Herbert Motter

Wenn aus Altem Neues wird - Vorarlberger Textilwirtschaft

Februar 2016

Die Untergangsstimmung nach dem textilen Aderlass – beginnend Mitte der 1980er-Jahre – ist passé. Aus der Not hat die verbliebene Textilbranche eine Tugend gemacht, um letztlich in Nischen an vergangene Erfolge anzuknüpfen, denn in klassischen Märkten neue Absatzmärkte zu finden, war beinahe unmöglich. Wer es nicht schaffte, mindestens ein zweites Standbein aufzubauen, für den brachen schwierige Zeiten an. Nach der Abwanderung der Modeindustrie und des Bereichs der Heimtextilien aus Europa sind die technischen Textilien übrig geblieben – der Bereich, der weltweit am stärksten wächst. Rund die Hälfte des Umsatzes der heimischen Textilindustrie wird heute mit technischen Textilien gemacht. Sogenannte „smart-textiles“ haben einen weltweiten Siegeszug angetreten. In der Automobil- und Flugzeugtechnik kommen sie bereits zum Einsatz, in Zukunft sollen sie auch Wundpflege und Patientenversorgung erleichtern. Vorarlberger Unternehmen mischen dabei kräftig mit.

Vor zehn Jahren wurde mit der Entwicklung im Bereich Nanotechnologie begonnen. Fünf Jahre später bildeten sich erste Innovationsgruppen von Textilern und Stickern, um die Möglichkeiten auszuloten, was die vorhandenen Technologien vom Flugzeugbau bis hin zur Medizintechnik zu leisten imstande sind. An die Stelle der großen Textilfabriken sind heute eine ganze Reihe hoch innovativer Unternehmen getreten, die sich in Nischen, in denen höchste Qualität und Know-how gefragt sind, hervorragend positioniert haben und damit weltweit erfolgreich sind.

smart-textiles Plattform

Verantwortlich für diese Neuorientierung und die positive Dynamik in den letzten Jahren ist unter anderem auch die smart-textiles Plattform, ein Zusammenschluss von Textilbetrieben mit dem Ziel, „das bestehende textile Know-how in der Wirtschaftsregion für neue und innovative Produkte gemeinschaftlich nutzbar zu machen“, erklärt der Initiator der Plattform, Günter Grabher. Im Rahmen von Verbundforschungsprojekten können beispielsweise neuartige technische Textilien wie Leichtbauteile für die Automobilindustrie oder auch neue hoch automatisierte Herstellverfahren für technische Textilien entwickelt werden. „Das enorme Potenzial liegt darin, dass für die Konzeption und die Herstellung neuester Produkte im Bereich der technischen Textilien in der Wirtschaftsregion sämtliche Kompetenzen im Umkreis von 30 Kilometern verfügbar sind“, zeigt sich Grabher überzeugt vom Vorsprung der heimischen Textilwirtschaft gegenüber anderen Regionen.

Textile Kompetenz auf engstem Raum

In Vorarlberg ist enormes, über lange Jahre gereiftes textiles Know-how vorhanden. Die Rahmenbedingungen sind exzellent, doch die Konkurrenz schläft nicht. Besonders Deutschland hat eine riesige Forschungsinfrastruktur aufgebaut. Dort wird in 17 Textilforschungsinstituten getüftelt. Hierzulande wird auf familiäre und schnelle Kontakte gesetzt. Die kurzen Wege machen es aus, das bringt Vorteile. Hingegen fehlen oft Manpower und Geld. Daher nehmen die Firmen im Land vermehrt die Hilfe von Forschungsinstitutionen in Anspruch. Wesentliche Basis der Innovationserfolge ist eine enge Zusammenarbeit der regionalen Textilwirtschaft mit dem Institut für Textilchemie und Textilphysik in Dornbirn, einer Außenstelle der Universität Innsbruck

„Mit dem universitären Textilinstitut in Dornbirn haben wir einen riesigen Vorteil. Dazu kommt nun neu auch die Stiftungsprofessur, die sich vornehmlich mit Verbundmaterialen und textilen Funktionen beschäftigt. Von der wissenschaftlichen Begleitung her sind die Voraussetzungen optimal. Dennoch sind wir auf Kontakte im umliegenden Ausland angewiesen, weil sich dort Know-how und Spezialisten befinden“, bestätigt Georg Comploj, Industriespartenobmann und Geschäftsführer von Getzner, Mutter & Cie.

Die vergangenen Errungenschaften und Kompetenzen der klassischen Textilindustrie bilden nun die Basis für aktuelle und zukünftige Entwicklungen. Unternehmen in der Region stehen noch immer für die gesamte Wertschöpfungskette der Textilverarbeitung. Zudem hat der starke Innovationscharakter der heimischen Textilbetriebe dazu geführt, dass Vorarlberg nach wie vor das textile Zentrum Österreichs und gleichzeitig Innovationsmotor in der Entwicklung von Hightech-Textilien ist.

Lange Zeit wurden die Wirtschaftszweige isoliert und der Textilbereich als rein bekleidungsorientiert betrachtet. „Im Laufe der 90er-Jahre benötigten Produkte aber immer beweglichere Strukturen, da tauchte die Textilfertigung wieder auf, als die Technologie, um Materialien diese Eigenschaft mitzugeben. Somit drang die Textilindustrie plötzlich vermehrt in andere Bereiche ein. Innovative, moderne Betriebe im Land begannen sich mit Verbundwerkstoffen, Composites und intelligenten Produkten mit strukturiertem Aufbau zu beschäftigen“, spricht Thomas Bechtold, Leiter des Instituts für Textilchemie und Textilphysik in Dornbirn, von den Anfängen technischer Textilien in Vorarlberg. Bechtold hält die heimische Situation in Vorarlberg aufgrund der gemischten Unternehmensstruktur für sehr vorteilhaft. Neben Textil finden sich Elektronik sowie Werkstoffe vom Metall bis Kunststoff. Eine hohe Kompetenzdichte plus die qualitativ hochwertige Expertise der Unternehmen machen das Umfeld ideal.

„Textile Produktionstechniken sind die Grundtechnologien für die Herstellung von flexiblen technischen Produkten und Leichtbaustrukturen. Durch die vielen Möglichkeiten, unterschiedlichste textile Verbundwerkstoffe und faserverstärkte Konstruktionen herzustellen, bieten diese Materialien ein einzigartiges Potenzial für viele technisch innovative Anwendungen und neue Funktionselemente“, erklärt Bechtold.

Beispiele für konkrete Anwendungen

  • Durch Karbonfasern gelang es, dem Anspruch immer leichterer Fahrzeuge mit weniger Energieverbrauch und weniger CO2-Ausstoß gerecht zu werden. Die große Herausforderung ist nun, diese Produktionsvorgänge effizienter zu machen und stärker zu automatisieren, um den Ansprüchen der Automobilindustrie zu entsprechen.
  • In der Elektromobilität spielt das Fahrzeuggewicht eine bedeutende Rolle, wenn es um die Reichweite solcher Fahrzeuge geht. Die heute eingesetzten Batterie-Blöcke machen bis zu 50 Prozent des Gesamtgewichts von Elektrofahrzeugen aus. Mit textilen Herstellungsverfahren ist es gelungen, eine neue Generation von Batterie­elektroden zu entwickeln, die es ermöglichen, schwere Metalllegierungen durch leichte Textilstrukturen in Batterien und Brennstoffzellen zu ersetzen.
  • Den sogenannten E-Textilien wird eine große Zukunft vorausgesagt. Schon heute finden im Bereich der Sporttextilien solche smart-textiles ihren immer beliebteren Einsatz, um Körperfunktionen wie Puls, Blutdruck und Atemfrequenz über ein Sensor-T-Shirt zu detektieren.
  • Gestickte Bewehrungen aus technischen Fasern erlauben die Herstellung leichter und hochfester Betonfertigelemente. Die Stickereitechnologie macht es auch möglich, Stahlgitter durch Glasfaserstrukturen zu ersetzen.
  • In einer Forschungskooperation werden neue waschbare Sensoren zur Detektion von Nässe in Pflegebetten entwickelt. Die neuen Sensoren ermöglichen die rasche Erkennung von Nässe, was dem Pflegepersonal die Möglichkeit gibt, notwendige Maßnahmen schneller und zielgerichteter durchzuführen. Derzeit läuft ein Versuchsprojekt im Altersheim Dornbirn.
  • Faserverbundwerkstoffe gelten im Leichtbau als Schlüsseltechnologie für alle Bereiche, in denen es um Gewichts­einsparungen zur Verbesserung der Energie- und Ressourceneffizienz geht.

Mit der Jeans das Handy steuern, interaktive Möbel und Teppiche

Google arbeitet zusammen mit Levi’s an einer intelligenten Jeans, die in der Lage ist, das Handy durch Wischgeste zu steuern. Levi Strauss möchte in Zukunft smarte Stoffe in Bekleidungsstücke einarbeiten, die wiederum als Eingabe­instrumente für die Bedienung von Mobilfunkgeräten, Tablets, Computern und Ähnlichem fungieren. Mit dem „Project Jacquard“ will Google vernetzte Kleidung massentauglich machen. Die Technologie soll dann auch in Möbel mit Stoffbezug oder in Teppiche integriert werden. Dass ein Unternehmen wie Google in smart-textiles Potenzial erkennt und investiert, gilt als ein signifikantes Zeichen für die Zukunftsfähigkeit der Branche und macht auch hierzulande Hoffnung, denn davon könnten auch Vorarlberger Unternehmen profitieren. Thomas Bechtold: „Google wagt sich in eine Struktur hinein, in der eine ganz bestimmte Expertise erforderlich ist, zurück zur Materialtechnologie und textilen Fertigung. Das ist etwas, was unseren Textilern enorm entgegenkommt, weil wir viele Unternehmen mit einer Fertigungstechnik auf hohem Niveau vorweisen können.“ Aktuell hofft die Branche auf weitere Forschungsgelder und die Förderzusage für ein „Textiles Kompetenzzentrum für smart-textiles“.

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