Thomas Zerlauth

1968 in Dornbirn, ist tiefenpsychologisch orientierter Markenstratege. Er hat 20 Jahre als Markenentwickler der Luxus-Hotellerie und Gesundheitsbranche gearbeitet. Seine Herangehensweise nennt er „MarkenSprint“. Darunter versteht man ein Strategie-Werkzeug, um Marken aus einer radikal neuen Perspektive zu betrachten und damit zu positionieren.
www.markensprint.com

Über die geheimen Codes erfolgreicher Marken

Dezember 2021

Marken helfen uns, intuitive und automatisierte Kaufentscheidungen zu treffen. Und obwohl es die meisten Menschen nicht glauben wollen, geschieht dies zum überwiegenden Teil auf einer unbewussten Ebene. Durch die Tiefen- und Neuro-Psychologie wissen wir aber, dass 95 Prozent aller Kaufentscheidungen unbewusst gefällt werden – also von unserem inneren Autopiloten. Trotz dieser wissenschaftlichen Tatsache widmen sich überraschend viele Marketingpläne praktisch ausschließlich den bewusst entscheidenden Piloten des Menschen. Das Unbewusste bereitet uns verständlicherweise ein gewisses Unbehagen – immerhin entzieht es sich unserer direkten Kontrolle und Einflussnahme. Dabei stellt es den weitaus lebendigeren Teil unseres psychischen Apparates dar und einen ebenso realen und wesentlichen Bestandteil des individuellen Lebens wie die bewusste, denkende Welt des Ich.
Marken sind codierte Bewusstseinsfelder, die das Unbewusste ansprechen und in Form von Resonanz beantworten. Sie senden Signale (Marken-Codes) aus, um dem Konsumenten eine implizite Bedeutung und Belohnung zu vermitteln. Das alles geschieht vollkommen automatisch. Während manche nach wie vor meinen, dass ein schönes Logo und ein ansprechendes Design bereits eine starke Marke ausmachen, denken Markenstrategen in ganz anderen Kategorien. Eine Marke ist weder ein bestimmtes Design noch das Produkt – wenngleich sie beides umfasst. Ihrem Wesen entsprechend ist eine Marke das, was diesen sichtbaren äußeren Repräsentanten erst eine richtige Bühne bereitet. Sie umschreibt und verdichtet eine subjektive Realität, die um ein real existierendes Objekt (beispielsweise ein Produkt oder eine Dienstleistung) aufgebaut wird. Der Begriff „subjektiv“ ist dabei spielentscheidend.
Ein Objekt hat einen objektiven Wert. Eine Marke hingegen ist eine subjektive Projektion und hat mit den normalen „Gesetzen des Greif- und Objektivierbaren“ nur bedingt etwas zu tun. Sie schafft Werte, die oft weit über den materiellen Wert oder den reinen Nutzen eines Produktes hinausreichen. Deshalb beschäftigen sich Markenspezialisten mit der subjektiven Realität, die einem Produkt erst den mehrwertschöpfenden mentalen Rahmen gibt.
Die große Frage ist daher, wie wir uns diesem Unbewussten nähern und wie wir es „ansprechen“ können. Immerhin arbeitet es ja vollkommen automatisch und ohne unsere bewusste Intervention oder Steuerung. Die Neurowissenschaft weiß heute aber gut darüber Bescheid, wie dieses implizite System „denkt“. Es nutzt Assoziationen und lässt sich von Bedeutungsrahmen leiten. Ob etwas bedeutungsvoll ist oder nicht, wird anhand der vorliegenden Muster in Sekundenbruchteilen decodiert und entschieden. Letztlich sind darunter codierte Signale zu verstehen, die uns einen kurzen Blick durch das Schlüsselloch in den dahinterliegenden Raum ermöglichen. Für den Autopiloten genügt dieser kurze Blick durch das Türschloss, um zu entscheiden, ob es sich überhaupt „lohnt und auszahlt“. 
Das Bewusstsein verarbeitet, so schätzt man, ungefähr 45 Informations-Basiseinheiten (Bits) pro Sekunde. Das Unbewusste hingegen wird mit Millionen von Bits fertig. In jeder Sekunde verarbeiten unsere Sinne mehrere Millionen Bits, nur ein Bruchteil davon jedoch dringt ins Bewusstsein. Die Hirnforschung hat uns gezeigt, dass uns weniger als 0,1 Prozent dessen, was das Gehirn tut, aktuell bewusst wird. 
Wenn wir beispielsweise mit dem Auto unterwegs sind, wird uns dieses Verhältnis beispielhaft vor Augen geführt. Wir fahren quasi im Modus des Autopiloten. Unser innerer Pilot, sprich das Bewusstsein, greift nur dann aktiv und bewusst in das Geschehen ein, wenn Gefahr droht oder unsere volle Aufmerksamkeit gefordert wird. Wenn wir bei einem anderen Fahrer mitfahren und dieser ein anspruchsvolles Überholmanöver durchführt, verhalten wir uns automatisch still, weil wir intuitiv wissen, dass der Fahrer nun seine volle Aufmerksamkeit besser auf das Fahren verwenden sollte. Fahrer und Mitfahrer aktivieren ihren inneren Piloten, pausieren ihr Gespräch und übergeben dann wieder dem Autopiloten, sobald die Herausforderung gemeistert wurde. Das alles passiert vollkommen automatisch und ohne Anstrengung. 
Erfolgreich geführte Marken sind immer auch tiefenpsychologisch durchdacht und aufgebaut – denn dadurch sprechen sie genau diesen Teil unserer Psyche an, der auf Zeichen und Symbole reagiert und hauptverantwortlich für unsere Markenwahrnehmung ist. Es ist eine große und sich beharrlich haltende Illusion, dass wir rational handeln und bewusst entscheiden. Tatsache ist, dass wir durch unseren inneren Autopiloten zu Handlungen geführt werden. Diese sind in vieler Hinsicht vorgespurt: durch frühere Lebenserfahrungen, kindliche Prägungen, Emotionen, Wünsche, Rituale, Gewohnheiten, kulturelle Aspekte und unsere subjektive Landkarte der Welt.
Eine Marke ist letztlich das, was dem Autopiloten eine intuitive Bedeutung und ein Bauchgefühl vermittelt. Marken können eine ungeheure Anziehungskraft entwickeln und es fällt uns normalerweise schwer, diese Wirkung und unsere Reaktion darauf rational zu erklären. Sie vermitteln uns ein Gefühl, einen Eindruck, eine numinose Kraft, die uns meinen lässt, dass es um uns geht. Das zieht uns magisch an und „spricht“ mit jenem Teil in uns, der sich nur indirekt ansprechen lässt. Es fühlt sich irgendwie seltsam richtig, vertraut und gut an. Es reguliert unseren inneren Zustand oder vermittelt uns Orientierung, Ordnung und Richtung. 
Wir alle wissen, dass wir zu bestimmten Marken emotionale Verbindungen haben. Wir wissen aber nicht (zumindest nicht bewusst), dass der Grund für diese Gefühle in der Art und Weise liegt, wie uns diese Marken begegnen, auf welchen Ebenen sie mit uns kommunizieren und dass sie uns in eine gemeinsame Geschichte verweben. Sie bringen etwas in uns zum Erklingen und eröffnen dadurch den Zugang zu tiefer liegenden mentalen oder körperlich gespeicherten „Konzepten“. Genau dieses Gefühl des „inneren Angesprochenseins“ ist der Herzschlag von Marken, da es Menschen dazu bringt, sich mit einer Marke zu verbinden, als ob sie in gewisser Weise lebendiger und integraler Bestandteil des eigenen Lebens wäre. Nur in diesem „Aufeinander-Bezogen-Sein“ kann langfristig eine tiefe und nachhaltige Beziehung entstehen.
Mit sogenannten Marken-Codes wird einem Produkt ein bestimmter Platz in der mentalen Landkarte von Konsumenten zugewiesen. 
Markenspezialisten sind immer auch gute Menschenkenner und wissen, dass langfristig nur das funktioniert, was der Konsument als eigene und stimmige Wirklichkeit wahrnimmt. Ihr Fachgebiet ist die subjektive Realität, die einem Produkt erst den geistigen und damit wertschöpfenden Rahmen gibt. Sie arbeiten an den Schnittstellen, die Menschen damit in Beziehung bringen, und mit den mentalen Konzepten, die durch diese Signale ausgelöst werden. Aufgebauschte, überzüchtete und sich an der Realität vorbeischlängelnde Marken haben jedenfalls, ebenso wie schlechte Produkte, keine lange Haltbarkeit.

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