David Stadelmann

* 1982, aufgewachsen in Sibratsgfäll, ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Bayreuth, Fellow bei CREMA – Center for Research in Economics, Managemant and the Arts; Fellow beim Centre for Behavioural Economics, Society and Technology (BEST); Fellow beim IREF – Institute for Research in Economic and Fiscal Issues; Fellow am Ostrom Workshop (Indiana University); Mitglied des Walter-Eucken-Instituts.

 

Wenn die Inflation schneller steigt als die Zinsen

Dezember 2022

Die hohe Inflation hat wenigstens drei Gründe: [1] Die lockere Geldpolitik der Zentralbanken. [2] Die Schulden- und Ausgabenpolitik der Regierungen, die insbesondere während der Pandemie das Geld wie Manna vom Himmel regnen ließen und gleichzeitig die Wirtschaftsaktivität mit Lockdowns einschränkten. [3] Die Angebotseinschränkungen aufgrund der anhaltenden Zero-Covid-Politik in China, der russischen Invasion in der Ukraine und der Sanktionspolitik.

Der Zukunft zugewandt
Über die Versäumnisse der Vergangenheit braucht man keine Träne mehr zu vergießen. Die Lockdown-Politik lässt sich nicht mehr ungeschehen machen und die Schulden sind da. Russische Energie dürfte selbst bei einem derzeit nicht absehbaren Friedensabkommen nicht mehr in dem Ausmaß zur Verfügung stehen, wie vor dem Krieg. Die gesamtwirtschaftliche Nachfrage in den Ländern der europäischen Union wird sich an das verminderte Angebot an Energie und Gütern anpassen müssen. Sprich, der Wohlstand in Europa sinkt. Mit einer klugen Energie- und Wachstumspolitik ließe sich die gesamtwirtschaftliche Produktion über die Zeit wieder erhöhen. Gleichzeitig muss das Feuer der Inflation schnell gelöscht werden, bevor noch größere Wohlstandsverluste entstehen. 
Der Vertrag von Maastricht regelt klar, dass die Europäischen Zentralbank (EZB) die Preise stabil zu halten habe. Preisstabilität ist ihr vorrangiges Ziel und bis zu dessen Erreichung darf sie keine Abwägung mit anderen Zielen wie Wachstum, Arbeitslosigkeit oder gar der „Klimarettung“ vornehmen. Sie muss zur Erreichung der Preisstabilität auch keine Rücksicht auf kurzfristig orientierte, ideologisch motivierte Politiker nehmen. Selbst wer behauptet, die EZB träfe keine Schuld an der derzeitigen Inflation, kann mit Blick auf den Vertrag von Maastricht nicht behaupten, die EZB müsse nichts gegen die Inflation tun.
Das Ziel der Preisstabilität ist nicht abhängig von den Gründen für die Inflation, sondern von den Möglichkeiten, die Inflation zu bekämpfen. Und diese Möglichkeiten hat die EZB. 

Zinsen und Inflation
Das Prinzip der Inflationsbekämpfung besagt: Die Zinsen müssen schneller steigen als die Inflation. 
Wird dieses Prinzip nicht beachtet, fallen die inflationsbereinigten Zinsen, sprich die Realzinsen sinken. Dann ist es ein Geschäft, sich zu verschulden. Beträgt die Inflation rund elf Prozent – wie im Oktober im Euroraum – bei nominellen Zinsen von zwei Prozent, rentiert es sich, Güter auf Pump zu kaufen. Bei einer Inflation von elf Prozent werden die gekauften Güter nächstes Jahr um elf Prozent teurer. Die zu zahlenden Zinsen sind aber nur zwei Prozent, womit der verschuldungsfinanzierte Kauf einen hübschen Gewinn bringt. Weil das jeder schnell versteht, will jeder mit Schulden neue Güter kaufen. Die Nachfrage steigt, die Inflation galoppiert vollends davon.  Folgt eine Zentralbank hingegen dem Prinzip der Inflationsbekämpfung, dann erhöht sie die Zinsen jeweils, wenn sich die Inflation erhöht. Das bremst die Nachfrage nach Krediten, womit die Nachfrage nach Gütern zurück geht und über kurz oder lang Preisstabilität zurückkehrt. Das Prinzip, dass die Zinsen schneller steigen müssen als die Inflation, ist auch in Einführungslehrbüchern in die Volkswirtschaftslehre als „Taylor Regel“ bekannt. Hausverstand ist völlig ausreichend, um das Prinzip zu verstehen. 

Erwartungen sind entscheidend
Die EZB hält sich derzeit nicht an das Prinzip der Inflationsbekämpfung. Die Anwendung des Prinzips bereitet tatsächlich Kopfzerbrechen. Der Grund dafür ist leicht verständlich. 
Bei Entscheidungen über Verschuldung geht es um die Zukunft. Die Inflation der Vergangenheit spielt dabei im Grunde keine Rolle. Die realen Finanzierungskosten in der Zukunft hängen von der zukünftigen Inflation ab. Ist die Inflation in Zukunft hoch, sind bei gegebenen Zinsen die Kosten heutiger Verschuldung tief. Daher spielen die Inflationserwartungen eine zentrale Rolle, ob man glaubt, dass sich Verschuldung lohnt, oder nicht. Glauben viele, dass sich Verschuldung aufgrund hoher erwarteter Inflation lohnt, treibt das die Inflation tatsächlich hoch. 
Bürger und Unternehmen haben Erwartungen bezüglich der Inflation in der Zukunft. Sie hängen mitunter von der vergangenen Inflation oder ihrem Vertrauen in die Politik ab. Für ihre Zinspolitik und die Abschätzung der Inflation in der Zukunft versucht die EZB, die Inflationserwartungen über Umfragen abzufragen. Die Glaskugeln der EZB sind volkswirtschaftliche Modelle, die mit der abgefragten Zukunftserwartung der Bürger gefüttert werden.
Nun hängt die Inflationserwartung der Bürger vom Zeithorizont ab. Während nach kürzlich veröffentlichten Daten der Deutschen Bundesbank die Inflationserwartung von Privatpersonen für die kommenden zwölf Monate an zehn Prozent kratzt, liegt sie für die kommenden fünf Jahre bei rund sechs Prozent und für die kommenden zehn Jahre bei etwa fünf Prozent. Insofern müsste die EZB die Zinsen weiter erhöhen, je nach betrachteter Zeitperiode sehr stark oder etwas weniger stark. Sie hat einen beträchtlichen Ermessensspielraum. Sie könnte sogar argumentieren, ihre späten, aber doch recht klaren Zinsschritte zeigten, wie ernst sie ihr Mandat der Preisstabilität nehmen würde. Sie mag dabei hoffen, dass ihr vertraut wird und die Inflationserwartungen für die Zukunft fallen. 

Daten statt Glaskugeln
Das Geld hat wegen der Inflation an Wert verloren. Nun braucht man über vergangene Inflation keine Träne mehr zu vergießen. Doch bedeutet das nicht, dass man aus der Vergangenheit nichts lernen kann. Die Glaskugeln von EZB, Politik, aber auch Finanzmarktteilnehmern taugten vor einem Jahr nicht, die derzeitige Inflation auch nur annähernd korrekt vorauszusagen.  Je höher die Unsicherheit über die Zukunft, desto mehr vertrauen manche auf Glaskugeln und achten nicht auf die Daten der Vergangenheit. Doch bei aller Betonung, wie wichtig der Blick nach vorne ist, empfiehlt sich das umgekehrte Vorgehen. Glaskugeln liefern gute Resultate, wenn es im Grunde keine Unsicherheit gibt. Je unsicherer die Zukunft, desto relevanter werden Schlüsse und Prinzipien, die man aus aktuellen Daten und jenen der Vergangenheit ableiten kann. Analysen von vergangenen Inflationsperioden verschiedener Länder erlauben es, recht allgemeine Prinzipien zu formulieren. Zinserhöhungen sind als Prinzip zur Inflationsbekämpfung bekannt und etabliert. Das Risiko einer schnellen und starken Erhöhung der Zinsen ist, dass der ohnehin anstehende Wirtschaftsabschwung etwas schlimmer ausfällt. Doch die Konsequenzen eines fortschreitenden Geldwertverlusts, dem daraus resultierenden Vertrauensverlust in die Währung und die Politik insgesamt sind für viele Ländern sehr gut dokumentiert. Weitere schnelle und starke Zinserhöhungen sind zur Bekämpfung der Inflation mit Blick auf etablierte Prinzipien ein Preis, den es sich zu zahlen lohnt.

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