Andreas Dünser

Chefredakteur "thema vorarlberg" (andreas.duenser@themavorarlberg.at)

„Vorarlberg hat sich hervorragend entwickelt“

Mai 2019

Der gebürtige Vorarlberger Gerhard Schwarz (68), langjähriger Leiter der NZZ-Wirtschaftsredaktion, im Interview – über Stärken und Schwächen des Wirtschaftsstandorts Vorarlberg.

Was sind denn in Ihren Augen Stärken – aber auch Schwächen – des Wirtschaftsstandorts Vorarlberg?

Zu den Stärken zähle ich eine insgesamt sehr leistungswillige Bevölkerung, eine halbwegs ausgeglichene Wirtschaftsstruktur, eine gute Balance zwischen Verwurzelung und Offenheit – nicht zuletzt, weil die Vorarlbergerinnen und Vorarlberger zum Studium wegziehen müssen, und die Grenzlage. Vermutlich ist es sogar mehr Vor- als Nachteil, dass die Schweiz nicht zum Euro-Raum zählt, weil Vorarlberg damit die Rolle eines Türöffners zu diesem Wirtschaftsraum spielen kann. Zu den Schwächen gehört die unglaubliche Zersiedelung, die es fast verunmöglicht, den öffentlichen Verkehr zu einer wirklich überzeugenden Alternative zum Privatverkehr auszubauen. Außerdem ist auch die Anbindung an die großen europäischen Verkehrsachsen unbefriedigend. Mit dem Zug braucht man nach München und auch nach Zürich zu lange, die fehlende Autobahnspange in die Schweiz ist ein ökonomisches und ökologisches Ärgernis, und auch Mailand und Salzburg sind zu schlecht erreichbar. Vorarlberg liegt inmitten dieser Städte, aber es ist doch zu weit von ihnen entfernt.
 
Wie hat sich der Standort in Ihren Augen entwickelt – und wohin sollte er sich entwickeln?

Vorarlberg hat sich hervorragend entwickelt. Die Zahlen sprechen ja für sich. Es muss offen bleiben für den Strukturwandel. Zur internationalen Anbindung kann es, außer dem Bau der Autobahnspange, wenig beitragen. Hingegen sollte es mit Verdichtung, technologischen Lösungen wie „Monorail“ oder Seilbahnen und dem Konzept einer Gartenstadt Rheintal der Verkehrsmisere und der Zersiedelung entgegenwirken.
 
Wie nimmt man den Wirtschaftsstandort Vorarlberg aus Schweizer Sicht wahr, gerade auch im Rückblick auf den „Kanton Übrig“? 

Ich werde in der Schweiz sehr oft auf die außerordentlich positive Entwicklung Vorarlbergs angesprochen. Hier muss man dem Tourismus ein Kränzlein winden, denn transportiert wird das positive Image vor allem durch die vielen Schweizerinnen und Schweizer, die in Vorarlberg Ferien machen. Zwar realisiert nur ein kleiner Teil davon, dass auch Industrie und Gewerbe sowie andere Dienstleistungen große Fortschritte gemacht haben, aber alle sehen, dass das Land wohlhabend geworden ist – und das bei insgesamt hoher Lebensqualität. Gelegentlich höre ich auch, dass es seinerzeit, nach dem Ersten Weltkrieg, ein Fehler gewesen sei, Vorarlberg nicht in die Eidgenossenschaft aufgenommen zu haben. Ganz ernst ist das zwar meist nicht gemeint, aber ein größeres Zeichen des Respekts und der Sympathie kann man sich von Schweizer Seite eigentlich nicht vorstellen.

Droht der Erfolg Vorarlbergs – das Exportvolumen hat sich seit dem EU-Beitritt mehr als vervierfacht – auch saturiert zu sein? Oder lässt der Vorarlberger Pragmatismus eine solche Saturiertheit erst gar nicht zu?

Die Frage hat etwas Anmaßendes in sich und gibt die Antwort damit schon fast selbst. Selbstverständlich ist Vorarlberg nicht gegen die Wohlstandsverwöhnung gefeit. Das Bewusstsein, dass Wohlstand auf Leistung, Innovation und Offenheit für Neues beruht und nicht auf Umverteilung, schwindet auch in Vorarlberg. Im europäischen Vergleich steht das Land nicht schlecht da, aber in vielen Regionen dieser Welt ist der Leistungswille größer und die Wachstumsmüdigkeit kleiner. Das im Auge zu behalten ist für die weitere gedeihliche Entwicklung fundamental.

Vielen Dank für das Gespräch!

Zur Person

Gerhard Schwarz (*19. April 1951) hat 16 Jahre lang die Wirtschaftsredaktion der NZZ und als Direktor anschließend die Denkfabrik „Avenir Suisse“ geleitet. Schwarz ist heute als freier Publizist tätig und schreibt unter anderem regelmäßig eine Kolumne für die NZZ.

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