David Stadelmann

* 1982, aufgewachsen in Sibratsgfäll, ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Bayreuth, Fellow bei CREMA – Center for Research in Economics, Managemant and the Arts; Fellow beim Centre for Behavioural Economics, Society and Technology (BEST); Fellow beim IREF – Institute for Research in Economic and Fiscal Issues; Fellow am Ostrom Workshop (Indiana University); Mitglied des Walter-Eucken-Instituts.

 

Mehr Geld oder weniger Arbeit?

Oktober 2023

Viele Arbeitgeber klagen über einen Mangel an Arbeitskräften, insbesondere im Bereich der Fachkräfte. Gleichzeitig streben einige Politiker eine 32-Stunden-Woche an. Diese Lage erscheint paradox. Doch sowohl der Fachkräftemangel als auch die Forderung nach einer 32-Stunden-Woche lassen sich auf Anreize zurückführen, die vom Steuer- und Abgabensystem ausgehen.

Mehr Arbeit wird besteuert, weniger Arbeit nicht 
Die Anreizwirkungen des Steuer- und Abgabensystems lassen sich anhand des Vergleichs zweier Angebote veranschaulichen: Möchte man lieber 20 Prozent mehr Lohn bei gleicher Arbeitszeit oder stattdessen eine um 20 Prozent kürzere Arbeitszeit bei gleichem Lohn? Ein zentraler Unterschied zwischen den beiden Angeboten ist, dass 20 Prozent mehr Lohn den vollen Belastungen des Steuer- und Abgabensystems unterliegt, 20 Prozent kürzere Arbeitszeit und damit gewonnene Freizeit dagegen nicht. 
Die Steuerlast für jeden zusätzlich verdienten Euro beträgt für den Normalverdiener in Österreich rund 30 Prozent, wozu sich noch Beiträge für die Sozialversicherung addieren. So wird jeder vom Normalverdiener zusätzlich verdiente Euro mit rund 40 Cent belastet. Besserverdienende trifft die Belastung aufgrund der Progression im Steuersystem stärker, Geringverdiener weniger stark. Wer ein Brutto-Monatseinkommen von rund 3500 Euro hat, dem bliebe von 20 Prozent mehr Lohn, also 700 Euro brutto monatlich zusätzlich, aufgrund der Progression im Steuersystem knapp die Hälfte netto übrig. Das Steuer- und Abgabensystem nimmt zwar verständlicherweise von dort, wo etwas erwirtschaftet wird. Doch es fördert Mehrarbeit nicht. 

Lohnerhöhungen wenig attraktiv
Theoretisch wirken Lohnerhöhungen dem Arbeitskräftemangel entgegen. Bei höheren Löhnen arbeiten die Arbeitnehmer freiwillig mehr und neue Arbeitskräfte drängen auf den Arbeitsmarkt. Gleichzeitig treiben höhere Löhne die Kosten der Unternehmen nach oben, was deren Nachfrage nach Arbeit etwas senkt. Durch die Erhöhung des Arbeitsangebots und eine etwas geringere Arbeitsnachfrage wird der Arbeitskräftemangel dank Lohnerhöhungen behoben. So sind Lohnerhöhungen nützlich für Arbeitnehmer und Unternehmen – beide bekommen mehr, die einen mehr Geld, die anderen mehr Arbeitsleistung. 
Doch die Anreize im Steuer- und Abgabensystem machen Lohnerhöhungen weniger attraktiv als theoretisch möglich. Wünschen Unternehmen zusätzliche Arbeitskräfte, könnten sie zwar die Löhne erhöhen. Die Unternehmer müssen dann jedoch die vollen Kosten des Bruttolohnzuwachses sowie die weiteren Lohnnebenkosten tragen. Von der Lohnerhöhung bleibt für den Arbeitnehmer hingegen oftmals weniger als 60 Prozent übrig. Weniger Arbeitszeit wird dagegen nicht steuerlich belastet. Das macht es für die Arbeitnehmer in der Regel attraktiver, weniger zu arbeiten – natürlich möglichst bei gleichem Lohn. Den Nutzen der zusätzlichen Freizeit haben sie zu 100 Prozent für sich, eine Lohnerhöhung aber nur teilweise: Sie können die eigene Arbeitskraft im Haushalt, Garten, für die Kindererziehung oder in der eigenen Werkstatt einsetzen – und vielleicht die eine oder andere Stunde pfuschen.
Hinzu kommt dank der höheren Erwerbsbeteiligung von Frauen ein weiterer Effekt. Da Frauen häufiger in Teilzeit arbeiten als Männer, reagieren sie flexibler auf steuerliche Belastungen. Und in vielen Unternehmen ist es heute möglich, in Teilzeit Karriere zu machen. Das macht Teilzeitarbeit auch für Männer attraktiver als früher. Obwohl also die Erwerbstätigkeit auf dem Arbeitsmarkt insgesamt zugenommen hat, was gesamtgesellschaftliche Wohlfahrtsgewinne bringt, reagieren Frauen und Männer stärker auf die negativen Arbeitsanreize des Steuer- und Abgabensystems. So wird die Diskussion zu einer 32-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich besser nachvollziehbar. Aufgrund der Verzerrungen des Steuer- und Abgabensystems ist es für einige attraktiver, bei gleichem Lohn weniger zu arbeiten, als bei höherem Lohn genauso viel zu arbeiten. Mehrarbeit kann nur mit überproportional hohen Löhnen und dementsprechend hohen Lohnnebenkosten und noch höheren Steuern und Abgaben abgegolten werden, was für die Unternehmen unattraktiv ist. 

Ziel: Sinkende Belastung bei Mehrarbeit
Wie könnte die verzerrende Wirkung des Steuer- und Abgabensystems reduziert werden? Um die Arbeitnehmer freiwillig zu Mehrarbeit zu bringen, könnte zusätzliches Einkommen aus hoher Arbeitszeit entlastet werden. Konkret sollten die zusätzlichen Belastungen im Steuer- und Abgabensystem mit steigendem Beschäftigungsgrad abnehmen, anstatt zuzunehmen.
Die Normalarbeitszeit ist in Österreich mit 40 Stunden pro Woche festgelegt, wobei zahlreiche Kollektivverträge kürzere Wochenarbeitszeiten vorsehen. Ohne die Normalarbeitszeit zu ändern, könnte – bei Beibehaltung des Steuer- und Abgabesystems im Übrigen – ein Steuerabzug von 20 Euro für jede Arbeitsstunde eingeführt werden, die über 80 Prozent der Normalarbeitszeit hinausgeht. Ab 32 Stunden Arbeitszeit könnten dann für jede zusätzlich geleistete Arbeitsstunde 20 Euro von der Steuer abgezogen werden. Das würde die Arbeitnehmer motivieren, ihren Arbeitseinsatz zu erhöhen. Die 32-Stunden-Woche entspräche dann einer steuer- und abgabenpflichtigen Grundarbeitszeit. Ab 32 Arbeitsstunden pro Woche hätten die Arbeitnehmer mehr für sich. Wer die Normalarbeitszeit von 40 Stunden erfüllt, könnte so pro Woche 8 mal 20 Euro, also 160 Euro, als Steuerabzug geltend machen, wer mehr arbeitet, noch mehr. Dies gäbe Unternehmen die Möglichkeit, Arbeitnehmer durch attraktive Lohnerhöhungen zu gewinnen. Viele Teilzeitarbeitskräfte, Frauen sowie Männer, würden versuchen, wenigstens rund 40 Stunden Normalarbeitszeit zu arbeiten. Mögliche Steuerausfälle könnten durch zusätzliche Einnahmen infolge gesteigerter Arbeit langfristig weitgehend kompensiert werden. Die steuerliche Entlastung bei Mehrarbeit wäre besonders hoch für Arbeitnehmer mit derzeit noch niedrigeren Einkommen. Eine so verstandene 32-Stunden-Woche wäre dementsprechend für Unternehmen und Arbeitnehmer gleichermaßen attraktiv.

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