Andreas Dünser

Chefredakteur "thema vorarlberg" (andreas.duenser@themavorarlberg.at)

Vision und Realität. Vorarlbergs Landwirtschaft: Eine Bestandsaufnahme in mehreren Punkten.

Mai 2015

Die Milchquote ist Geschichte, der Wettbewerb wird immer härter. In welche Richtung soll sich Vorarlbergs Landwirtschaft entwickeln? In einer veränderten Umgebung ist mittlerweile auch die Debatte zwischen biologischer und konventioneller Landwirtschaft ein wenig pragmatischer geworden.

Die Vorarlberger Landwirtschaft ist klein strukturiert, von der Milchwirtschaft dominiert und lässt sich, prinzipiell, in biologisch und konventionell produzierende Betriebe unterteilen. Großbauern lassen sich in unserem Land an einer Hand abzählen, und selbst deren Betriebe mit internationalen Maßstäben nur schwerlich vergleichen. Im kleinen Vorarlberg wurden, Stand 2013, rund 64.500 Milchkühe gehalten, in Bayern waren es zum selben Zeitpunkt 1,2 Millionen. Ein solcher Vergleich ist durchaus von Bedeutung, denn mit dem Ende der Milchquote am 1. April kann jeder milcherzeugende Betrieb in der EU frei entscheiden, wie viel Milch er produzieren will – den Vorarlberger Betrieben droht also eine nochmalige Verschärfung eines ohnehin schon harten Wettbewerbs. Folglich ist in den vergangenen Wochen erneut eine Diskussion ausgebrochen, in welche Richtung sich unsere Landwirtschaft entwickeln soll. Damit wurde auch die Debatte, ob es im Land mehr Bio- und weniger konventionelle Landwirtschaft braucht, neu entfacht.

An Sachlichkeit gewonnen

Im Laufe der Jahre hat sich Vorarlbergs Landwirtschaft massiv verändert. Die landwirtschaftlichen Flächen und produzierten Mengen nahmen zu, die Anzahl der Betriebe aber sank. Aktuell gibt es 4000 bäuerliche Betriebe im Land mit insgesamt 7700 Beschäftigten, wobei die Bio-Betriebe rund 15 Prozent ausmachen. Die Bio Vorarlberg ist der Vernetzungs- und Vermarktungspartner für die rund 500 Bio-Landwirtschaften, die es in Vorarlberg gibt. „Die Zahl geht langsam, aber konstant nach oben“, sagt Geschäftsführer Manuel Kirisits, „und ich bin überzeugt, dass der Bio-Landwirtschaft die Zukunft gehört.“ Gehen Angebot und Nachfrage Hand in Hand? „Im Biomilch-Bereich kann die regionale Nachfrage bedient werden, im Fleischbereich ist die Nachfrage erstmals, im Gemüsebereich schon seit Jahren größer als das Angebot.“ Im schwarz-grünen Regierungsprogramm ist die Ökoland-Strategie 2020 verankert und damit der Passus „Bio mal zwei“, demzufolge der Anteil der Bio-Betriebe und der Bio-Konsumenten bis 2020 verdoppelt werden soll.

Doch darüber hinaus? Nach wie vor gibt es im Land Protagonisten eines reinen Bio-Landes. Doch wird die Debatte, im Vergleich zu früheren Jahren und auch der Regierungsbeteiligung der Grünen geschuldet, wesentlich pragmatischer geführt. Der Tenor lautet: Wie überall in der Wirtschaft muss auch in der Landwirtschaft jedem freistehen, nach welchen Überlegungen er produziert. Großbauer Daniel Allgäuer sagt: „Ich halte nichts von Planwirtschaft.“ Landwirtschaftskammer-Präsident Josef Moosbrugger erklärt: „Es gibt beides in Vorarlberg, und es muss auch beides Platz haben.“ Selbst Kirisits sagt: „Die Landwirtschaft ist vielfältig. Und es ist richtig, dass es Vielfalt gibt. Modelle, die mit der Zwangsjacke verordnet werden, können auch nicht erfolgreich sein.“

Ein neuer Weg, eine neue Debatte

Statt einem Bio-Land das Wort zu reden, hat die Debatte einen anderen Weg eingeschlagen. 2015 lautet die Frage: Soll die Intensivlandwirtschaft beibehalten werden? Oder liegt die Chance in einer hochqualitativen Landwirtschaft, die eine Vielfalt in der Produktion aufweist? Tourismus und Gastronomie etwa drängen auf mehr regionale und mehr spezielle Vorarlberger Produkte. Regional produzierte Lebensmittel mit besonderer Qualität werden immer stärker nachgefragt. Und da der Konsument entscheidet, haben viele Vorarlberger Kleinbauern diesen Weg bereits gefunden – sie produzieren naturnah, vielfältig und mit hoher Qualität. Landesrat Erich Schwärzler sagt: „Die Landwirtschaft hat einen klaren Auftrag: die Vorarlberger Bevölkerung mit qualitativ hochwertigen Lebensmitteln zu versorgen.“ Eine Landwirtschaft, die vom Weltmarkt diktiert werde, wolle er nicht, denn „zu Weltmarktpreisen können wir keine bäuerlichen Betriebe im Land Vorarlberg halten“. Ergo müsse die hiesige Landwirtschaft den eigenständigen Weg beibehalten und weiter beschreiten.  Wohin dieser Weg führt, ist im Übrigen auch eine Frage, welche Flächen künftig noch zur Verfügung stehen werden. Und da wendet sich Moosbrugger mit einer dramatischen Warnung an die Öffentlichkeit: „Tag für Tag werden in unserem Land 1,6 Hektar fruchtbare Böden verbaut und damit den künftigen Generationen entzogen.“

01 Regionales ist gefragt

„Tourismus und Landwirtschaft sind eine Schicksalsgemeinschaft, im positiven Sinn“, sagt Harald Furtner, Spartengeschäftsführer in der Wirtschaftskammer. Beide Bereiche würden die Wertschöpfung im eigenen Land halten und seien eng verbunden – „durch die regionalen Produkte, die wir brauchen, und durch die Landschaftspflege der Bauern“. So arbeite man, was die Vermarktung regionaler Produkte betreffe, seit mittlerweile drei Jahren eng zusammen: „Ziel ist, möglichst viele regionale und hochwertige Produkte von der hiesigen Landwirtschaft zu bekommen, möglichst nicht nur im Segment klassischer Produkte.“ Gefragt wären neue, innovative Produkte im Gemüse- und Obstbereich, aber auch alte Zuchttierrassen: „Wir sind bereit, der Landwirtschaft nicht nur Produkte abzunehmen, sondern auch eine Abnahmegarantie und damit Planungssicherheit zu geben.“ Bedeutsam und wichtig sei, dass man dem Gast das regionale landwirtschaftliche Produkt und dessen Geschichte erzählen könne, wie angebaut und das Tier gehalten worden sei und wie die Philosophie des Landwirts laute. „Vor allem für die kleinbäuerlichen Strukturen ist das eine große Chance“, sagt Furtner. Der Gast, der nach Vorarlberg kommt, will das Land sehen und schmecken, im wahrsten Sinn des Wortes: „Er will Vorarlberg authentisch erleben, und da gehören regionale Produkte mit dazu.“ Das bringt Wettbewerbsfähigkeit für beide, die noch dazu nicht so leicht kopierbar ist. Furtner: „Der Bereich bietet riesige Chancen – der Bedarf von Tourismus und Gastronomie an qualitativ höchstwertigen regionalen Produkten dürfte noch nicht einmal zu 20 Prozent abgedeckt sein.“

02 Erfolg mit alten Nutztierrassen

Der Krumbacher Landwirt und Gastwirt Jürgen Hirschbühl züchtet Moorschweine, Merino-Fleischschafe und vor allem Dexter-Rinder. Diese irischen Wildrinder sind mit 400 bis 450 Kilogramm knapp die Hälfte leichter als andere Rinderarten, „zeichnen sich aber durch ein schön marmoriertes und feinfaseriges Fleisch aus“. Die Rückkehr zu diesen traditionellen Nutztierrassen bedeute aus kulinarischer Sicht einen Gewinn: „Statt des in wenigen Monaten produzierten geschmacksarmen Fleischs aus der konventionellen Tierproduktion wächst das Fleisch der alten Nutztierrassen langsamer.“ Die Gäste in Hirschbühls Gasthof „Adler“ würden die Qualität honorieren, seien auch bereit, den Mehrpreis zu zahlen. Hirschbühls Landwirtschaft produziert sehr naturnah, ist aber kein Bio-Betrieb: „Ich bin auf die ganzen Gütesiegel nicht scharf , weil diese ganzen Namen, Marken und Auszeichnungen nur den Konsumenten verunsichern.“ Seine Gäste würden ihm vertrauen, davon lebe er, und wer wolle, könne jederzeit Stall und Tiere anschauen: „Bei mir ist alles offen.“ An der Landwirtschaft in Vorarlberg sieht der 44-Jährige einiges kritisch: „Eines der Ziele der Vorarlberger Landwirschaft ist es, bis 2020 das Ökoland Nummer eins in Europa zu werden. Da muss sich an der Einstellung der jungen Landwirte noch einiges ändern, beispielsweise weg von Quantität und hin zur Qualität.“ Sein Credo: „Für mich ist nicht wichtig, wie viel, sondern was ich aus der Landwirtschaft hole.“

03 Sparsamer Ressourceneinsatz

Bio-Freilandeier, Freilandeier, Dinkelprodukte und Fleisch von Bio-Heurindern: Der Martinshof setzt auf hohe Qualität, kleine Einheiten, natürliche Produkte und Verbesserungen im Ressourceneinsatz. Unter diesen Maßstäben sind vom Martinshof biologische und konventionelle Produkte erhältlich. Der Martinshof ist ein Netzwerk von  Bauern. Beispiel Freilandeier: In sechs Partnerbetrieben  werden jeweils rund 3000 Freilandhühner gehalten.  Zwei dieser Betriebe wirtschaften nach den Richtlinien für die biologische Landwirtschaft, alle Ställe sind aber für Bio-Freilandhaltung konzipiert. Der Unterschied liegt darin, dass die Bio-Hühner Bio-Futter bekommen. „In Deutschland“, sagt der Bucher Bertram Martin, „gibt es Betriebe mit Millionen Hühnern.“ Es werde in der globalen Wirtschaft langfristig einen Paradigmenwechsel brauchen:  „Kleinere Einheiten würden in vielen  Bereichen für die Menschen und die Umwelt Vorteile bringen.“ Eine Innovation vom Martinshof ist übrigens auch der Dinkelanbau: Mehr als 40 Landwirte bauen inzwischen in Vorarlberg auf 98 Hektar Dinkel an.

04 Abhängig

Das Verhalten der Vorarlberger Konsumenten hat sich verändert: In Vorarlberg produzierte Lebensmittel, egal ob bio oder konventionell, finden immer stärkeren Absatz. „Bio vor regional, so lautet die Devise“, sagt Julius Moosbrugger, Fachgruppengeschäftsführer in der Wirtschaftskammer Vorarlberg. Milch wird in ausreichenden Mengen in Vorarlberg produziert, der Eigenbedarf kann gedeckt werden, Überschüsse werden erarbeitet. Milch, Joghurt und vor allem Käse werden auch exportiert, 40 Prozent nach Angaben der Landwirtschaftskammer. Wichtigster Markt ist Deutschland. Bei Schweinefleisch oder Hühnerfleisch zeigt sich hingegen ein vollkommen anderes Bild: 96 Prozent des Schweinefleischs, das in Vorarlberg auf den Markt kommt, ist aus dem Ausland importiert oder stammt aus anderen Bundesländern, beim Hühnerfleisch sind es sogar 99 Prozent. Der Eigenversorgungsgrad beim Schweinefleisch war im Übrigen auch schon einmal höher: Er lag bei sieben Prozent, sank aber infolge des Vorarlberger Schweinehaltungsskandals. Tierschützer hatten 2011 Beweis­fotos von katastrophalen Zuständen in Vorarlberger Schweineställen veröffentlicht; in der Folge des Skandals wurden fünf Vorarlberger Schweinemastbetriebe geschlossen. Das Konsumverhalten aber hat sich nicht geändert – und der damalige Skandal damit zwei Gesichter. „Es wird gleich viel Schweinefleisch gegessen, nun wird halt noch mehr aus dem Ausland nach Vorarlberg gekarrt“, sagt Landwirtschaftskammer-Präsident Josef Moosbrugger. „Und unter welchen Bedingungen im Ausland produziert wird, weiß niemand.“

05 Wirtschaftlichkeit

Der Betrieb der Familie Allgäuer in Feldkirch-Gisingen gilt als der größte Milchproduzent in Vorarlberg. Der Betrieb hat sich der konventionellen Landwirtschaft verschrieben und orientiert sich, wie Daniel Allgäuer sagt, an marktwirtschaftlichen Gesichtspunkten: „Neben seiner Naturverbundenheit ist der Beruf auch der Wirtschaftlichkeit unterworfen. Wir haben Investitionen zu tätigen und müssen Mitarbeiter entlohnen.“ 120 Kühe werden auf dem Hof gehalten und zusätzlich 160 Jungtiere pro Jahr. Die Milchkühe werden im Melkstand gemolken. Dort wird auch die Milchmenge jeder Kuh aufgezeichnet: „Die bessere Kuh bekommt entsprechend mehr Kraftfutter.“ Eine Kuh in Allgäuers Betrieb gibt pro Jahr 8000 Kilogramm Milch. Die Milchwirtschaft dominiert diesen Betrieb, die Allgäuers handeln aber auch mit Heu und Stroh. Und in einer Biogas-Anlage, die gemeinsam mit den Stadtwerken Feldkirch betrieben wird, wird zudem Strom für rund 300 Haushalte produziert. Wie sieht Daniel Allgäuer – er hat den Betrieb an seine Söhne übergeben – die Debatte über Bio- oder konventionelle Landwirtschaft? „Völlig vorbehaltlos.“ Steige künftig die Nachfrage und ließen sich auch entsprechend höhere Preise erzielen, sei Bio sicher eine Option. Nur müsse sich das entwickeln, dürfe nicht verordnet werden: „Das wäre Planwirtschaft.“ Allgäuer prinzipiell: „Ein Landwirt, der die Landschaft pflegt und gleichzeitig Lebensmittel herstellt, das ist mein Bild von der richtigen Landwirtschaft.“ Die Allgäuers bewirtschaften im Übrigen auch zwölf Hektar Streu- und Blühflächen – und 150 Hektar Alpflächen.

06 Viele Rassen, wenige Exoten

Mit 37.000 Rindern ist das Braunvieh die Hauptrinderrasse in Vorarlberg, gefolgt von rund 12.000 der schwarz-weiß gefleckten Holstein Friesian. Danach folgen das Fleckvieh mit 8500, das Grauvieh mit 1600 und die Red Frisian mit rund 1200 Rindern. Alle anderen Rassen sind jeweils mit weniger als tausend Stück vertreten – der im Bild oben zu sehende Weiß-blaue Belgier, ein Fleischrind, im Zalimtal oberhalb von Brand fotografiert, – ist in Vorarlberg jedenfalls ein regelrechter Exot. Landesrat Erich Schwärzler sagt deutlich: „Auf einer Vorarlberger Alpe hat ein solches Rind eigentlich nichts verloren.“ Der Bauer dürfte da wohl anderer Ansicht sein … Als Turbokuh gilt eine Milchkuh im Übrigen, wenn sie pro Jahr mehr als 10.000 Kilogramm Milch gibt. Fünf Prozent aller Milchkühe Vorarlbergs sollen derartige Turbokühe sein. Ob derartige Züchtungen Sinn machen, ist eine auch in unserer Landwirtschaft recht umstrittene Frage.

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