Nora Weiß

Redakteurin Thema Vorarlberg

Foto: Weissengruber

Herbert Motter

Vorarlberg forscht

Juli 2021

Vorarlbergs Wirtschaft konnte sich in der Vergangenheit – auch aufgrund kluger Innovationen – erfreulicherweise ständig weiterentwickeln, Nischenmärkte erobern und einmal gewonnene Positionen als Weltmarktführer vielfach verteidigen. Know-how- und Technologietransfer zwischen wissenschaftlichen Einrichtungen und Unternehmen spielen bei Innovationsprojekten eine erfolgskritische Rolle. Doch wo steht Vorarlberg als kleines Bundesland in Bezug auf Forschung und Entwicklung?

Forschung und Entwicklung sind die Grundlage für ein nachhaltiges Wachstum und den Wohlstand einer Region. Gerade für den sehr exportorientierten und im internationalen Wettbewerb stehenden Wirtschaftsstandort Vorarlberg ist es essenziell, durch neueste Produkte, Verfahren und Dienstleistungen Marktanteile zu gewinnen und somit Beschäftigung im Land zu sichern.
Patentanmeldungen gelten als sichtbarer Gradmesser der Innovationskraft von Unternehmen. Obwohl bei den Patentanmeldungen in Vorarlberg im Vergleich zum Vorjahr ein leichtes Minus zu verzeichnen ist, liegt die Region im Bundesländervergleich - gemessen an den Einwohnern - nach wie vor mit Abstand an erster Stelle. Mit Tridonic und Julius Blum haben wir in den Bereichen Maschinenbau, Elektrotechnik, Elektronik und Mechatronik gleich zwei Vorarlberger Unternehmen unter den Top 5 mit den meisten Patentanmeldungen in ganz Österreich. 
Auf die Frage, ob die Politik, hier auch die richtigen Hebel ansetzt, sagt der Geschäftsführer der Wirtschafts-Standort Vorarlberg GmbH Jimmy Heinzl: „Die Innovations- und F&E-Förderungen bewegen sich auf konstant hohem Niveau. Um gerade in der jetzigen Phase der Krise Anreize für Unternehmensinvestitionen zu schaffen, bieten die Fördergeber zusätzlich neue und vereinfachte Förderinstrumente an. Diese Systeme sind gut dotiert und wirtschaftlich attraktiv. Darüber hinaus werden seitens der Politik auch die regionalen Forschungsstandorte inhaltlich ständig weiterentwickelt und strukturell ausgebaut.“

„Gerade für einen Region, die so hochindustrialisiert ist wie Vorarlberg, sind Forschung, Entwicklung und technologischer Fortschritt essenziell, da diese die Grundlage für Innovationen darstellen“, betont auch Heinz Seyringer, CEO der V-Research und Forschungsleiter an der FH, und konkretisiert: „Nur als Innovationsführer können wir unsere Position im globalen Markt behaupten und weiter ausbauen. Darüber hinaus hilft die Forschung, die aktuellen Herausforderungen zu meistern, was gerade jetzt nach der Corona-Krise sehr wichtig ist.“ 
Neben Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen tragen vor allem innovative Betriebe zur Attraktivität des Standortes bei. Vorarlbergs Leitbetriebe, aber auch die KMU und Start-ups investieren viel in die Forschung und sind mit neuesten Produkten, Verfahren und Dienstleistungen weltweit erfolgreich. Sie bieten innovative Lösungen für die Probleme der Zeit. „Ein Beispiel hierfür wäre im Verkehrsbereich zu finden, wo es schwierig ist, den steigenden Transportbedarf abzudecken. Durch ein innovatives Stadt-Seilbahnsystem gelang es der Firma Doppelmayr, diese Herausforderung zukunftstauglich zu lösen. In Kürze wird in Paris eine neue Bahn erprobt, und ähnliche Systeme werden bestimmt in zahlreichen weiteren Städten entstehen“, ist Seyringer überzeugt.
Im Gegensatz zu anderen Bundesländern in Österreich werden in Vorarlberg knapp 90 Prozent der Forschung und Entwicklung von den Unternehmen finanziert. Betriebliche Forschungsquoten von bis zu 20 Prozent des Umsatzes sind keine Seltenheit. 
Wird der Anteil der Ausgaben für F&E des Unternehmenssektors an den Gesamtausgaben betrachtet, so ist dieser mit 88,9 Prozent in Vorarlberg am höchsten unter den Bundesländern. Der Schwerpunkt der Vorarlberger Forschungsprojekte liegt vorrangig im Bereich Maschinenbau, gefolgt von den Bereichen elektrische Ausrüstungen und Metallerzeugnisse. Weitere starke Forschungsbereiche sind Datenverarbeitungsgeräte/elektronische und optische Erzeugnisse, Gummi- und Kunststoffwaren, Kraftwagen und Kraftwagenteile, Reparatur und Installation von Maschinen und Ausrüstungen, Architektur- und Ingenieurbüros oder Textilien.

Forschung und Entwicklung in Zahlen

In den vergangenen Jahren sind die Ausgaben für Forschung und Entwicklung in Vorarlberg erheblich gestiegen, die aktuellsten Daten aus der F&E-Erhebung von Statistik Austria für das Jahr 2017 (veröffentlicht im Sommer 2019) zeigen, dass in Vorarlberg zuletzt 314,7 Millionen Euro in F&E investiert wurden. Seit dem Jahr 2013 haben die F&E-Ausgaben damit um knapp 71 Millionen Euro bzw. 29 Prozent zugenommen. Auch die F&E-Quote, welche die Forschungsintensität einer Region widerspiegelt, ist in den letzten Jahren konstant gestiegen und hat mit 1,81 Prozent (2013: 1,64 Prozent) ebenfalls einen neuen Höchstwert erreicht.
Jedoch liegt die F&E-Quote Vorarlbergs weiterhin deutlich unter der österreichischen F&E-Quote von 3,05 Prozent. 
Allerdings ist positiv festzuhalten, dass die F&E-Quote von Vorarlberg zwischen 2015 und 2017 überdurchschnittlich gestiegen ist, bundesweit blieb sie dagegen unverändert, während sie in fünf Bundesändern (Steiermark, Wien, Kärnten, Tirol und Burgenland) sogar rückläufig war. Auch bei den Forschungsausgaben, gewichtet durch die Bevölkerung, ist in Vorarlberg ein positiver Trend festzustellen. Diese erhöhten sich von 652,2 Euro je Einwohner im Jahr 2013 auf 806,3 Euro je Einwohner im Jahr 2017, was einem Anstieg von knapp 24 Prozent entspricht. Im Bundesländervergleich liegt Vorarlberg bei den F&E-Ausgaben pro Kopf im Mittelfeld und etwa vor Salzburg und Niederösterreich. Österreichweit werden je Einwohner 1.283,6 Euro für F&E ausgegeben.

Praxisnahe Forschung

Die Innovationskraft der Betriebe und der Region entscheiden über den Erfolg in der Zukunft, wie Tanja Eiselen, Rektorin der FH-Vorarlberg, herausstreicht: „Um im internationalen Wettbewerb zu bestehen, kann der Wirtschaftsstandort Vorarlberg nur einen Weg gehen: die besten Köpfe ausbilden, diese im Land halten, solide, zukunftsorientierte Qualifikationen vermitteln und innovative Forschung an zukunftsorientierten Themen fördern.“ Die FH Vorarlberg versteht sich in diesem Zusammenhang als Impulsgeber. Es gilt die Abwanderung hoch qualifizierter Fachkräfte, den sogenannten Brain-Drain, zu verhindern und gleichzeitig Studierende aus aller Welt für ein Studium und in weiterer Folge für eine Karriere am Wirtschaftsstandort Vorarlberg zu gewinnen. Derzeit sind an der FH sechs Forschungszentren eingerichtet: Mikrotechnik, Nutzerzentrierte Technologien, Prozess- und Produkt-Engineering, Sozial- und Wirtschaftswissenschaften, Energie (inklusive „Josef Ressel-Zentrum für Angewandtes Wissenschaftliches Rechnen in Energie, Finanzwirtschaft und Logistik“) sowie die Digital Factory Vorarlberg. Klar im Fokus stehen anwendungs- und industrieorientierte Forschungsleistungen, um marktnahe Innovationen voranzutreiben. „Die FH bietet praxisnahe Forschung zu den brennenden Problemen der Zeit, sei es im Rahmen der Digitalisierung, der Energiewende oder dem sozialen Miteinander“, erklärt Eiselen und führt aus: „Gemeinsam mit den Unternehmen und Institutionen der Region entwickeln wir maßgeschneiderte Lösungen, die in der Scientific Community weltweit Aufmerksamkeit erregen.“ Um dem Fachkräftemangel im Land direkt entgegenzuwirken, wird das Angebot der FH Vorarlberg stetig um zukunftsorientierte Studiengänge erweitert. Ab Herbst dieses Jahres ergänzen beispielsweise ein neuer Bachelorlehrgang „Umwelt und Technik“ und ein neuer Masterlehrgang „Wirtschaftsinformatik – Digitale Transformation“ das Portfolio. 

„Die FH bietet praxisnahe Forschung zu den brennenden Problemen der Zeit.“

Tanja Eiselen, Rector of the Vorarlberg University of Applied Sciences

Angewandte Forschung

Besonderes Augenmerk wird in Vorarlberg auf die Stärkung und den Ausbau der angewandten Forschung gelegt. Diese dient als eine Art Brücke zwischen der Grundlagenforschung und dem Bedarf der Wirtschaft. Aus diesem Grund wurde 2004 die außeruniversitäre Forschungs- und Entwicklungseinrichtung V-Research gegründet. Deren Ziel es ist, die heimischen Unternehmen in ihren Forschungstätigkeiten - vor allem in den Bereichen Digital Engineering, Photonics und Tribologie - nachhaltig zu unterstützen. Dabei sind die Kooperationen zwischen Forschungsinstituten und Unternehmen ein Gewinn für beide Seiten: „Für die Industrie bringt es den Vorteil, einen erleichterten Zugang zu den neuesten Forschungsergebnissen zu erhalten und Infos über wichtige Entwicklungen außerhalb ihres Fokusbereichs zu erhalten“, erläutert V-Research CEO Heinz Seyringer: „Für die Forschungseinrichtungen auf der anderen Seite sind die Fragestellungen aus der Industrie essenziell, um zu sehen, in welche Richtung sich die Forschung bewegen muss, um zukünftige Innovationen gut zu unterstützen.“ Gerade in der Kooperation sieht Seyringer aber noch viel ungenutztes Potenzial: Forschungsprojekte verliefen derzeit meist bilateral zwischen einer Firma und einer Forschungseinrichtung, was gut sei, aber nicht berücksichtige, dass es im Land oft eine ganze Reihe von Firmen mit ähnlichen Aufgabenstellungen gebe und eine Bündelung dieser Aktivitäten die Kosten für alle reduzieren würde. Das langfristige Ziel müsse also eine verstärkte Investition in kooperative Forschung sein. „Die Vorarlberger Forschung sollte als firmenübergreifende ‚Forschungsabteilung‘ die vorwettbewerbliche Forschung für eine ganze Anzahl von Firmen übernehmen und diese Resultate sollten dann in den Firmen für die jeweiligen Produkte genutzt werden“, schlägt Seyringer vor. Themen einer solchen überbetrieblichen Forschung könnten Datenanalyseverfahren (Vorhersage von Maschinenausfällen, Vorhersage möglicher Buchungslagen im Tourismus,…) oder Kamera-Themen (autonomes Fahren, Qualitätskontrolle am Fließband,…) sein. Hierfür bietet sich Vorarlberg mit seiner geringen Größe bestens an, denn die räumliche Nähe aller Player bringt für die Dynamik in Forschung und Entwicklung diverse Vorteile. Kostspielige technische Infrastruktur kann gemeinsam genutzt werden, Ressourcen können effizienter eingesetzt werden und die Unternehmen können Kosten sparen. Das so gewonnene Budget lässt sich in weitere Entwicklungen investieren und trägt in Folge zu einer verbesserten Marktposition bei. 
Um die Attraktivität des Standortes langfristig zu sichern, gilt es massiv in die Aus- und Weiterbildung zu investieren, vor allem im Bereich MINT. Schon bei den Kleinsten sollten Kreativität, kritischer Forschungsgeist und Umweltbewusstsein verstärkt gefördert werden. 
Zudem sollten Gleichstellung und Diversität in der Forschung und Entwicklung angestrebt werden. Es gilt Forschungskarrieren attraktiver zu gestalten und diese insbesondere bei Frauen zu fördern. 
Zur Stärkung des Bewusstseins für Wissenschaft, Forschung und Innovation wurden in Vorarlberg zahlreiche Veranstaltungen in Leben gerufen. Etwa über die Lange Nacht der Forschung, die innovation(night), den Innovationspreis und andere Formate, sollen Wissenschaft und Forschung für breite Bevölkerungsschichten zugänglich gemacht werden. 

 

„Unsere Forschungs­anbieter entwickeln sich substanziell weiter.“

Jimmy Heinzl, Managing Director of WirtschaftsStandort Vorarlberg GmbH (WISTO)

Forschungspartnerschaften

Als universitäre Einrichtung entstand 1982 in Dornbirn das Institut für Textilchemie und Textilphysik der Universität Innsbruck. Mit der Gründung des Vereins „Technikum Vorarlberg“ wurde das Land 1989 zur Wiege des österreichischen Fachhochschulwesens. In den 1980er und 90er Jahren verdichtete sich die Vorarlberger Forschungslandschaft weiter. Auch wenn Vorarlberg über keine eigene Universität verfügt, so gibt es dennoch mehrere universitäre Einrichtungen, die Wissenschaft und Forschung auf höchstem Niveau betreiben. Der in Dornbirn gelegene CAMPUS V bildet durch die Unternehmen und Institutionen am Standort und die FH Vorarlberg eine räumliche Plattform, um die Bereiche Wirtschaftsdienstleistungen, Wissenschaft und Forschung sowie Kreativwirtschaft zu vernetzen. Mit zwei aktuellen Projekten wird die Forschungs-und Innovationslandschaft in Vorarlberg weiter gestärkt. Die „Digital Factory Vorarlberg“ an der FH Vorarlberg kommt im Projekt CIDOP (Cloud Based Information System For Distributes And Optimized Production) der digitalen Vernetzung in der Fertigung einen wesentlichen Schritt näher, und das Textil-Kompetenzzentrum TCCV erhielt den Zuschlag für einen substanziellen Ausbau, um durch Spitzenforschung einen sichtbaren Beitrag für den zunehmenden Bedarf an textilbasierten technischen Technologien zu leisten.
„Unsere Forschungsanbieter entwickeln sich substanziell weiter. Sie arbeiten noch intensiver mit heimischen Unternehmen zusammen, um marktnahe Innovationen und Wachstumschancen schneller zu realisieren“, erklärt Jimmy Heinzl, Geschäftsführer der Wirtschafts-Standort Vorarlberg GmbH (WISTO). Gerade jetzt sei es wichtiger denn je, in Forschung und Entwicklung zu investieren, Innovationen voranzutreiben und dadurch die Wirtschaft anzukurbeln.
Wie wichtig Forschungspartnerschaften für Vorarlbergs Unternehmen sind, zeigt sich am Beispiel Getzner Textil. „Das Institut für Textilchemie und Textilphysik und das COMET-Projekt sind Vorzeigeprojekte, sodass man – auch wenn man nicht direkt Universitätsstadt ist – sehr eng mit Universitäten kooperieren kann. Es entstehen auch weitere Kooperationen, natürlich mit Innsbruck, aber auch mit anderen – etwa mit der ETH Zürich oder der Hochschule St. Gallen“, betont der Holding Chef Georg Comploj. Das eine oder andere wichtige Thema werde versucht mit der Fachhochschule Vorarlberg anzugehen. „Nicht nur, weil wir uns schwer tun, Personal zu rekrutieren, sondern auch, weil wir zwingend eine wissenschaftliche Komponente im Land brauchen“, sagt Comploj.
Derzeit wird in Vorarlberg auch am Aufbau eines Forschungsinstitutes für Lebensmittelchemie und -technologie gearbeitet. Zahlreiche namhafte Lebensmittel- und Getränkehersteller sind daran beteiligt. An kreativen und innovativen Ideen scheint es in Vorarlberg nicht zu mangeln.

 

Für die Innovation ihrer Produkte, Verfahren, Dienstleistungen und Geschäftsmodelle führen viele Unternehmen eigene Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten durch oder setzen dabei auf die Zusammenarbeit mit heimischen oder internationalen Partnern: Doppelmayr, FH Vorarlberg-Forschung, Technische Textilien und Metzler Fertigungstechnik.

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