Andreas Dünser

Chefredakteur "thema vorarlberg" (andreas.duenser@themavorarlberg.at)

„Mühelos Profite machen“

November 2022

Regionale Wirtschafts- und Sozialgeschichte im Zeitalter globaler Krisen – unter diesem Motto fand Ende September in Feldkirch die Jubiläumstagung zum 40-jährigen Bestehen des Wirtschaftsarchivs statt, mit namhaften Referenten aus verschiedenen historischen Fachbereichen. Einer dieser Vorträge, gehalten von Andreas Resch vom Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Wirtschaftsuniversität Wien, soll an dieser Stelle wiedergeben sein: „Die Bankenkrise während der 1920er-Jahre in Westösterreich.“

Zu Beginn der 1920er-Jahre, in Zeiten der Hyperinflation, kann mit Spekulationsgeschäften ein Vermögen gemacht werden. 1922 beträgt die Inflation in Österreich 3000 Prozent, ein Jahr später ist der Aktienindex an der Wiener Börse auf das Fünffache gegenüber dem Vorjahr gestiegen. 76 Aktienbanken gibt es jetzt in Österreich, dreimal mehr als noch vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs, gegründet, um von den großen Spekulationsmöglichkeiten profitieren zu können. „Doch die meisten dieser Banken haben kein Geschäftsmodell“, sagt Historiker Andreas Resch, „sie verschwinden so schnell, wie sie gekommen sind.“ 

„Nur mit eigenen Banken“
Die gesamtösterreichische Situation dieser Jahre spiegelt sich – in kleinerem Maßstab – auch im Bundesland Tirol wider. Auch hier setzt Anfang der 1920er ein Gründungsboom ein, den Gründungen liegen allerdings auch andere Motive zugrunde. Populär ist laut Resch beispielsweise die Meinung, dass die Wiener Banken den westlichen Bundesländern Geld entziehen würden, Geld, das vor Ort dann fehle. Auch heißt es, die Wiener Banker würden mit dem von Vor­arlbergern und Tirolern hart ersparten Geld mühelos Profite machen: „Es wird antisemitisch argumentiert, man will den „Judenbanken“ die Gewinne streitig machen.“ Und man sagt sich, dass sich dieses System nur mit eigenen Banken ändern lasse; mit vor Ort verankerten Banken, die dann ihrerseits Kredite in der Region vergeben und damit die Modernisierung von Landwirtschaft und Gewerbe ermöglichen. Auch werden politische Interessen angemeldet: „Parteien, der Bauernbund, sie wollen für ihre Klientel arbeiten, sich mit eigenen Banken aber eben auch selbst finanzieren.“
Aus diesen Überlegungen heraus entstehen ab 1920 in Tirol vier neue Banken; unter ihnen die vom Tiroler Genossenschaftsverband und Bauernbund getragene „Agrarbank für die Alpenländer“, und die „Tiroler-Alpenländische Vereinsbank“, hinter der wiederum das bürgerliche Unternehmertum und der hohe Klerus stehen; die „Vereinsbank“ geht aus der ehemaligen Brixner Bank hervor. Die „Agrarbank“ ist die größte der neuen Banken in Tirol, die „Vereinsbank“ die kleinste; gemessen an den Wiener Großbanken nehmen sich die Bilanzsummen der Tiroler Institute allerdings sehr bescheiden aus.

Mitgründer Jodok Fink
Interessant, aus Vorarlberger Sicht, ist dabei vor allem die Geschichte der „Agrarbank für die Alpenländer“: Sie wird von Jodok Fink und von Josef Schraffl, dem Tiroler Landeshauptmann, im Jahr 1920 gemeinsam gegründet. Nach dem Willen der Gründerväter soll die Aktienbank zum Spitzeninstitut des Genossenschaftssektors werden. „Doch bleibt sie zunächst irrelevant, führt kaum eigene Aktivitäten aus.“ Das ändert sich erst mit dem Tod Schraffls im Jänner 1922. Es kommt zu Neubesetzungen. Neuer Chef des Verwaltungsrats wird der Psychiater Peter Paul Pfausler, der in unserem Bundesland damals durchaus bekannt ist: Der Medizinalrat leitet die größte psychiatrische Klinik in Vorarlberg und ist auch in landwirtschaftlichen Fragen kompetent, er hat beispielsweise Schweineställe entwickelt, die in Deutschland preisgekrönt werden. „Doch ein Banker ist Pfausler nicht. Aber er stammt aus dem Bauernbund, er gilt als Projektmanager, man nimmt ihn.“ Und der Projektmanager wird auch wirklich aktiv. Er will aus dieser nur scheinexistenten Bank eine richtige Bank machen. Es werden Filialen gegründet, unter anderem in Bregenz, es wird in Betriebe im bäuerlichen Umfeld investiert. Doch das Geschäft läuft weiterhin nicht gut. Und deswegen setzt die Bank, wie Resch berichtet, ab 1923 in einem immer höheren Maß auf spekulative Geschäfte: „Man will dabei sein, es heißt ja, man müsse in Wien nur irgendwelche Aktien kaufen und könne damit ein Vermögen verdienen.“ Pfausler mischt da nicht mehr mit. Im Herbst 1923 schwer erkrankt, stirbt der Medizinalrat im Jänner 1924. „Und mit seinem Tod beginnt die Stunde der Politiker.“
Was im Westen Rang und Namen hat, mischt nun bei der „Agrarbank“ mit, immer stärker auch im operativen Geschäft dieser Bank: Jodok Fink, Landeshauptmann Otto Ender, der Salzburger Landeshauptmann Franz Rehrl, der spätere Bundeskanzler Rudolf Ramek, aber auch Richard Steidle, Gründer des Antisemiten-Bundes in Tirol. „Hinter dieser Bank“, sagt Resch, „steht jetzt der geballte Einfluss der Politik.“

Ein dubioser Geschäftsmann
Die beiden Banken sind Kontrahenten, ihre Träger ebenfalls: Der christlichsoziale Bauernbund auf der einen und die Konservativen auf der anderen Seite sind laut Resch verfeindet. Und doch treffen beide Banken 1923 dieselbe folgenschwere Entscheidung. 
Über einen Mittelsmann, den dubiosen Tiroler Geschäftsmann Franz Paulsteiner, der mit Kohle ein Vermögen gemacht hat, treten die Banken mit der an der Wiener Börse aktiven Firma „Vonwiller & Co. Geldgeschäft“ in Kontakt. Der Familienkonzern, eine Industrie­gruppe mit Fabriken in der Schweiz, in Italien, in Österreich und in der Tschechoslowakei, sucht nach finanzstarken Partnern. Die Tiroler Banken steigen ein. Die „Agrarbank“ investiert über 15 Milliarden Kronen in den Konzern, die „Vereinsbank“ zwei Milliarden, sie nimmt – nach einer Kapitalerhöhung – Vonwiller auch als neuen Großaktionär auf. „Und dann geht Vonwiller 1924 krachend pleite, im Zuge der Francs-
Spekulationen.“ 
Das Ende der beiden Banken ist damit nur noch eine Frage der Zeit. „Sie vereinbaren zunächst, gemeinsam die Liquidation des Familienkonzerns durchzuführen und sich danach zu fusionieren, doch daraus wird nichts“, sagt Resch. Die „Vereinsbank“ bringt gegen die „Agrarbank“ vor Gericht eine Schadenersatzklage ein, lange wird prozessiert, letztlich verschwinden beide Banken. Die „Vereinsbank“ wird 1926 liquidiert; die „Agrarbank“ dagegen 1928 mit der Hauptbank für Tirol und Vorarlberg fusioniert, wobei ”Agrarbank“-Aktionäre, zahlreiche Kleininvestoren aus Vor­arlberg, Tirol und Salzburg, praktisch einen Totalverlust erleiden. Agrarbank und „Vereinsbank“ stehen für das Schicksal vieler Banken in dieser Zeit. 
Von den 76 Aktienbanken des Jahres 1923 sind Mitte der 1930er nur noch 19 existent. Die Hoffnung, mühelos Profite machen zu können, hat sich als Illusion erwiesen.

 

Das Wirtschaftsarchiv Vorarlberg – Mit der Gründung des Wirtschaftsarchivs Vorarlberg im Jahr 1983 entstand das erste und bis heute einzige regionale Wirtschaftsarchiv Österreichs. Der Fokus der Vereinsarbeit hat sich seither erweitert, das Wirtschaftsarchiv präsentiert sich heute – wie Leiter Gerhard Siegl sagt, „als kompetente, moderne Wissens- und Gedächtniseinrichtung, die ihren Sammelauftrag dort sieht, wo kein Archivgesetz greift: In der Privatwirtschaft.“ Durch zahlreiche Kontakte in die Wirtschaft konnten demnach „immer wieder wertvolle historische Bestände vor der Vernichtung bewahrt werden.“ Informationen, auch zu den umfangreichen Beständen unter: wirtschaftsarchiv-v.at

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