Martin Rümmele

* 1970 in Hohenems, ist mehrfach ausgezeichneter Gesundheitsbereich- und Wirtschaftsjournalist und Verleger. Er lebt und arbeitet in Wien und Kärnten und ist Autor mehrere kritischer Gesundheitsbücher unter anderem „Zukunft Gesundheit“, „Medizin vom Fließband“ und „Wir denken Gesundheit neu“. 

Apple is watching you

Juni 2015

Mehr als 100.000 gesundheitsbezogene Apps gibt es derzeit. Die meisten sind gratis und sammeln dafür im Hintergrund Daten – über Gewicht, Fitness und Abnehmbemühungen, oder bei chronisch Kranken, ob sie ihre Medikamente nehmen. Während wir das als Konsumenten sogar unterstützen, sorgen wir uns umgekehrt vor der elektronischen Gesundheitsakte.

Der Computergigant Apple hat eine Uhr vorgestellt. Mit breiten Kampagnen – unter anderem in Modemagazinen – will Apple in dem von vielen umkämpften Geschäftsfeld punkten und dem Segment gleichzeitig zum Durchbruch verhelfen. Die Möglichkeiten der Uhr sollen vielfältig sein, versprach Apple-Chef Tim Cook diese Woche in Kalifornien. Und das gute Stück soll vor allem auch trendig sein. Denn die Konsumenten sollen es nicht nur kaufen, sie sollen es vor allem auch verwenden – idealerweise ohne es zu hinterfragen.

Denn die Uhr ist nicht einfach ein elektronisches Spielzeug. Sie soll Apple den Einstieg in den Gesundheitsmarkt eröffnen. Ein zentrales Element sind Gesundheits- und Fitnessanwendungen, die etwa Aktivität, Schlaf, Herzfrequenz und Puls messen. Das klingt alles harmlos und wird wohl gerade Fitnessfans locken, die schon jetzt mit speziellen Apps etwa Schrittzähler installiert haben, um den täglichen Kalorienverbrauch zu messen. Die Apple Watch verfügt über eine Stoppuhr und Pulsmesser-Sensoren auf der Rückseite. Damit kann sich jeder sein individuelles Sportprogramm zusammenstellen, je nach Kondition und persönlichen Voraussetzungen. Die Apps kontrollieren und messen die Aktivitäten. Die Daten werden im sogenannten Healthbook gesammelt und ausgewertet. Damit wird die Apple Watch zu einem digitalen Personal Trainer. Sie erinnert den Träger, wenn er oder sie zu lange körperlich inaktiv war. Theoretisch können Nutzer die von der Uhr gesammelten Daten auch auf andere Fitness-Apps transferieren. Die Apple Watch sei „das persönlichste Gerät, das wir je geschaffen haben“, sagte Cook.

Skepsis ist angebracht

Was auf den ersten Blick nach ungeahnten Möglichkeiten zur Gesundheitsvorsorge klingt, weckt auch Skepsis. Selbst die EU-Kommission hat zuletzt gewarnt. Mehr als 100.000 Gesundheits-Apps gibt es derzeit, die Daten sammeln. Was damit passiert, ist unklar. Die EU ortet hier Vor- und Nachteile. Programme, die bei Herz-Kreislauf-Patienten laufend den Blutdruck messen oder Diabetiker bei der Dosierung ihres Insulins unterstützen, könnten durchaus sinnvoll sein. Andere Apps etwa erinnern an die Einnahme von Medikamenten.

Die EU hofft, damit in den kommenden Jahren bis zu 99 Milliarden Euro im Gesundheitswesen einzusparen. „Durch die mobile Gesundheitsversorgung werden weniger teure Krankenhausaufenthalte erforderlich“, erklärte im Vorjahr die damalige EU-Kommissarin für Digitales, Neelie Kroes. Außerdem würden die Apps Nutzer sensibilisieren und dazu bringen, stärker auf ihre Gesundheit zu achten.

Gerade Informationen zum körperlichen und geistigen Wohlbefinden seien aber auch sehr sensibel, meint die EU. Viele Apps sammeln und verarbeiten große Mengen an Daten, und diese werden dann zu Geld gemacht. Denn die Daten lassen leicht Rückschlüsse auf die Gesundheit der User zu und sind damit heiß begehrt.

Wie sie ausgewertet werden, zeigte zuletzt eine deutsche Studie zum Thema Übergewicht. Da wurde bekannt, dass die Österreicher hinter den Deutschen und Niederländern bereits die drittschwersten EU-Bewohner sind. Knapp 80 Kilo bringen wir im Durchschnitt auf die Waage. Die Daten dazu stammten nicht von Ärzten, Krankenkassen oder aus einer Umfrage, sondern waren Ergebnisse der Auswertung von Abnehm-Apps.

Technisch? Kein Problem

Welche Dimension diese Szenarien annehmen könnten, offenbart sich, wenn man die zweite neue Apple-Entwicklung damit kombiniert: die Verwendung des Smartphones als Kreditkarte. Welche Krankenversicherung wüsste nicht gern, was Versicherte so einkaufen und essen – und ob und wie sie Fitness betreiben? Technisch stellt die Verknüpfung dieser Daten kein Problem dar.

Wer hingegen glaubt, mit dem Verzicht auf derartige Apps verhindern zu können, gesundheitlich ausspioniert zu werden, irrt. Denn auch im Internet werden kräftig Gesundheitsdaten gesammelt und verknüpft – etwa über Suchabfragen. Schon heute ist Google, wenn es um die Erfassung einer Grippewelle geht, schneller als jede Gesundheitsbehörde. Denn bevor die Menschen zum Arzt gehen, geben sie ihre Symptome in Suchmaschinen ein oder kaufen gleich die entsprechenden Arzneimittel im Internet.

Umgekehrt bieten die neuen technischen Möglichkeiten auch Chancen – etwa, wenn es um die Unterstützung chronisch Kranker geht. Die IT ermöglicht es Menschen, zu Hause zu bleiben und nicht in stationäre Pflege- oder Gesundheitseinrichtungen gehen zu müssen. Ein weiterer Schritt ist das Monitoring durch Ärzte oder Pflegepersonal von außen. Vor wenigen Wochen wurden beim Europäischen Herzkongress in Barcelona Studien zur technischen Überwachung von Herzpatienten zu Hause vorgestellt.

Damit zeichnet sich im Gesundheitswesen und in der Medizin ein Para­digmenwechsel ab. Die wichtigen Innovationen geschehen künftig nicht mehr in der Pharma- oder Medizintechnikbranche. IT-Riesen wie Apple, Samsung oder Google haben ein Auge auf den Gesundheitsbereich geworfen, und sie haben noch mehr Kapital für Entwicklungen zur Verfügung als die Pharmabranche. Apple baut sich etwa derzeit rasant ein weiteres Standbein im US-Gesundheitssektor auf und lässt die Konkurrenten Google und Samsung hinter sich.

Apples elektronisches Patienten­informationssystem „HealthKit“ hält bereits Einzug in große Krankenhäuser. In 15 amerikanischen Hospitälern wird das Pilotprogramm zur Überwachung von Gesundheitsdaten wie Blutdruck, Gewicht oder Puls bereits getestet oder soll künftig getestet werden. Das neue System soll Ärzten insbesondere bei der Überwachung von Patienten mit chronischen Erkrankungen wie Diabetes oder Bluthochdruck helfen. Die Patientendaten werden über iPhones oder Tablets von Apple übertragen, sodass die Ärzte reagieren können, sobald der Patient in eine kritische Lage kommt. Google und Samsung wiederum fangen parallel dazu gerade an, medizinische Partner und Krankenhäuser für ihre Systeme zu begeistern. Die meisten der Krankenhäuser testen der Umfrage zufolge den „Fit Service“ von Google. Samsung arbeitet nach eigener Aussage ebenfalls an einer mobilen Technologie.

Fast schon harmlos

Gegen alle diese Entwicklungen nimmt sich die geplante Elektronische Gesundheitsakte der Krankenkassen schon beinahe harmlos aus. Gesundheitsdaten werden hier verknüpft und sollen Ärzten oder Krankenhäusern bei Bedarf zur Verfügung stehen. Damit soll etwa verhindert werden, dass vor allem ältere Menschen bis zu zehn Medikamente bekommen, die sich teilweise überschneiden, nur weil der eine Arzt nichts von der Verordnung des anderen weiß. Weil das System komplex ist, werden auch nur jene Daten erfasst, die ab dem Start des Systems generiert werden. Die Einspeisung alter Daten wäre technisch zu aufwendig und damit schlicht zu teuer. Der Vorteil aus Sicht der Konsumentenschützer: Der Missbrauch von ELGA-Daten ist nicht nur verboten, jeder Zugriff wird genau dokumentiert und wird im Fall eines Missbrauchs auch strafrechtlich schwer geahndet.

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