Andreas Dünser

Chefredakteur "thema vorarlberg" (andreas.duenser@themavorarlberg.at)

… und übersieht, dass es Menschen sind“

Dezember 2020

Philosophin Lisa Herzog (36) ruft zur Rettung guter und gerechter Arbeit auf, die Professorin an der Universität Groningen sagt im Interview: „Die Arbeitswelt spielt eine zu wichtige Rolle für unsere Gesellschaft, als dass man sie einfach einer unklaren und ungesteuerten Zukunft überlassen könnte.“ Ein Gespräch über eine Demokratisierung der Arbeitswelt, Schwächen beim bedingungslosen Grundeinkommen – und den Sinn von Arbeit.

Frau Herzog, Sie sagten in einem Interview, dass die Pandemie uns vor die Frage stelle, was unsere Gesellschaften jenseits der Marktlogik zusammenhalte. Um diese Frage aufzunehmen: Was hält uns denn zusammen? 

Da ist Arbeitswelt nur ein Faktor von vielen. Aber diejenigen von uns, die im Moment im Homeoffice sitzen, merken, was einem alles fehlt, wenn man nur noch digital mit anderen Menschen verbunden ist. Aber es sind größere Fragen, die sich da stellen und die beantwortet werden müssen: Ist die Arbeitswelt ein Faktor, der unsere Gesellschaft zusammenhält? Oder erleben die Menschen in der Arbeitswelt derart viele Ungerechtigkeiten und Respektlosigkeiten, dass sie eher spaltet denn verbindet?

Es zeigt sich derzeit aber, was Sie in ihren Schriften formulieren, dass „Arbeit eine zutiefst menschliche Angelegenheit“ sei … 

Arbeit ist eine zutiefst menschliche, vor allem aber eine soziale Angelegenheit. Wir arbeiten ja nur in den allerwenigsten Fällen für uns alleine, unsere Gesellschaften sind hochgradig arbeitsteilig. Es ist Teil unseres Soziallebens, dass unterschiedliche Menschen mit unterschiedlichen Formen von Arbeit zur Gesellschaft beitragen. Und wie sehr das der Fall ist, das hat sich in der Krise auch gezeigt.

Inwiefern?

Es ist, zumindest zu Beginn der Pandemie, die Erkenntnis sehr stark in unser Bewusstsein gerückt, wie sehr wir eigentlich auf existenziellem Niveau von der Arbeit anderer Menschen abhängen. Man hat aber auch gesehen, dass viele Menschen in diesen notwendigen Berufen relativ schlecht behandelt und relativ schlecht bezahlt werden und teilweise unter großem Druck stehen. Arbeit, die zuvor nur nach Marktlogik bewertet wurde, galt zumindest zu Beginn der Pandemie auf einmal als systemrelevant. Man fragte sich auf einmal, was eine Gesellschaft denn überhaupt braucht, um weiterlaufen zu können. Es war zumindest kurzfristig eine andere Art von Logik, mit der Arbeit gesehen und bewertet wurde, es war eine ganz andere Dimension von sozialer Orientierung, die nach dem Sinn der Arbeit fragt. Und darin steckt in gewisser Weise auch viel Zündstoff.

Sie rufen ja zur „Rettung der Arbeit“ auf. Wie ist denn das zu verstehen?

Mir geht es nicht darum, Arbeit in ihrer momentanen Form nur irgendwie aufrecht zu erhalten. Vielmehr müssen wir das, was an Arbeit gut und wertvoll ist, gestalten und dürfen uns da nicht nur von den Kräften von Technologien und von Märkten treiben lassen. Wir müssen die gute Arbeitswelt gestalten, anstatt hinzunehmen, dass sie auf eine Art und Weise geformt wird, die unseren Vorstellungen zuwiderläuft. Denn die Arbeitswelt ist für unsere Gesellschaft zu wichtig, als dass man sie einfach einer unklaren und ungesteuerten Zukunft überlassen könnte. 

Wenn die soziale Dimension von Arbeit vernach­lässigt wird, droht eine gefährliche Sinnentleerung.

Die Pandemie dürfte aber schnelle und einfache Lösungen vorantreiben, weil jetzt auch kaum Zeit zum Innehalten, zum Nachdenken bleibt.

Auf der einen Seite ist das gewiss so. Auf der anderen Seite aber glaube ich, dass mit Ausbruch der Pandemie auch Positives in den kollektiven Lernprozess miteingeflossen ist. Und insofern habe ich durchaus Hoffnungen …

Inwiefern denn?

Es gibt durchaus Dinge, die seit langem im Argen lagen, die aber erst mit Corona in den Mittelpunkt des allgemeinen Interesses gerückt und sehr grell im Licht der Medien erschienen sind. Ich nenne da als Beispiel nur die Arbeitsbedingungen in Schlachthöfen. Es setzt sich jedenfalls in immer mehr Gesellschaften die Erkenntnis durch, dass ein weiterhin ungezügelter Kapitalismus nicht die Antwort sein kann und auch nicht sein darf. Und diese Erkenntnis eröffnet Raum für politische Gestaltungsmöglichkeiten. Das macht Hoffnung.

Gegen wen schreiben Sie eigentlich an?

Ich schreibe gegen all jene an, die einem Ende der Arbeit das Wort reden. Ich schreibe gegen all jene an, die Arbeit behandeln, als wäre sie nur ein Produktionsfaktor und dabei übersehen, dass es Menschen sind, die da arbeiten. Und ich schreibe gegen all jene an, die aus einem fatalistischen Verständnis heraus nicht gegensteuern wollen, in der Annahme, man könne ja eh nichts tun, man müsse sich einfach dem fügen, was da kommt. Es ist politische Gestaltung gefragt, anstatt sich in rhetorische Floskeln über die Unkontrollierbarkeit der Veränderungen zu flüchten. 

Sie sagen also, dass die Vorstellungen von einer guten, von einer gerechten künftigen Arbeitswelt gestaltbar sind?

Ja, natürlich ist die Arbeitswelt der Zukunft gestaltbar! Das sind ja keine Naturgesetze, über die wir da sprechen. Wir reden über Bedingungen und Rechte, die von menschlichen Institutionen zu bestimmten Zeiten geschaffen und in bestimmten Zeiten verändert worden sind und die heute noch bestimmen, wie unsere Arbeitswelt beschaffen ist. Wir sprechen von Eigentumsrechten, von Vertragsrechten, von Kartellrechten, also von Bedingungen, die von Menschen gemacht und die damit natürlich auch veränderbar sind. Es geht also um gesellschaftliche Machtverhältnisse, es geht um die Frage, wer denn die Regeln setzt, nach denen diese Spiele gespielt werden. Dabei sollte es in demokratischen Gesellschaften doch so sein, dass das Volk über seine gewählten Vertreterinnen und Vertreter die Regeln setzt. 

Ich schreibe und argumentiere gegen all jene an, die sagen, man könne sowieso nichts tun und müsse sich dem ergeben, was da kommt.

Was in unserem Fall bedeutet?

Dass die Politik die Spielregeln setzt, innerhalb denen sich auch die wirtschaftlichen Akteure zu bewegen haben. Es gilt das Primat der Politik. Das müssen sich die Menschen stets vergegenwärtigen. Auch wenn in dieser globalisierten Welt, in der weitestgehend nur nationale oder bestenfalls europäische Politik gemacht wird, immer stärker der Eindruck entstanden ist, die Politik könne gar nicht gestalten, sie müsse sich treiben lassen von den Weltkonzernen und den internationalen Märkten oder von wem auch immer. Das ist ein sehr gefährlicher Gedanke. Wenn die Politik die Märkte nicht steuert, wer tut es dann?

Sie haben ihre eigenen Gedanken auch in anderen Bereichen, etwa beim bedingungslosen Grundeinkommen, sie schreiben da, es sei fraglich, ob damit der Kampf um eine gute Arbeitswelt schon gewonnen wäre.

Da verliert sich die öffentliche Diskussion oft im Diffusen – es werden recht unterschiedliche Modelle diskutiert und es bleibt unklar, wie genau es die Arbeitswelt verändern würde. Aber wer aus der Arbeitswelt aussteigt, kann die Arbeitswelt nicht mehr mitgestalten. Und wenn die Menschen die Arbeitswelt verlassen, was dann? Was würde das Vakuum füllen, was den sozialen Kitt ersetzen? Wenn die soziale Dimension von Arbeit vernachlässigt wird, droht eine gefährliche Sinnentleerung. Im Übrigen wäre es in einer Zeit, in der viel von Echokammern die Rede ist, auch äußerst riskant, die Arbeitswelt als Ort der sozialen Interaktion aufzugeben und etwa marginalisierte Gruppen mit einem bedingungslosen Grundeinkommen abzuspeisen. Wichtiger als die Bedingungslosigkeit des Grundeinkommens ist da schon etwas Anderes.

Und das wäre?

Die in diesem Modell steckende Idee grundlegender Sicherheit, die Gewissheit, dass das soziale Netz einen zuverlässig auffängt, wenn man unter die Räder der ‚kreativen Zerstörung‘ durch wirtschaftliche Innovation gerät. Denn eines ist klar: Wenn berufliche Brüche zum Normalfall werden, brauchen wir einen Kulturwandel, der uns Arbeit und Arbeitslosigkeit mit anderen Augen sehen lässt. Das ist unabdingbar.

Steuern wir auf eine Zukunft zu, in der es von Menschen angebotene Dienstleistungen nur noch für eine kleine Oberschicht gibt? Wird menschlicher Kontakt zu einem Privileg einiger weniger, während er allen anderen versagt bleibt? Es sind beeindruckende, aber dystopische Fragen, die Sie da in Ihrem Buch aufwerfen …

Ja, eine solche Welt wäre in der Tat eine Dystopie. Wollen wir das?

Das von vielen Philosophen propagierte „Ende der Arbeit“ ist folglich eine Utopie, der Sie nichts abgewinnen können?

Nein, dem kann ich gar nichts abgewinnen. Ich könnte mir vorstellen, dass Arbeitszeit verringert wird, wenn Produktivitätsgewinne durch Digitalisierung möglich sind; auch wenn dann die Frage bleibt, wie das politisch gestaltet wird. Aber ein Ende der Arbeit kann ich mir beim besten Willen auch praktisch nicht vorstellen. Das ist auch nicht realistisch. Wir sollten also nicht auf ein Ende von Arbeit setzen, sondern sie möglichst gut und möglichst gerecht gestalten. Ich will Arbeit überhaupt nicht fetischisieren, als wäre sie das Einzige, was der Mensch im Leben hätte. Mir schwebt vielmehr eine Gesellschaftsordnung vor, in der alle Menschen hinreichend Zeit zum Müßiggang haben, in der sich aber eben auch alle in sinnvoller und gerecht strukturierter Arbeit in die Gesellschaft einbringen können.

Apropos gerecht. Sie wollen ja eine Demokratisierung der Arbeitswelt, das klingt ketzerisch.

Ja? (lacht) Viele Sachen, die heute vollkommen normal sind, klangen einst auch ketzerisch. Mit dem Vorwurf, dass das ketzerisch sein soll, kann ich also ganz gut leben. Im Übrigen gibt es bereits gute Beispiele dafür, dass Mitbestimmung funktionieren kann, es existieren bereits gute, erfolgreiche Kooperativen. Und das sind die Arten von Modellen, die wir stärken und an denen wir uns orientieren sollten. Aber bitte nicht missverstehen: Ich will nicht alle Hierarchien im Sinne einer kompletten Anarchie aufheben. Es braucht Strukturen, es braucht Hierarchien, aber die müssen demokratisch legitimiert werden. Es muss auch einmal möglich sein, eine Chefin oder einen Chef abzuwählen, wenn die so arbeiten, dass niemand damit zurechtkommt. Aber was ist denn so abwegig an dem Gedanken, die Arbeitswelt demokratisieren zu wollen? Politisch sind wir alle Demokratinnen und Demokraten, in der Arbeitswelt aber akzeptieren wir die vermeintliche Notwendigkeit einer hierarchischen Ordnung? Demokratie muss gelebte Praxis sein und es ist schwer vorstellbar, wie sie das sein kann, wenn die Arbeitswelt, also der zeitintensivste Ort sozialer Begegnungen erwachsener Menschen, nach einer komplett anderen Logik funktioniert.

Vielen Dank für das Gespräch!

 

Zur Person

Lisa Herzog * 1983 in Nürnberg, ist Professorin am Centre for Philosophy, Politics and Economics der Universität Groningen. Die Philosophin und Sozialwissenschaftlerin war von 2016 bis 2019 Inhaberin der Professur für Political Philosophy and Theory der neu eingerichteten Hochschule für Politik München. Von Herzog sind mehrere Bücher und Schriften erschienen, zuletzt „Die Erfindung des Marktes. Smith, Hegel und die Politische Philosophie“, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2020.

Weiterlesen!

Lisa Herzog
„Die Rettung der Arbeit – ein politischer Aufruf“ 
Hanser, Berlin, 2019

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