Andreas Dünser

Chefredakteur "thema vorarlberg" (andreas.duenser@themavorarlberg.at)

Herbert Motter

Von Tradition und Erfolg - Vorarlberg, Land der Familienunternehmen

September 2016

Vorarlberg, das Land der Familienunternehmen: 12.200 Unternehmen dieser Kategorie beschäftigen insgesamt 110.000 Erwerbstätige. Familienunternehmen sind das Rückgrat der Wirtschaft. Wobei die Wurzeln teilweise weit zurückreichen, beim Logistikkonzern Gebrüder Weiss etwa bis in 15. Jahrhundert, bis zum sogenannten „Mailänder Boten“. Eine Bestandsaufnahme, was Familienunternehmen ausmacht, welches ihre Besonderheiten sind – und ein historischer Rückblick auf entscheidende Unternehmensgründungen. So manch großes Unternehmen hatte übrigens bescheidene Anfänge, aber stets eines: einen visionären Gründer.

Das Arbeitsprogramm der österreichischen Bundesregierung umfasst 112 Seiten, das Wort „Familienunternehmen“ kommt darin allerdings nicht ein einziges Mal vor. Und das ist angesichts der maßgebenden Rolle, die Familienunternehmen in unserem Land spielen, zumindest etwas irritierend – vorsichtig gesagt. Denn 90 Prozent aller österreichischen Unternehmen sind Familienunternehmen, höher ist der Anteil nur noch in Deutschland. Über die volkswirtschaftliche Bedeutung dieser Unternehmen lässt sich nicht diskutieren: Die 156.000 österreichischen Familienunternehmen beschäftigen in Summe 1,7 Millionen Menschen – und haben, gemäß der jüngsten Erhebung, im Jahr Umsätze in der Höhe von knapp 365 Milliarden Euro erzielt. Auch in Vorarlberg kommt den Familienunternehmen immense Bedeutung zu. Wie die KMU Forschung Austria erhob, sind hierzulande 12.200 Unternehmen dieser Kategorie tätig; Vorarlbergs Familienunternehmen haben 2015 zusammen einen Umsatz von 23 Milliarden Euro erzielt – und 110.000 der insgesamt 160.000 Erwerbstätigen im Land beschäftigt. Wirtschaftslandesrat Karlheinz Rüdisser sagt: „Die Vorarlberger Familienbetriebe sind das Rückgrat der Vorarlberger Wirtschaft.“

Wobei dieses Rückgrat vielschichtig ist – weil die Bandbreite zwar vom kleinen Handwerksbetrieb bis hin zum international tätigen Großkonzern reicht, das Gros aber selbstredend kleinere Betriebe ausmachen, laut Statistik in ihrer häufigsten Form mit weniger als zehn Mitarbeitern, vor allem im Tourismus, im Bauwesen und – durchaus erstaunlich – auch in der Produktion. Auch wenn es theoretisch klingen mag, ist eine Definition angebracht: Als Familienunternehmen oder Familienbetrieb gilt ein Unternehmen, wenn es maßgeblich von einer Familie oder einem in der Anzahl beschränkten Eigentümerkreis mit verwandtschaftlichen Beziehungen beeinflusst wird.

Besonderheiten

Familienunternehmen weisen gleich mehrere Besonderheiten auf. Ihre Unternehmensstrategie ist auf Nachhaltigkeit angelegt, weiß die Forschung; eine Strategie also, die solide und umsichtig ist und nicht auf kurzfristige Gewinnmaximierung ausgelegt. Dies stellt gleichzeitig auch den größten Unterschied zu Nicht-Familienunternehmen, den Managerunternehmen, dar. Stabilität kommt in diesem Sinne vor Weiterentwicklung – verfolgen die Familien doch in aller Regel ein Ziel: ein gesundes, zukunftsfähiges Unternehmen an die nächste Generation weiterzugeben. Zwingend erforderlich ist da ein längerfristiger Planungshorizont. Und deswegen ist eine Besonderheit von Familienunternehmen, dass sie in aller Regel als langlebiger gelten.

Das älteste Familienunternehmen

Ein Blick in die Geschichte gefällig? Die Gebrüder Weiss sind nach eigenen Angaben gar das „älteste und traditionsreichste Transportunternehmen der Welt“. In der Tat reichen die Wurzeln des heutigen Logistikkonzerns, der 2015 einen Umsatz von 1,28 Milliarden Euro erwirtschaftet hat, mehr als 500 Jahre zurück, bis zum „Mailänder Boten“, der einst im Auftrag der Familie „Viß“, heute Weiss, zwischen Lindau und Mailand Post überbrachte und ab 1474 (!) zur regelmäßigen Einrichtung wurde. Die Gebrüder Weiss haben ihre Geschichte ausführlich aufgearbeitet, in Buchform, gar ein Video produziert; und aus diesem Fundus sollen zwei weitere Daten genannt sein: 1781 wurde der Mailänder Bote Johann Kasimir Weiss Kompagnon in der Faktorei in Fußach, die für Zwischenlagerungen und die Kontrolle der Botendienste zuständig war. Und 1823 kam diese Faktorei schließlich in den Alleinbesitz von Josef Weiss, der mit seinen Halbbrüdern Leonhard und Johann Alois Karl Weiss die Geschäfte unter neuem Namen weiterführte: Spedition Gebrüder Weiss – das mit Abstand älteste Vorarlberger Familienunternehmen. Aber auch andere können auf eine lange Historie zurückblicken. Zwischen 1823 und 1898 wurden gegründet: Fussenegger Textil, Mohrenbräu, Pfanner, Längle, Hilti & Jehle, Josef Mäser, Rhomberg Bau, Loacker Recycling, Schmidt’s Erben, Doppelmayr, Collini.

Wobei die Anfänge zumeist bescheiden waren, wie etwa auf der Homepage des 1886 gegründeten Unternehmens Loacker Recycling nachzulesen ist: Katharina Loacker, die Gründerin, hatte damals im Vorarlberger Rheintal Schrott gesammelt; ein von einem Geißbock gezogener Karren diente dabei als Gefährt. Oder Mäser: 1877 begannen Elisabeth und Josef Mäser mit dem Handel von Heugeschirr in Vorarlberg und dem Allgäu. Ebenso interessant ist die Entstehungsgeschichte von Mohrenbräu: 1784 hatte Josef Mohr in Dornbirn eine Gaststätte mit angeschlossener Brauerei eröffnet, dabei das Haus „Zum Mohren“ genannt und das einen Mohr abbildende Familienwappen für sein Bier gewählt. 1834 wiederum übernahm Franz-Anton Huber Gaststätte samt Brauerei, behielt den Namen der beliebten Gaststätte – und gründete Mohrenbräu.

Kleine Anfänge, große Erfolge

„Familienunternehmen“, sagt Kunsthistorikerin und Betriebswirtin Friederike Hehle, „fangen meistens sehr klein an.“ In vielen Fällen habe der einstige Gründer in einer Garage oder in einem kleinen Gebäude begonnen, mit einer guten Idee, bereit, unternehmerisches Risiko einzugehen, getragen vom Willen, selbstständig zu sein. Blum, Alpla, Meusburger – Vorarlbergs größte Familienunternehmen entstanden auf diese Weise. Julius Blum, der Gründer des heutigen Beschläge-Weltmarktführers, hatte 1952 als erstes Produkt Hufstollen hergestellt, eine Art „Spikes“ für Pferde. 1964 wurde mit der Produktion des ersten Blum-Scharniers der Beginn der Fertigung von verdeckten Möbelscharnieren im Unternehmen eingeleitet, ein Jahr darauf nahm das Unternehmen die ersten Exportgeschäfte außerhalb Österreichs auf. Bei Alpla steht nachzulesen: „Wir schreiben das Jahr 1955, als Alwin und Helmuth Lehner im österreichischen Hard eine Firma gründen. Erste Produktionsstätte ist die Waschküche des Vaters. Das Startkapital besteht aus Mut, Fleiß, einer günstig erstandenen Spritzgussmaschine sowie einer technischen Kreativität und Intelligenz, die bis heute ihresgleichen sucht.“ Meusburger? Vom Werkzeug- und Formenbauer Georg Meusburger 1964 als Einmannbetrieb gegründet.

Standorttreue

Eine weitere – entscheidende – Besonderheit von Familienunternehmen ist ihre regionale Verwurzelung, ihre Standorttreue, die auch bei einer Ausdehnung des Geschäfts auf internationale Märkte bestehen bleibt. Standortmanager Gerald Mathis führt in einem Aufsatz Blum, Doppelmayr und Alpla als beispielhaft für weltweit erfolgreich agierende Unternehmen an, die sich zum Standort Vorarlberg bekennen und damit zum sozialen System, in das sie integriert sind. Und das hat Folgen im positiven Sinn: „Diese Verbundenheit mit dem Standort führt dazu, dass Entscheidungen auf eine andere Weise getroffen werden, als es bei Unternehmen der Fall ist, deren Hauptquartiere irgendwo in den USA oder in Asien sitzen.“ Soll heißen: Schließungen oder Verlagerungen von Standorten lassen sich über tausende Kilometer Entfernung wesentlich leichter fällen, als wenn die Verantwortlichen standortgebunden und ins soziale System integriert sind und sich auch ihrer Verantwortung gegenüber Land und Bevölkerung bewusst sind. „Sich zu der Region zu bekennen, in der man selbst aufgewachsen ist, bereit zu sein, an diesem Standort zu bleiben und zu investieren, das zeichnet Familienunternehmen aus“, sagt Hehle, die sich mit ihrer Agentur „historizing“ auf die Suche nach den Wurzeln von Unternehmen macht.

Historiker Hubert Weitensfelder konnte für sein Buch „Industrie-Provinz. Vorarlberg in der Frühindustrialisierung“ für den Zeitraum von 1812 bis 1870 insgesamt 83 Personen ausmachen, die als Unternehmer oder Teilhaber bedeutender Unternehmen in Erscheinung traten. Dabei waren 57 Prozent der Unternehmer Vorarlberger, die anderen stammten aus anderen Gebieten der Monarchie oder aus anderen Staaten. Nach einem Zeitraum von 110 Jahren, also 1980, existierte in Vorarlberg kein einziges von Personen aus anderen Regionen gegründetes Unternehmen mehr, während – wie auch Mathis anführt – sich über diesen langen Zeitraum immerhin neun von Vorarlbergern gegründete Unternehmen hielten. Getzner Textil, 1818 gegründet, ist eines dieser Familienunternehmen, das auch die schlechten Jahre der Textilindustrie überstand. Getzner Textil im vergangenen Jahr: 200 Millionen Euro Umsatz, 771 Beschäftigte allein in Vorarlberg, 52 Lehrlinge. Apropos: Gebrüder Weiss beschäftigte 2015 insgesamt 49 Lehrlinge. Blum? 284. Doppelmayr? 92. Meusburger? 109.

Die Lehrlinge aller Familienunternehmen ergäben, zusammengerechnet, eine stattliche Zahl, und damit eine weitere Besonderheit: Ein Großteil der familiengeführten Unternehmen, stolz auf die eigene Ausbildungsphilosophie, bildet junge Menschen aus, um selbst den Mangel an Fachkräften zu kompensieren und sich damit die Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten. Ausbildung wird da als Teil eines längerfristigen Leitbildes oder einer Unternehmenskultur angesehen, sagen Forscher: „Die Ausbildungstätigkeit im Unternehmen hat, abgesehen von den betriebswirtschaftlichen Gründen, auch mit Nachhaltigkeit, Unternehmenskultur, Imagepflege und Tradition zu tun.“

Vom Umgang mit Widersprüchen

Familienunternehmen werden aufgrund ihrer langfristigen strategischen Ausrichtung, ihrer Einstellung zu Wachstum und Nachhaltigkeit übrigens als eher risikoavers eingestuft. Gewinne werden häufiger in das Unternehmen reinvestiert, der Fortbestand des Betriebs und dessen Unabhängigkeit sind vielfach wichtiger als die Steigerung der Rendite. Familienunternehmen unterscheiden sich von anderen Unternehmen – klarweise – auch im Bereich der Eigentumsstruktur sowie in der internen Unternehmensorganisation. Aufgrund der beiden sich überlagernden Sphären von Familie und Unternehmen stellen sie einen ganz speziellen Typ von Unternehmen dar, der mit unterschiedlichen und hochkomplexen Herausforderungen konfrontiert ist. Wobei sich der Erfolg von Familienunternehmen laut Meinung der Experten unter anderem in diesem Umgang mit Widersprüchen begründet – den Widersprüchen zwischen der sozial orientierten Familie und dem erfolgsorientierten Unternehmen. Als traditionelle Stärken von Familienunternehmen identifiziert die Forschung auch „das persönliche Engagement des Unternehmers, die starke Einbindung von Familienmitgliedern in das Unternehmen, flache Hierarchien, flexible Strukturen, kurze Entscheidungs- und Kommunikationswege, Eigenverantwortung und Teamgeist“ – Besonderheiten, die nebst organisatorischen Vorteilen vielfach auch die Chance bieten, auf dem Arbeitsmarkt als attraktiver Arbeitgeber zu erscheinen. Die langfristige Bindung der Mitarbeiter an das Unternehmen ist eine weitere Besonderheit. Die Mitarbeiterfluktuation ist geringer als bei Managementunternehmen, und das hat, auch wenn’s pathetisch klingen mag, mit der integrativen Funktion von Werten zu tun, die den Beschäftigten Sicherheit, Vertrauen, Identifikation und damit nachhaltige Motivation geben. „Es ist ein großer Unterschied für die Belegschaft, ob ein Unternehmen von Managern extern geführt wird oder von einer Familie, die auch greifbar ist“, sagt auch Hehle, „für die Identifikation der Mitarbeiter mit dem Unternehmen ist das von großer Bedeutung.“

Wertekanon und Nachfolge

In der Literatur herrscht Konsens, dass sich der langfristige Erfolg dieser Unternehmen auf deren traditionellen Wertekanon stützt. Die Einbettung der Familienunternehmen in ein starkes soziales Geflecht ist deutlicher Hinweis auf die tragende Rolle von Sozialkapital für diese Art von Unternehmen. Sozialkapital wird oft als „Kitt einer Gesellschaft“ bezeichnet. Familienunternehmen sind in diesem Sinne auch Kitt der Gesellschaft. Eine zentrale Herausforderung ist die Nachfolgeregelung. Die jährliche Zahl an Unternehmensübergaben ist in Österreich seit 2003 um 17 Prozent auf rund 6900 Übergaben im Jahr 2012 gestiegen. In Vorarlberg finden im Schnitt 250 Übergaben pro Jahr statt. Für die kommenden Jahre ist ein hohes Niveau an Unternehmensnachfolgen zu erwarten. Bis 2023 werden österreichweit an die 45.000 kleine und mittlere Betriebe vor der Herausforderung stehen, eine Nachfolge zu finden. Und da gibt eines zu denken: Laut Statistik verfügen derzeit lediglich 22 Prozent der Familienunternehmen bereits über einen soliden Nachfolgeplan. Übrigens: Auch im Arbeitsprogramm der Vorarlberger Landesregierung, 77 Seiten stark, werden „Familienunternehmen“ mit keinem Wort erwähnt.

Kommentare

To prevent automated spam submissions leave this field empty.