Manfred Rein †

* 19.12.1948, † 22.04.2016

Schildlaus und Chlorhuhn – die Geschichte wiederholt sich

März 2015

Vor 20 Jahren sagten die Österreicher mit einer Zweidrittel-Mehrheit Ja zur Europäischen Union, all den Lügenmärchen zum Trotz, die damals von den Gegnern eines EU-Beitritts ins Spiel gebracht wurden. Da wurde vor Stierblut gewarnt, mit dem in Zukunft der Wein gefärbt würde, und vor Schildläusen im Joghurt. Nichts davon wurde Realität, klarerweise.

Heute kann niemand mehr bestreiten, dass der Beitritt unserer Republik und vor allem unserem Bundesland genützt hat. 1994 hatte sich Vorarlbergs Export auf 2,7 Milliarden Euro belaufen, im Jahr 2013 bereits auf 8,4 Milliarden Euro – Tendenz steigend. Gemessen an der Einwohnerzahl ist Vorarlberg das exportstärkste Bundesland. Und der Export ist die Grundlage für den Wohlstand in Vorarlberg, jeder zweite Arbeitsplatz ist vom Export abhängig. Klar ist deswegen, dass Vorarlberg Interesse an weiteren Freihandelsabkommen haben muss. Und vor diesem Hintergrund ist die TTIP-Debatte zu sehen. Denn seit Längerem geht eine Lobbyisten-Kampagne durch unser Land, in deren Rahmen mit großem Aufwand Stimmungsmache betrieben und die Bevölkerung einseitig informiert wird. Wie einst vor dem EU-Beitritt wird da teilweise mit hanebüchenen Argumenten gewarnt, etwa davor, dass Vorarlberger Bergkäse künftig auch in Texas produziert wird. Lächerlich! Zum Glück ist das Ergebnis dieser Kampagne bislang noch äußerst bescheiden – eine Handvoll Bürger hat sich schriftlich gegen TTIP gestellt, eine Handvoll Gemeinden haben sich in vorauseilendem Gehorsam für TTIP-frei erklärt. Die Unternehmer in diesen Gemeinden werden die Beschlüsse der Gemeindepolitik entsprechend deuten können. Wirtschaft ist Psychologie. Und wer dauerhaft schlechte Stimmung verbreitet und aus fadenscheinigen Gründen nur einseitig informiert, schadet in fast schon fahrlässiger Weise der Wirtschaft. Ziel ist offenbar, Wirtschaft und Gesellschaft zu trennen. Dabei zeigt gerade der Export in Vorarlberg, dass Wirtschaft und Gesellschaft untrennbar miteinander verbunden sind, zum gegenseitigen Vorteil.

Nicht, dass das falsch verstanden wird: Das neue Freihandelsabkommen muss von europäischer Seite gut verhandelt werden, es darf zu keinen Absenkungen bei den hohen europäischen Standards, etwa im Bereich der Lebensmittelsicherheit, kommen. Auch bei den Investitionsschutzklauseln und den Regelungen über die Schiedsgerichte dürfen sich die Europäer nicht über den Tisch ziehen lassen. Grundsätzlich sind aber auch diese Verhandlungsgegenstände richtig – so mancher Lebensmittelhändler in Ungarn würde sich gerade im Moment solche Regelungen wünschen, um nicht enteignet zu werden. Die Verhandlungsfortschritte sollen auch einer breiten Öffentlichkeit kommuniziert werden. Dann werden die Argumente der TTIP-Gegner als das entlarvt werden können, was sie sind – recycelte Märchengeschichten der damaligen Anti-EU-Kampagne. Nur dass statt der Blut­schokolade heute halt das Chlorhühnchen herhalten muss.

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