Robert Seeberger

* 1960 in Bludenz, Diplomstudium Physik an der Universität Innsbruck bis 1986, Dissertation 1994 (Universität Innsbruck und Max-Planck-Institut für Radioastronomie, Bonn, Deutschland), Wirtschaftsingenieurstudium in Liechtenstein bis 1994; Forschungsaufenthalte an Instituten und Observatorien in Deutschland, Italien, Frankreich und Spanien. Seit 1995 beim Arbeitsinspektorat Bregenz. 2000: Mitarbeit beim Zentralarbeitsinspektorat Wien und bei der Europäischen Agentur für Sicherheit in Bilbao, Spanien.

Die Osterparadoxie

April 2019

Der Zeitpunkt des Osterfestes ändert sich von Jahr zu Jahr. Ostern ist ein bewegliches Fest.
Zuerst wird der erste Vollmond nach Frühlingsbeginn ermittelt. Der darauffolgende Sonntag ist Ostersonntag. Heuer wird diese Regel gebrochen.

Als Paradoxon bezeichnet man Unerwartetes oder Widersprüchliches. Die Nase der Kinderbuchfigur „Pinocchio“ wächst bekanntlich bei jeder Lüge ein Stückchen. Würde man der Holzpuppe die Worte „Meine Nase wächst gerade“ in den Mund legen, so wäre das ein klassisches Paradoxon. Denn: Wäre der Satz zutreffend, dürfte die Nase gerade nicht wachsen, weil Pinocchio die Wahrheit spricht. Würde seine Nase nicht wachsen, während er den Satz spricht, hätte er gelogen und die Nase müsste wachsen.

Die Dunkelheit der Nacht

Die Auflösung von Paradoxien hat in der Wissenschaft zu tiefen, neuen Erkenntnissen geführt. Im 19. Jahrhundert ging man von einem unendlich großen Universum aus, in dem Sterne gleichmäßig verteilt sind. Heinrich Wilhelm Olbers, ein deutscher Arzt und Astronom, stellte im Jahre 1823 Folgendes fest: Wenn diese Annahmen über das Weltall stimmen, dann müsste in jeder beliebigen Himmelsrichtung ein Stern stehen. Im gleichen Ausmaß, wie die Entfernung der Sterne steigt, nimmt auch ihre Anzahl zu. Das bedeutet, dass an jedem Punkt des Nachthimmels ein Stern steht und so müsste es rund um die Uhr taghell sein. Die Auflösung des Olbers’schen Paradoxons war, dass das Universum entweder nicht unendlich groß oder nicht unendlich alt sein kann. Diese Erkenntnis gelang ohne Teleskopbeobachtung und wurde im 20. Jahrhundert durch die moderne Kosmologie bestätigt.
Gleich vorweg: Das Urteil des Europäischen Gerichtshofes zur Frage, ob der Karfreitag für alle Arbeitnehmer ein Feiertag sein soll, und die Lösungsvarianten, die in Österreich diskutiert wurden, mögen manchen paradox erscheinen. Die Osterparadoxie meint jedoch ein ungewöhnliches Datum für den Ostersonntag im heurigen Jahr. Bereits 1962 gab es einen Regelbruch beim Osterdatum und das nächste Mal wird man im Jahre 2038 von einer Osterparadoxie sprechen.

Kalender

Alte Kulturen wie die Babylonier legten den Anfang eines Kalenderjahres auf den Frühling. Diese Festlegung ist willkürlich, aber verständlich, wenn man bedenkt, dass ein Aufblühen der Vegetation als Neubeginn betrachtet wurde. Bei den Römern war der März der erste Monat des Jahres. Ohne künstliches Licht waren nächtliche Feiern zum neuen Jahr im hellen Licht des Mondes leichter zu veranstalten. Daher hat man das Neujahrsfest am ersten Vollmond im Frühling gefeiert. Das jüdische Passah-Fest orientierte sich ebenso wie das christliche Osterfest am Frühlingsvollmond. Schön wäre, wenn der erste Frühlingsvollmond immer am selben Datum wäre. Die Zeitspanne zwischen zwei Frühlingsanfängen bezeichnet man als tropisches Jahr; sie beträgt 365,24219 Tage. Ein synodischer Monat, die Zeit vom Vollmond zum nächsten Vollmond, umfasst 29,530589 Tage. Diese beiden Perioden lassen sich nicht zur Deckung bringen. Erst nach 19 Jahren fällt der Vollmondtermin wieder auf dasselbe Datum. Diese Periode wird nach einem griechischen Astronomen Metonscher Zyklus genannt. Seit jeher wurde versucht, die Bewegungen von Mond und Erde in Einklang zu bringen. Kalenderreformen sollten verhindern, dass das Datum des Frühlingstermins sich laufend ändert. Julius Cäsar führte 46 v. Chr. alle vier Jahre einen Schalttag ein, um einen Einklang von Kalender und Jahreszeit herzustellen. Trotzdem wanderte der Frühlingsbeginn im Kalender langsam zurück und fiel im 16. Jahrhundert auf den 10. März. Papst Gregor der VIII. verfügte, dass auf den 4. Oktober der 15. Oktober des Jahres 1582 folgte. Damit fiel die Tag- und Nachtgleiche im Frühjahr wieder auf den 21. März. Der Papst führte neue Schaltregeln ein. Immer zu Ende des Jahrhunderts, also 1700, 1800 und 1900, hatte das Jahr 365 Tage. Alle 400 Jahre, zuletzt 2000, war wieder ein Schaltjahr mit 366 Tagen.

 

Im 19. Jahrhundert ging man von einem unendlich großen Universum aus, in dem Sterne gleichmäßig verteilt sind.

Konzil von Nicäa 

Schon im zweiten nachchristlichen Jahrhundert wurde das Osterfest in den christlichen Gemeinden zu unterschiedlichen Zeitpunkten gefeiert. Die Ursache lag an den unterschiedlichen Kalendern. Manche Gemeinden nahmen den Ägyptischen Kalender mit 365 Tagen als Grundlage. Der genauere julianische Kalender war damals wegen der Christenverfolgungen durch die Römer verpönt. Im Jahre 325 wurde in Nicäa ein Konzil mit über 300 Bischöfen einberufen. Es legte unter anderem fest, dass Ostern immer am Sonntag nach dem ersten Vollmond im Frühling sein muss. Außerdem wurde bestimmt, dass die gesamte Christenheit Ostern am selben Tage feiern soll. Die Berechnung des Osterdatums wurde dem Bischof von Alexandria übertragen, der über beste Mathematiker und Astronomen verfügte. Grundlage der Berechnungen war der Metonsche Zyklus von 19 Jahren.

Osterparadoxie

Der einheitliche Ostertermin für alle Christen wurde trotz Konzilsvorgabe nicht umgesetzt. Die orthodoxen Kirchen bestimmen noch heute das Osterfest nach dem Julianischen Kalender. Besonderheiten führen dazu, dass heuer die Osterregel von Nicäa nicht gilt. Der genaue Zeitpunkt des Frühlingsbeginns (die Sonne steht von Süden kommend genau senkrecht über dem Äquator) ist der 20. März 2019 um 22.58 Uhr MEZ. Der erste Vollmond im Frühling ist knapp drei Stunden später am 21. März um 2.53 Uhr. Die Osterformel, die auf den Mathematiker Carl Friedrich Gauß zurückgeht, geht davon aus, dass der 21. März der Frühlingsbeginn ist. Für den Vollmondzeitpunkt wird nur der Tag, nicht aber die Uhrzeit berücksichtigt. Der erste Vollmond nach dem 21. März ist heuer am 19. April. Am darauffolgenden Sonntag, den 21. April, wird Ostern gefeiert – wahrlich paradox. 
Bestrebungen, Ostern vom Lauf des Mondes abzukoppeln und etwa am zweiten Sonntag im April zu feiern, blieben erfolglos.
Der früheste Ostertermin ist der 22. März (im Jahre 1818 und 2285), der späteste Termin ist der 25. April (1943 und 2038).

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