Thomas Zerlauth

1968 in Dornbirn, ist tiefenpsychologisch orientierter Markenstratege. Er hat 20 Jahre als Markenentwickler der Luxus-Hotellerie und Gesundheitsbranche gearbeitet. Seine Herangehensweise nennt er „MarkenSprint“. Darunter versteht man ein Strategie-Werkzeug, um Marken aus einer radikal neuen Perspektive zu betrachten und damit zu positionieren.
www.markensprint.com

Marken positionieren oder Der mentale Kampf um den Kunden

Oktober 2021

Unter Positioning versteht man, eine Dienstleistung oder ein Produkt in die Wahrnehmung eines Kunden zu bringen und schlussendlich langfristig im Gedächtnis zu positionieren. Dazu ist es unumgänglich, die Funktionsweise unseres Geistes in der Tiefe zu verstehen und zu wissen, wie genau evolutive, divergente und archetypische Kräfte wirken. Diese drei Hauptkräfte bestimmen den Markt und die Kaufentscheidungen des Konsumenten.
Wirtschaftliche Evolution beschreibt den Wettstreit innerhalb einer Kategorie und bedeutet, dass ein bestimmtes Produkt oder eine definierte Dienstleistung immer ausgefeilter und besser wird. Diesem Pfad folgen instinktiv die meisten, ohne sich darüber Gedanken zu machen, wie wenig dies zu einer eingängigen Positionierung beiträgt. 
Unter Divergenz versteht man im wirtschaftlichen Kontext, dass man sich nicht innerhalb bestimmter Produktgruppen oder Kategorien entwickelt, sondern immer mehr und spezifischere Kategorien entstehen. Als die Milch-Lobby beispielsweise ihre Arbeit begann, gab es mehr oder weniger frische Milch, heute kennen wir Heumilch, Vorzugsmilch, Rohmilch, Vollmilch, Fett­arme und Magermilch … um nur einige zu nennen. 
Wenn wir von archetypischen Kräften reden, dann geht es in erster Linie um die Wirkkräfte des kollektiven Unbewussten, wie sie von C.G. Jung beschrieben wurden. Er stellte fest, dass wir alle ein „kollektives Unbewusstes“ haben, das Erfahrungen und Emotionen kanalisiert und zu typischen Verhaltensmustern führt. Platon erforschte die Idee der Archetypen, als er von „Formen der Intuition“ sprach. Er definierte sie als geistige Vorlagen für ein intuitives Verstehen. Archetypen sind deshalb für uns so spannend, weil sie Bewusstseinsfeldern entsprechen, die den menschlichen Geist ohne Worte ansprechen und unsichtbare mentale Grundmuster des Menschseins aktivieren. 
Kulturübergreifende Muster also, wie wir sie in Mythen, Märchen und Geschichten finden. Hollywood-Blockbuster funktionieren auf allen Kontinenten und eine spannende Story wird auch in tausend Jahren noch erzählt. Gut durchdachtes Branding und Positioning bedient sich dieser immanenter Strukturen auf gekonnte Art und Weise. Unser archetypisches Profil beeinflusst, was wir kaufen, welchen Sport wir betreiben oder was in unserer Garage steht.
Bekannte und strategisch klug positionierte Marken leben davon, diese schlummernden Kräfte zu wecken und letztlich auf einer metaphorischen Ebene zu ermöglichen. Zweifelsfrei hat „The North Face“ eine erstklassige Ausrüstung für Abenteurer auf extremer Tour. Mit ihrem Aufruf „Never stop exploring“ sprechen sie einen inne liegenden Wunsch nach Abenteuern und Selbstverwirklichung an, der uns alle auf einer tiefer liegenden Ebene berührt. 
Harley Davidson spricht den Rebellen in uns an – einen seelischen Anteil, den jeder wie eine Art holographisches Gedächtnis in sich trägt. „Live to ride, ride to live“ spricht einen Menschen an, der jeden Tag ein neues Abenteuer beginnen will. Auch wenn der durchschnittliche Harley-Käufer nie aus seinem Leben ausbrechen wird, spielt die Marke also regelrecht mit einem tieferliegenden Wunsch, unsere Verantwortungen und aufgebauten Strukturen hinter uns zu lassen – und uns „Sex, Drugs and Rock’n Roll“ hinzugeben. 

Kampf um die Wahrnehmung

Eine Marke entsteht nicht aus der Sicht des Unternehmens, sondern grundsätzlich immer erst in der Wahrnehmung des Kunden. Kunden interessieren sich nicht für Geschichten von Unternehmen, sondern für ihre eigenen. Jeder gute Drehbuch-Autor weiß, dass eine Story erst dann entsteht, wenn sie eine Lücke schafft, die dem Zuseher dient, sich in dieser Geschichte zurechtzufinden und in sie einzutauchen. Menschen lieben Geschichten. Gut erzählte Geschichten vermitteln Informationen auf einfache Art und Weise und sorgen dafür, dass sie im Gedächtnis gespeichert werden. Und genau darum geht es beim Positioning. Einen freien Platz im Gedächtnis zu finden und der Erste zu sein, der diesen Platz belegt, das ist Positioning. Wir wollen eine bestimmte Information quasi ins Gedächtnis einbrennen.

Menschen lieben Geschichten – Harley Davidson spricht beispiels­weise den Rebellen in uns an.

Magischer Perspektivenwechsel

Wir vergessen allzu oft, dass sich alle Menschen in einem kontinuierlichen Prozess der Transformation befinden. Wir alle sind Veränderungen unterworfen oder sehnen uns danach. Wir wollen unsere Probleme lösen, gesünder und besser werden, uns fitter oder schöner fühlen, einen höheren Status erreichen, akzeptiert und geschätzt werden, mehr Ruhe erfahren. Und jedes Unternehmen – unabhängig davon, was konkret es anbietet – kann bei diesem Veränderungsprozess eine gewisse Aufgabe erfüllen. Aber ob es sich dessen bewusst ist, spielt die alles entscheidende Rolle. Den meisten bleibt dieser Zusammenhang und damit auch eine erfolgreiche Positionierung verborgen, da sie sich selbst als Mittelpunkt der Geschichte definieren – und damit nie in die Lebenswirklichkeit ihrer Kunden eintauchen. 
Was haben Marken, mit denen wir uns verbinden? Was machen sie anders? Wir haben eine Affinität zu ihnen, die sich nur schwer in Worte fassen lässt. Es ist, als ob wir sie kennen oder verehren würden. Die beliebtesten Marken verbinden sich mit ihrem Publikum auf einer tieferen Ebene, besonders jene mit einem authentischen Markenzweck erobern oft unsere Herzen. Fast alle Marken, zu denen wir eine solche Bindung verspüren, sind mit einer strategischen Ausrichtung auf einen definierten Archetyp aufgebaut. Archetypen charakterisieren also universelle Verhaltensmuster, die wir sofort und instinktiv verstehen. Sie erleichtern die Kommunikation, erzeugen Empathie, vermitteln Autorität und sorgen für die notwendige Differenzierung. Viele Unternehmer meinen, solche Beziehungen sind den großen globalen Playern vorbehalten. Ich bin allerdings überzeugt, dass dies für jedes Unternehmen von entscheidendem Wert ist.

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