Peter Klimek

ist Komplexitätsforscher und Direktor des weltweit führenden Supply Chain Intelligence Institute Austria (ASCII), wo er datenbasierte Ansätze zur Analyse globaler Lieferketten entwickelt. In seiner Rolle stärkt er mit wissenschaftlicher Expertise die Resilienz und Nachhaltigkeit von Produktions- und Versorgungsnetzwerken. © Eugénie Sophie 

 

Kritisch und unterschätzt

Oktober 2025

Eine neue Studie zeigt, wie bislang unterschätzte, verborgene Abhängigkeiten bei seltenen Erden Österreichs Schlüssel­industrien bedrohen. China kontrolliert 91 Prozent der weltweiten Verarbeitung seltener Erden. Ohne alternative Bezugs­quellen und eigene Verarbeitungskapazitäten drohen systemische Ausfälle entlang der Lieferketten.

Die Versorgungslage bei seltenen Erden wird für Europa und Österreich aufgrund der starken Abhängigkeit von China zunehmend kritisch. Eine neue Studie des Supply Chain Intelligence Institute Austria (ASCII) zeigt verborgene Abhängigkeiten entlang der Lieferketten von seltenen Erden auf: Die Versorgung mit seltenen Erden ist nicht nur bei den Rohstoffen selbst, sondern vor allem bei kritischen Zwischenprodukten wie Magneten gefährdet, für die seltene Erden verarbeitet werden müssen. Diese Produkte sind essenziell für Zukunftstechnologien wie E-Mobilität, Windkraft und Hightech-Elektronik – ihre Verarbeitung wird jedoch fast vollständig – zu 91 Prozent – von China kontrolliert.
Laut Studie birgt diese Abhängigkeit bislang unterschätzte Risiken: Schon geringe geopolitische Spannungen, Exportstopps oder logistische Engpässe können Lieferketten unterbrechen und ganze Produktionsausfälle auslösen. Die Studie analysiert globale Handelsnetzwerke rund um 168 rare-earth-bezogene Produktgruppen in 170 Ländern von 2007 bis 2023 und zeigt dabei bislang übersehene systemische Risiken entlang der gesamten Wertschöpfungskette auf, vom Rohstoffabbau bis zur Produktion, die herkömmliche Kennzahlen oft nicht erfassen. 
Viele Industrienationen wie Europa und die USA sind stark von wenigen Lieferländern für kritische Vorprodukte auf Basis seltener Erden abhängig und verfügen kaum über eigene Verarbeitungskapazitäten. Diese strukturelle Abhängigkeit birgt massive systemische Risiken: Bereits kleine Störungen in den mittleren Verarbeitungsstufen können ganze Produktionslinien lahmlegen. Ohne gezielte Investitionen in eigene Verarbeitungskapazitäten, strategische Partnerschaften und eine Diversifizierung der Bezugsquellen droht langfristig der Verlust technologischer Souveränität und der Zugang zu Zukunftsmärkten.
 
Verborgene Abhängigkeiten
Zwischen 2007 und 2023 haben sich die Risiken für Handelsengpässe bei seltenen Erden weltweit verschärft. Besonders betroffen sind kritische Zwischenprodukte wie Magnete, Spezialkeramiken oder Legierungen. Sie sind für Zukunftstechnologien unerlässlich, technisch komplex, schwer ersetzbar und werden meist nur von wenigen Ländern und Unternehmen gefertigt – was die Abhängigkeit deutlich erhöht. Diese verborgenen Abhängigkeiten werden oft unterschätzt, weil viele Länder sich nur auf den Rohstoffzugang konzentrieren. Seit 2007 nehmen die dadurch entstehenden Verwundbarkeiten in den Lieferketten aber erheblich zu. Entscheidend für technologische Unabhängigkeit ist der Ausbau industrieller Verarbeitungskapazitäten. Fehlen diese, blockieren strukturelle Schwächen langfristig den Aufbau von Exportindustrien in zentralen Zukunftsbereichen.
 
Auch Österreich besonders gefährdet 
Laut aktueller ASCII-Studie zählt Österreich gemeinsam mit der EU, den USA, Taiwan und Südkorea zu einer Gruppe fortschrittlicher Volkswirtschaften, die besonders anfällig für Lieferengpässe bei kritischen Vorprodukten auf Basis seltener Erden sind – etwa bei Seltenerdmagneten, die für die heimische Automobilzulieferbranche zentral sind. Unabhängig vom Rohstoffzugang können solche Engpässe ganze Produktionslinien gefährden. Das systemische Risiko nimmt seit 2007 in Österreich stetig zu. Österreich bezieht viele kritische Vorprodukte aus wenigen Ländern – oft ohne Alternativen. Diese Importkonzentration ist ein Warnsignal für die Resilienz der Industrie und hemmt langfristig die Exportstärke erheblich. Ein Umdenken in der Rohstoffstrategie ist dringend nötig: Nicht der Zugang zu seltenen Erden ist das größte Problem, sondern unsere mangelnden Möglichkeiten, sie zu verarbeiten. Österreich muss gezielt in industrielle Verarbeitungskapazitäten und internationale Partnerschaften investieren, um seine technologische Unabhängigkeit und Wettbewerbsfähigkeit langfristig zu sichern.

China dominiert Europas Zukunftstechnologien 
Laut Studie liegt das größte Risiko nicht im Rohstoffzugang, sondern in Chinas dominierender Rolle bei der Weiterverarbeitung: Das Land kontrolliert 91 Prozent der weltweiten Verarbeitung seltener Erden (Stand 2024) und alle kritischen Stufen der Wertschöpfung. 
Besonders deutlich wird diese strategische Abhängigkeit bei Permanentmagneten, die für E-Autos, Windturbinen und Robotik unerlässlich sind: China dominiert rund 58 Prozent des Abbaus der dafür nötigen seltenen Erden und rund 92 Prozent der Produktion – der Stufe mit dem höchsten Wertschöpfungsanteil. Besonders gravierend ist die Abhängigkeit für die EU: 98 Prozent aller EU-Importe entlang der Magnet-Wertschöpfungskette stammen aus China. Auch Österreich ist stark abhängig: 2023 importierte das Land Permanentmagnete im Wert von 46,9 Millionen Euro – etwa die Hälfte davon (im Wert von 21,2 Millionen Euro) direkt aus China. Der Großteil der übrigen Importe stammt aus Ländern, die wiederum selbst stark von chinesischer Vorleistung abhängig sind. 
Die indirekten Handelsabhängigkeiten übersteigen damit die direkten deutlich und machen Österreich besonders anfällig für geopolitische Spannungen und exportseitige Störungen entlang der Magnet-Wertschöpfungskette. Diese Verwundbarkeit wiegt umso schwerer angesichts des dynamisch wachsenden Bedarfs: Der weltweite Bedarf an Permanentmagneten wird laut European Raw Materials Alliance (2021) vor­aussichtlich von 5.000 Tonnen im Jahr 2019 auf bis zu 70.000 Tonnen pro Jahr bis 2030 steigen – ein vierzehnfacher Anstieg innerhalb nur eines Jahrzehnts. Für die Mobilitätswende und Industrieautomatisierungen sind diese Magnete unverzichtbar. 
Trotz Initiativen wie dem EU-Rohstoffgesetz und Investitionen in neue Abbauprojekte innerhalb Europas wird die strukturelle Abhängigkeit von China bis 2040 voraussichtlich bei über 85 Prozent bestehen bleiben. China beherrscht vor allem die kritischen Zwischenstufen in der Produktion. Damit ist das Land längst nicht mehr nur ein Rohstofflieferant, sondern ein strategischer Gatekeeper mit erheblichem Einfluss auf die globale Versorgung mit Schlüsseltechnologien und somit Europas wirtschaftliche Zukunft.

ASCII

Das Supply Chain Intelligence Institute Austria (ASCII) ist ein unabhängiges, weltweit führendes Lieferketteninstitut für interdisziplinäre, datengetriebene Analysen globaler Produktions- und Logistiknetzwerke – mit dem Ziel, resiliente, nachhaltige und zukunftsfähige Lieferketten zu gestalten.

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