Simon Groß

Vorarlberger Gemeindeverband

Herbert Motter

Selbstschutz Naturschutz

Mai 2021

Über die Bedeutung von Naturschutz, warum Naturschutz Selbstschutz ist und was die Vorarlberger Betriebe auf meist freiwilliger Basis zu einem besseren Einklang zwischen Natur und Wirtschaft beitragen.

Naturschutz kann man sehen, spüren, ja sogar riechen und hören. Und das im wortwörtlichen Sinn: Sie sehen Artenvielfalt bei Pflanzen und Tieren, sie trinken und schmecken tagtäglich sauberes Wasser, sie können gesunde Luft riechen. Sie können die erholsame Stille im Wald hören oder das Brummen und Summen auf einer Wiese. Sie können wahlweise alles auf irgendeine Art und Weise riechen, sehen, fühlen, hören oder anderswie wahrnehmen. Das eben Genannte ist nicht nur Voraussetzung für unsere Erholung, sondern auch für das Fortbestehen ganzer Ökosysteme – und schlussendlich der menschlichen Existenz. So kann man im Wort Naturschutz eine weitaus vielfältigere Bedeutung ablesen, denn insofern mag Naturschutz auch eine Art langfristiger Selbstschutz sein.

Vom Nutzen zum Selbstschutz

Dass die existenzielle Wichtigkeit der Umwelt immer mehr ins Bewusstsein der Bevölkerung vordringt, ist keine Trendsache und auch nicht unbedingt eine der vielen Kehrseiten der Corona-Pandemie, die in diesem Fall die Menschen wieder verstärkt nach draußen gelockt – und so manchen wieder die Freude an der Natur nähergebracht hat. Naturschutz erfuhr erste „massenwirksame“ Konjunkturen vor allem Ende der 1960er- und Anfang der 1970er-Jahre, als die Menschheit sich auch immer mehr der Zerbrechlichkeit von ganzen Ökosystemen bewusst wurde, versinnbildlicht durch Begriffe, die in den folgenden Jahrzehnten keine einmalig gebrauchten sein sollten: Arten- und Waldsterben, Überfischung, Ozonloch, Ölkrise, Mülldeponie, Tschernobyl, Exxon Valdez und Co.: Der Nachkriegs-, Technologie-, Industrialisierungs-, Globalisierungs-, Siedlungs- und Urbanisierungs-, Wachstums- und „Was auch immer“-Boom hatte auch seine Kehrseiten. Natürlich lässt sich die Geschichte des Umwelt- oder Naturschutzes noch weiter zurückverfolgen. Bereits 1870 wurde ein Gesetz- und Verordnungsblatt für die gefürstete Grafschaft Tirol und das Land Vorarlberg veröffentlicht, und zwar das „Gesetz betreffend den Schutz der für die Bodenkultur nützlichen Vögel“.

Verschiedene Interessen, verschiedene Ansichten, verschiedene Stadien

In einem vom Vorarlberger Naturschutzrat beauftragten historischen Überblick zum Naturschutz in Vorarlberg lässt sich herauslesen, dass die anfänglichen Naturschutzbemühungen hauptsächlich aus wirtschaftlichen Überlegungen entstanden – als Nebenprodukt des Jagd-, Forst-, Landwirtschaft- und Fischereirechts. So hat man bereits im 17. Jahrhundert das Enziangraben geregelt, um das Vieh vor Verletzungen durch die beim Graben entstehenden Löcher zu schützen. Erste mehr oder weniger für die Natur selbst relevante Schutzbestimmungen beabsichtigten die Erhaltung seltener Pflanzen wie dem uns kitschig-romantisiert bekannten Edelweiß, das 1904 mit einem eigenen Gesetz unter Schutz gestellt wurde. 1915 folgte ein Alpenpflanzenschutzgesetz, das eine Reihe geschützter und schonungsbedürftiger Arten behandelte.
1924 wurde die ehrenamtliche Vorarl­berger Fachstelle für Naturschutz eingerichtet: Sie entwickelte das erste Vorarlberger Naturschutzgesetz, das 1932 erlassen wurde. Doch das war kein leichtes Unterfangen, denn während manche sich gegen die Unterschutzstellung bestimmter Tierarten stellten, sprachen sich andere gegen die Ausweisung von Naturschutzgebieten aus. So wurde erst 1942 im Rheindelta das erste Vorarlberger Naturschutzgebiet ausgewiesen. 1969 folgten Verschärfungen der Strafbestimmungen, die Einführung der Naturwacht und es wurde geregelt, dass in allen naturschutzrelevanten Behördenverfahren auch die Vorarlberger Naturschau – das naturkundliche Museum Vorarl­bergs – anzuhören war. Ab 1973 wurde zusätzlich das Landschaftsschutzgesetz erlassen, mit dem einige Vorhaben bewilligungspflichtig wurden. Auch die bekannte Verordnung der Landesgrünzone als überörtliche Freifläche stammt aus den 1970er-Jahren, sie betrifft insbesondere die Bereiche Raumplanung und den Landschaftsschutz.
In den 1980er-Jahren folgten das Biotopinventar, 1990 die Verordnung über den Streuwiesenbiotopverbund Rheintal-Walgau. 1997 wurden Naturschutz- und Landschaftsschutzgesetz zum „Gesetz über Naturschutz und Landschaftsentwicklung“ zusammengelegt. Die EU-Mitgliedschaft brachte Naturschutzbestimmungen auf europäischer Ebene: Insbesondere das Natura-2000-Regelwerk mit der Fauna-Flora-Habitatrichtlinie und der Vogelschutzrichtlinie formte den heutigen Stand des Naturschutzes entscheidend mit, da zusätzliche Schutzgebiete eingerichtet werden mussten. Doch nicht alle Bemühungen können und konnten etwa das Verschwinden gefährdeter Arten verhindern: Die seltene Schmetterlingsart „Moorwiesenvögelchen“ gibt es heute in Vorarlberg vermutlich nicht mehr. Andererseits zeigen unsere Schutzgebiete deutlich, wie vielfältig unsere Natur ist, auch an so manchen Kuriositäten – wussten Sie, dass es in Vorarlbergs Hochmooren fleischfressende Pflanzen gibt? Der rundblättrige Sonnentau ist eine davon, zu bestaunen etwa im Örtlichen Schutzgebiet „Schollaschopf“ in Hohenems, ein einzigartiges Spirkenhochmoor, das 2019 umfassend renaturiert wurde.

 

„Eine Welt ohne Naturschutz ist eine ungemein ungerechte und enorm teure Welt.“

Ruth Swoboda, wissenschaftliche Direktorin der Inatura Dornbirn

Bestand

In Vorarlberg sind aktuell etwa 17 Prozent der Landesfläche als Schutzgebiete ausgewiesen. Dass aus einem Gebiet ein Schutzgebiet wird, dafür ist dessen Ursprünglichkeit ausschlaggebend, und auch, dass es gefährdete Tier- und Pflanzenarten beherbergt. Diese gliedern sich aktuell in drei Landschaftsschutzgebiete, drei Pflanzenschutzgebiete, neun geschützte Landschaftsteile und neun örtliche Schutzgebiete, je ein Biosphären- und Naturpark sowie eine Ruhezone. Dazu kommen 25 Naturschutzgebiete und 39 „Europaschutzgebiete“ – bekannt als Natura-2000-Gebiete, deren Fläche teilweise ident mit Schutzgebieten anderer Kategorien ist. Darüber hinaus sind über 600 Hektar Streuwiesen durch eine spezielle Verordnung geschützt, wobei eine land- oder forstwirtschaftliche Nutzung indes nicht ausgeschlossen ist – gerade in Streu- und Magerwiesen ist eine traditionelle Bewirtschaftung sogar Voraussetzung für die Schutzwürdigkeit. Und: Vorarlberg ist das einzige Bundesland, in dem Biosphärenparks im Naturschutzgesetz als Schutzgebietskategorie vorkommen – der Biosphärenpark Großes Walsertal beispielsweise.

„Naturschutz rettet uns den Hintern“

Welche Bedeutung Naturschutz in Vorarlberg hat – einer landschaftlich wie auch artentechnisch äußerst vielfältigen Region – erklärt die wissenschaftliche Direktorin der Inatura Dornbirn, Ruth Swoboda: „Warum braucht es Naturschutz? Die Antwort aus Sicht einer Vermittlerin: Weil uns als Gesellschaft ernstgenommener, integrativer und breit gedachter Naturschutz den Hintern retten wird. Oder eben auch nicht. Eine Welt ohne Naturschutz ist eine ungemein ungerechte und enorm teure Welt.“
Dass das Insektensterben, vor allem das Bienensterben, etwa eine der Sachen ist, die uns den Allerwertesten kosten könnte, wird zwar von manchen als lächerlich abgetan, aber die wesentliche „Aufgabe“ vor allem von Bienen sollte nicht unterschätzt werden: Immerhin steht man vor dem Problem, dass Pflanzen und gewisse Obstsorten vielleicht verschwinden werden – weil sie aufgrund fehlender Insekten nicht mehr bestäubt werden.

„Grund zum Bleiben“

„Vorarlberg, und darauf darf man stolz sein, liegt in einem hoch innovativen und erfolgreichen Eck Europas, dem Bodenseeraum. Daraus lassen sich Top-Arbeitsplätze und hohes Investment in Fachkräften ableiten. Man ist sich sehr bewusst, was man zu bieten hat und nützt diese Strahlkraft auch am internationalen Markt. Nicht zuletzt werden gerade die Naturwerte des Landes als ‚Grund, um zu bleiben‘ gehandelt. Als leidenschaftliche Naturvermittler sagen wir: zu Recht! Denn wir wissen um die wissenschaftlich belegten Wirkungen von Naturvermittlung und dem Zusammenspiel von Emotionen und dem Verwurzeln in neuen Heimaten“, erklärt Ruth Swoboda.

 

„Früher hat sich Naturschutz nicht im Siedlungsraum abgespielt.“

Christiane Machold, Land Vorarlberg

 

Technologie ist nicht der Lückenfüller

Es gibt in Vorarlberg zahlreiche Schutz- gebiete, doch ob Natura 2000 oder Örtliches Schutzgebiet: Diese sind regional beziehungsweise örtlich meist nicht miteinander verbunden. Sie sollten dennoch aber miteinander wirken können. „Vorarlberg ist auch ein Bergland. Eine Stunde vom Bodensee ins Hochgebirge – das ist unglaublich reizvoll. Es liegt auf dem Weg dorthin aber auch auf der Hand, dass Naturraum in Vorarlberg begrenzt ist. Die Diskussion, dass es reiche, da und dort ein Schutzgebiet und Schutzgüter auszuweisen und dazwischen so zu tun, als wäre Boden unendlich vorhanden, sei vorbei, sagt Swoboda: „Das Gebot der Stunde heißt: In großen Zusammenhängen denken.“ – und sich nicht zu sehr auf technische oder nicht direkt vor Ort wirksame und umgesetzte Lösungen zu verlassen.
Verlorene Naturräume mit funktionierendem Zusammenspiel zwischen Wald, Wasser und Boden können nicht wiederhergestellt gestellt werden. „Anders gesagt: Es wird schlichtweg sehr, sehr teuer, wenn wir Ökosystemleistungen verlorener Naturräume durch Technologie ersetzen müssen.“ Swoboda spricht von Schutzgebieten, die durch sogenannte ökologische Trittsteine quer durch das Land miteinander verbunden sind, aber auch von einer gewissen Verbundenheit aller Akteure: „Es geht um ressortübergreifendes Handeln ohne Kirchtürme, aber mit viel Region. Es geht um das Bewusstsein, dass jeder Garten, jeder Parkplatz, jeder Park und jeder Straßenrand ein solcher Trittstein sein kann“, sagt die naturwissenschaftliche Direktorin der Inatura Dornbirn und schließt: „Ein lieber Kollege meinte einmal: Wenn alle ziemlich gleich unzufrieden sind, passt es. Mir wäre lieber, dass es passt, wenn alle gleich wirksam in und für Naturräume in Vorarlberg sind.“

Biodiversität in Betriebsgebieten

Naturschutz liegt natürlich nicht nur in der Hand einzelner, sondern ist auch längst in den Betrieben angekommen – von denen einige in Vorarlberg das sehr verantwortungsvoll handhaben. „Früher hat sich Naturschutz nicht im Siedlungsraum abgespielt“, erklärt Christiane Machold vom Amt der Vorarlberger Landesregierung, Abteilung Umwelt- und Klimaschutz. Doch inzwischen wirken sich Verstädterung, Infrastrukturentwicklungen und Landnutzungsänderungen auf die Vernetzung und Gesundheit von Ökosystemen als Lebensräume für Arten aus. „Bäume, artenreiche Wiesen, essbares Grün oder Wildkräuter – überall gibt es Wege und Möglichkeiten für Biotope und qualitätsvolle Freiräume, sogar auf Dächern, von der Vertikale bis in kleinste Ritzen. Und diese Möglichkeiten bieten nicht nur Insekten und Vögeln Lebensraum, sondern genauso auch den Menschen.“
Biodiversität heißt das Zauberwort und beschreibt die Vielfalt an Arten, die Vielfalt an Lebensräumen (Ökosystemen) und die genetische Vielfalt. Unternehmen verfügen häufig über Außenanlagen und Gebäudeteile, die wichtige Lebensräume für Pflanzen und Tiere sein können. Werden sie entsprechend ihrer naturschutzfachlichen und freiraumgestalterischen Potenziale gestaltet, bieten sie wertvolle Rückzugsgebiete für Pflanzen und Tiere. Damit leisten Unternehmen einen wichtigen Beitrag zum Schutz und der Entwicklung der lokalen biologischen Vielfalt.
„Aus Grünflächen wieder Gärten machen. Es ist höchst an der Zeit, die Bedürfnisse von Menschen, Pflanzen und Tieren nach entsprechendem Lebensraum gleichgestellt in die Siedlungsentwicklung einzubeziehen. Aus Verdichten wird Lebensraumentwicklung“, erklärt Katrin Löning vom „pulswerk“, das Unternehmen und Politik bei der Planung und Umsetzung nachhaltiger Lösungen berät. Es gehe längst um mehr als nur Bewusstseinsbildung, nämlich um die konkrete Umsetzung. Förderschienen auf EU-, Landes- und Bundesebene helfen dabei. Im EU LIFE-Projekt BooGI-BOP (biodiversity-premises.eu) arbeiten sieben Partnerorganisationen mit einer großen Anzahl an Expert/-innen aus fünf Ländern zusammen, um die naturnahe Gestaltung von Firmengelände in ganz Europa zu unterstützen.
„Natur- und Artenvielfalt rund um das Firmengebäude ist ein Mehrwert für den Betrieb. Naturnahe Grünräume wirken sich positiv auf die Gesundheit der Mitarbeitenden aus, wirken ausgleichend und beruhigend. Eine naturorientierte Bebauung geht auf lokale Besonderheiten ein und versucht diese in ihr Konzept mit einzubeziehen. Biodiversitätsfördernde Maßnahmen durch Gehölz- und Saumstrukturen, einem Insektenparadies auf dem Dach, Fassadenbegrünungen und Retentionsmulden sind auf Dauer im Unterhalt wie auch durch ihre Lebensdauer wirtschaftlich. Starkniederschläge und Hitzeperioden können zum Teil ausgeglichen werden“, sagt Landschaftsökologin Löning. Biodiversität werde oft mit hohen Kosten und intensiver Pflege gleichgesetzt, doch das sei ganz und gar nicht so. Im Gegenteil, der daraus resultierende Mehrwert mache sich immer bezahlt.
Wer das verstanden hat, setzt bereits erfolgreich um. Wie etwa die Firma Omicron in Klaus: angefangen mit der Renaturierung eines Baches in Zusammenarbeit mit der Gemeinde über begehbare Gründächer bis hin zu naturnahen Außenbereichen mit Wasser-, Wiesen- und Waldbereichen. Oder Niggbus in Rankweil: Das 9000 Quadratmeter große Betriebsgelände wurde 2013 so umgestaltet, dass es einen aktiven Beitrag zur Artenvielfalt leistet: 750 heimische Bäume, Sträucher, Stauden, Kräuter und Wildblumen wurden gepflanzt, Rückzugsmöglichkeiten wie Steinhaufen, Totholzplatz, Biotope und Steinmauern geschaffen. Ökonomisch betrachtet stellt die Natur einen Kapitalbestand dar, deren Leistungen der Gesellschaft als „Dividenden“ zugutekommen. Dies wird häufig übersehen, wenn der Blick von Unternehmen vorrangig auf Sach- und Humankapital gerichtet wird.

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