Babette Hebenstreit

Babette Hebenstreit leitet den Masterstudiengang Nachhaltige Energiesysteme. Die technische Physikerin lehrt und forscht seit 2015 an der FHV im Bereich ther­mische Energietechnik, Optimierung und Nachhaltigkeit.

Vorarlbergs Energiezukunft autark oder vernetzt?

Mai 2022

Derzeit großer Wunsch vieler Unternehmen: Energieautarkie. Unabhängig werden von Gas, Öl oder Strom und von schwankenden und schwer vorhersehbaren Preisen. Ist das realistisch, ist das überhaupt vernünftig?

Studierende des Masterstudiengangs Nachhaltige Energiesysteme an der Fachhochschule Vorarlberg (FHV – Vorarlberg University of Applied Sciences) erkunden derzeit eine autarke Energieversorgung der Sarotlahütte des Alpenvereins. Eine Berghütte ist tatsächlich eines der wenigen Beispiele, wo Energieautarkie – wirtschaftlich und ökologisch – Sinn macht. Im Gegensatz dazu wird die Energiezukunft Vorarlbergs vernetzt sein, nicht autark. 
Das derzeitige Energiesystem baut auf fossile, primärenergetische Speicher. Nationale Erdgasspeicher genauso wie Heiz­ölspeicher im Keller ermöglichen Flexibilität in der Erzeugung. Das zukünftige Energiesystem basiert (voraussichtlich) überwiegend auf Strom aus Wind und Sonne. Diese Kraftwerke lassen sich abschalten, aber nicht nach Bedarf hochfahren. Drei wesentliche Pfeiler werden den Umbau erleichtern: Erstens braucht es tragfähige und intelligente Strom­netze, um den Wind- und Sonnenstrom quer über Europa zu verteilen. Zweitens müssen bestehende flexible und nachhaltige Ressourcen wie Holzkraftwerke und Pumpspeicherkraftwerke unterstützend eingesetzt werden. Drittens wird ein wesentlicher Anteil der nutzbaren Flexibilität im Energiesystem zum Verbraucher wandern.
Mit der Nutzung von Flexibilitäten beschäftigen sich auch Forscher:innen des Josef Ressel Zentrums für intelli­gente thermische Energiesysteme am Forschungszentrum Energie der FHV. Zusammen mit Partnern aus der Industrie (BERTSCHenergy, Gantner Instruments, innotech MSR, Rupp AG, Weider Wärmepumpen GmbH) untersuchen sie Möglichkeiten, die aus der Digitalisierung von Energiesystemen einen Mehrwert schaffen. „Wir entwickeln und testen vorausschauende Betriebsstrate­gien für thermische Energiesysteme, die einen möglichst effizienten Verbrauch erneuerbarer Energien bewerkstelligen“, erklärt Peter Kepplinger, Senior Postdoc an der FHV.
Ähnlichen Fragestellungen widmen sich Masterstudierende. Mit Methoden aus Modellbildung, Data Science und Optimierung ermitteln sie zum Beispiel die Wirtschaftlichkeit von Photovoltaik-Batteriespeicher-Lösungen zur Spitzenlastreduktion. Die Analyse und Bewertung von Energielösungen ist ihre Kernkompetenz. Absolvent:innen werden in Unternehmen auf zumindest drei Ebenen die Energiezukunft mitgestalten. Sie können den CO2-Unternehmensfußabdruck berechnen und Hebel für Reduktionen identifizieren. Sie können Betriebsstrategien für das Lastmanagement von Wärmepumpen, Laden von Elektroautos oder auch Produktionsanlagen entwickeln. Zu guter Letzt können sie erneuerbare Energieanlagen, zum Beispiel Photovoltaik-Anlagen für Betriebsdächer, wirtschaftlich auslegen.
Energieautarkie auf Unternehmens­ebene würde zum Beispiel Batteriespeicher benötigen, die einerseits teuer und verlustbehaftet sind, und andererseits einen großen ökologischen Rucksack mitbringen. Im Gegensatz zur Alpenvereinshütte, die eine Insellösung benötigt, liegt die Chance für Unternehmen in der Vernetzung. Vorarlberger Pumpspeicherkraftwerke werden weiterhin die „Batterien“ Europas sein. Auch energieintensive Unternehmen werden grenzüberschreitend am Energiemarkt teilnehmen. Andere Unternehmen, Haushalte und landwirtschaftliche Betriebe werden sich in lokalen Energiegemeinschaften zusammenschließen, um selbst produzierten Strom oder Biogas regional wirtschaftlich zu nützen. Die gegenseitige Vernetzung und der hohe Anteil an Infrastruktur im Energiesystem statt der hohen Importkosten bei fossilen Energien wird hoffentlich preisdämpfend und -stabilisierend wirken, auch ohne Autarkie.

Kommentare

To prevent automated spam submissions leave this field empty.