Andreas Dünser

Chefredakteur "thema vorarlberg" (andreas.duenser@themavorarlberg.at)

In gewisser Weise ein Widerspruch zur Tradition

Februar 2019

Was macht die Vorarlberger Handwerkskunst aus? 

Wir haben uns in manchen Bereichen, vor allem im Schreinerhandwerk, bestimmte Nischen erhalten, die in anderen Regionen von der Industrie übernommen worden sind. Bei uns wird immer noch in relativ kleinen Betrieben gefertigt, das Handwerk praktiziert in einer kleinen Struktur. Das Qualitätsbewusstsein ist hoch, die Sachen werden maßgeschneidert, das wird von Planern, von Bauherren, von Kunden gleichermaßen geschätzt.

Woher kommt dieses Qualitätsbewusstsein?

Diese Frage ist schwer zu beantworten. Ich würde sagen: Man praktiziert es einfach. Das mag mit den übersichtlichen Strukturen in unserem Land zu tun haben, das mag auch mit der Tatsache zu tun haben, dass das Handwerk bei uns einen relativ hohen Stellenwert hat. Es mag auch damit zu tun haben, dass in Vorarlberg andere Erwerbsformen erst relativ spät möglich geworden sind. Es gibt bei uns keine größeren Städte, es gab also kein klassisches Bürgertum in diesem Sinne, dafür aber eine hohe Dichte kleiner und landwirtschaftlicher Betriebe, die auch im Nebenerwerb handwerklich tätig waren. Und das waren – und sind auch heute noch – Systeme, die von Arbeitszeitregelungen losgelöst sind. Das sind Systeme, die selbstständiges Arbeiten und Eigenverantwortlichkeit gefördert haben. Und gerade diese Eigenverantwortlichkeit zeichnet das Handwerk bei uns aus. Während in anderen Regionen mehr über die Arbeit als solches geredet wird, kommunizieren Handwerker bei uns über ihre Arbeit. Wobei Handwerk auch erklärt werden muss ...

Wie ist das gemeint?

Gutes Handwerk ist nicht zwangsläufig sichtbar. Viele Produkte unterscheiden sich auf den ersten Blick oft nicht von Industrieprodukten. Die meisten Menschen werden zwischen einem handwerklich und einem industriell gefertigten Stuhl kaum Unterschiede erkennen. Also muss man die Geschichte erklären, die hinter einem Handwerksprodukt steckt. Erst dann erkennt der Kunde, was das Handwerk ausmacht, er sieht die Details, etwa die lange Haltbarkeit, das Material. In der Dienstleistungsgesellschaft ist dieses Erklären der versteckten Qualitäten, die wesentlich für das Handwerk sind, sehr wichtig geworden.

Welche Rolle spielt Tradition im Vorarlberger Handwerk?

Tradition spielt im Handwerk grundsätzlich eine Rolle, keine Frage, bei uns allerdings in geringerem Ausmaß als anderswo – weil wir nicht an den traditionellen Formen festgehalten haben. Ich würde vielmehr sagen, dass wir in Vorarlberg traditionelle Bearbeitungsformen in eine neue Zeit geführt haben und Materialien verwenden, die dem heutigen Zeitgeist entsprechen, Holz oder Lehm beispielsweise. Tradiertes wird neu umgesetzt und das ist etwas ganz Wesentliches: Während Tradition in anderen Regionen eher einen musealen Charakter hat, lassen wir Tradition in unser tägliches Wirtschaften einfließen. Wobei man nicht vergessen darf, dass auch ganz viele Gewerke verschwunden sind, all die Tätigkeiten, die mit der Gebrauchsgüter-Produktion zu tun hatten, die Korbflechter, Küfer, Kupferschmiede, Keramiker, sie fielen dem Weltmarkt zum Opfer.

Und heute? In Zeiten der Globalisierung scheinen sich die Menschen wieder mehr für Handwerks-Produkte begeistern zu können. 

Ich glaube, dass das mit dem grundsätzlichen Bedürfnis zusammenhängt, verstehen zu wollen, wie Dinge gemacht sind und wie sie funktionieren. Denn die digitale Welt versteht man nicht mehr. Wer weiß schon wirklich, wie ein iPhone funktioniert? Aber zu entdecken, wie ein bestimmtes Holz in eine bestimmte Form gebracht wird oder zu verstehen, wie ein Schmied Metall bearbeitet, das ist etwas anderes; ich denke, das hat mit der natürlichen Neugierde des Menschen zu tun. Das ist eine Sehnsucht ...

Nach dem Wissen der Hände …

Das Wissen der Hände! Dieses Wissen, dieses Sensorium, das kann über herkömmliche Wege nicht vermittelt werden, weder über Bücher noch über Filme. Es braucht lange, bis man es hat, es ist ein Gefühl, eine Haltung, die ein Handwerker hat. Es ist das Verstehen von Wissen, es ist die Umsetzung und Anwendung von Wissen, es kommt durch Übung, immer und immer wieder. Und es ist ein materialspezifisches Wissen. Wenn jemand weiß, wie er Holz zu hobeln hat, kann er deswegen noch lange nicht mit einem Stein umgehen …

Sie sagten in einem Interview, dass das Handwerk seine Spezialposition finden müsse. 

Der Handwerker muss sich bewusst werden, was er alles kann, er darf nicht zu viel irgendwelchen Trends nachrennen. Ein Handwerker kann mit seinem Werkzeug eine Küche bauen, eine Kunstinstallation errichten, kann einen Ski bauen oder einen Rodel; er wird nur nicht wahnsinnig effizient sein, wenn er alles parallel macht. Der Handwerker muss sich auf das konzentrieren, was ihm liegt, er hat das Potenzial, Neues zu kreieren, aber er wird Nischenprodukte und einen Nischenmarkt brauchen. Es geht also um Spezialisierung. Und das ist auf eine gewisse Weise auch ein Widerspruch zur Tradition, die ja davon ausgeht, dass bewährte Formen weitergegeben werden müssen, weil man das immer schon so gemacht hat. Dabei ist Handwerk ja grundsätzlich extrem flexibel, um mit altem Wissen auch neue Wege beschreiten zu können.

Soziologe Richard Sennett sagt, dass handwerkliche Fähigkeiten auf ein „dauerhaftes menschliches Grundbestreben verweisen: den Wunsch, eine Arbeit um ihrer selbst willen gut zu machen“.

Das ist aus Sennetts „Craftsman“, oder? Unterschreib ich sofort, die Aussage. Ein guter Handwerker ist von seiner Idee, seiner Arbeit nahezu besessen, er will seine Arbeit gut machen; damit es ein schönes Möbel wird, ein gutes Werkstück, eine schöne Stiege oder was auch immer. Er ist dem Werk, das er macht, fast mehr verpflichtet als sich selber oder einem Kunden. Wenn das Werk an sich stimmig ist, dann ist der Auftrag erfüllt. Es ist faszinierend, wenn man die Sachen sieht, die Gestalt angenommen haben – und es ist noch faszinierender zu sehen, dass die verwirklichten Vorstellungen von den Menschen auch geschätzt und lange genutzt werden. 

Vielen Dank für das Gespräch! 

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