Life-Balance. Sie hatten noch kein Notebook in der Wiege, haben aber keine Mühe mit dem Internet und mit Excel. Und schließlich die noch etwas schwächer besetzte „Generation Y“ oder „Generation Millennium“ – die jüngsten Neuzugänge, allesamt „Digital Natives“: Wenn sie nicht an ihrem universalen Lebensgerät, dem Smartphone, hängen, dann suchen sie inhaltlichen Sinn in der Arbeit und Mitsprache.

Klischees? Ja, vielleicht. Nicht weil im Ländle ohnehin alles anders ist, sondern weil es natürlich auf die speziellen Gegebenheiten jedes Unternehmens ankommt. Aber erhöhte Aufmerksamkeit für den Generationenwandel empfiehlt sich auch in Vorarlberg.

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