Wolfgang Greber

* 1970 in Bregenz, Jurist, seit 2001 bei der „Presse“ in Wien, seit 2005 im Ressort Außenpolitik, Sub-Ressort Weltjournal. Er schreibt auch zu den Themen Technologie, Raumfahrt, Militärwesen und Geschichte.

Ja, Man kann Corona mit Grippe vergleichen

Mai 2020

Das neue Virus ist insgesamt problematischer als die normale Influenza. Das sollte aber nicht einer irrigen Begrifflichkeit Vorschub leisten, die gern missbräuchlich benutzt wird und dem Kern der Wissenschaft widerspricht.

Die wievielte Woche Notstand wir haben? Fällt einem spontan nicht mehr ein. Überhaupt wollen wir uns auf Zahlen, mit denen wir seit Wochen bombardiert werden, hier nicht kaprizieren. Also auf die zu den Infektionen etwa, der Reproduktionsrate des Virus aus Wuhan, des Ansteckungszeitraums. Vieles ist im Fluss, und manche „Erkenntnis“ schnell überholt.
Einige Einschätzungen wiederum aus der Frühphase der Pandemie wurden „overruled“, später aber doch mehr oder weniger bestätigt, etwa zur Sterblichkeit über alle Infizierten hinweg. Zuletzt (26. April; die „aktuellen“ Zahlen im Text beziehen sich darauf) sprachen die meisten Quellen aus der Ärzteschaft jedenfalls für Österreich von 0,3 bis 0,4 Prozent, einige von noch weniger. Die zuvor quasi amtliche Zahl war lange 1,9 Prozent, teils mehr als 2 bis zu 3,5 Prozent, bis man verstand, dass es eine Dunkelziffer Infizierter gibt, die man einrechnen sollte, was die Rate senkt. Hinter jedem erkannten Corona-Fall stehen mindestens vier Unerkannte, also 80 Prozent der Infizierten. Und das könnte untertrieben sein, denn man hörte auch von 1:10. Der aus Mellau stammende, in den USA lebende Virologe Norbert Bischofberger, Erfinder des Grippemedikaments „Tamiflu“, meinte (allerdings im Februar) gar: „Auf jeden Diagnostizierten kommen vermutlich 100 mit leichteren Verläufen, die nicht auffallen.“ Das ergäbe 99 Prozent Dunkelziffer.
Stimmen, die früh von einer Mortalität im 0,x-Prozent-Bereich oder knapp darüber sprachen und Covid-19 in die Liga der normalen Grippe reihten, hatten es lange nicht leicht: Sie werden teils immer noch beschuldigt, Corona mit Grippe zu vergleichen. Bei Grippe ist die Mortalität meist unter 0,1, in ärgeren Jahren 0,2. In ganz schweren, doch seltenen Jahren allerdings ein bis zwei Prozent.
Ja: Das neue Virus führt quantitativ und qualitativ zu schwereren Verläufen; die Mortalität in hohem Alter ist hoch, mehr als vier, ja 14 Prozent; Infizierte sind länger als Grippekranke ansteckend, selbst, wenn sie symptomlos bleiben, daher stecken sie mehr andere an; Corona repliziert sich leichter als Influenza und hat einige böse Eigenschaften. Das Potenzial für eine größere Welle als bei Influenza, die mehr Menschen in Spitäler spült und diese überlastet und die bei relativ ähnlicher Mortalität absolut mehr Opfer fordert, ist evident. Man sehe etwa Italien und Spanien.
Ob Corona die Grippe bei der globalen Totenzahl heuer schon überholt hat, ist indes unklar: Zuletzt stand es laut WHO bei 203.000 Corona- zu 156.000 Grippetoten – falls man bezüglich Letzterer umgerechnete Daten nimmt, die der laut WHO langjährigen Bandbreite von 290.000 bis 650.000 folgen. Eine Hochrechnung von Zahlen aus den USA aber deutet, da die Grippe heuer sehr heftig war bzw. ist, schon auf über 450.000, vielleicht mehr als 560.000 Tote. In Österreich betrug das Verhältnis rund 540 Corona- zu (laut Grazer Ärzten) etwa 1400 Grippetoten.
Doch wie dem auch sei: Ein Vergleich Corona – Grippe ist zulässig! Klar sind 0,4 Prozent Mortalität noch viermal höher als 0,1. Aber auf dem Zahlenstrahl liegt das nah beieinander. Vor allem aber geht’s um etwas Grundsätzliches: um die Sache mit dem „Das kann man nicht vergleichen!“
Man hört das oft, speziell aus offiziellen Kreisen, aus der Regierung, dem ORF. Dabei klingt ein bevormundender, vorwurfsvoller Ton durch, als ob man durch Vergleichen zum Relativierer, ja Leugner der Corona-Dämonie gestempelt wird.
Doch dieser Satz ist töricht. Denn es ist so: Vergleichen ist ein Prozess, kein Ergebnis. Vergleichen heißt, Dinge auf Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu prüfen. Ein Maximum an Gemeinsamkeit ergibt eine Gleichsetzung. Meist ergibt sich nur mehr oder weniger Ähnlichkeit. Vergleichen ist nicht Gleichsetzen! Und vergleichen kann man immer. Es ist eine Methode der Wissenschaft und etwa auch bei Literatur, Sitten, Musik, Wein normal. Man kann Äpfel mit Birnen vergleichen, Eisen mit Gold, die Bregenzer mit den Salzburger Festspielen, Vorarlberg mit Wien, politische und historische Phänomene und Ereignisse auch. Das heißt nicht, dass das Ergebnis ein „=“ sein muss. Vorarlberg ist sicher nicht das Gleiche wie Wien.
Wer „Das kann man so nicht vergleichen“ sagt, irrt sich begrifflich. Da das aber gern abschätzig intoniert und als begründungsfreies Killerargument benützt wird, oft aus der Defensive heraus, liegt freilich der Verdacht nahe, dass man damit freies Denken und Abwägen blockieren will, um ein apodiktisches Urteil zu verteidigen. Oder weil man einen Vergleich aus politischen bzw. politisch korrekten Gründen nicht will. Ideologen, Rechthaber und Denkgegner scheuen Vergleiche.
Jener von Corona mit Grippe zeigt Unterschiede, die die harten Maßnahmen in den meisten Staaten wohl legitimieren. Inwieweit Länder wie Schweden mit ihrer lockeren Anti-Corona-Politik aussteigen, wird sich weisen. Dass es aber so nicht weitergehen kann, ist klar. Laut Umfragen sinkt die Akzeptanz des Lockdowns. Die Gründe sind klar, es geht für viele um die Existenz. Vor dem Hintergrund sind die traummänn-/weibleinhaften, teils ideologisch aufgeladenen Oden an die „Entschleunigung“ zu sehen, die „reinigende Zeit der inneren Einkehr“, die Zeit fürs Sinnieren, für Zärtlichkeit, für Beschäftigung mit der Familie, die das Virus beschere. Ach wie rein die Luft, wie schön die verkehrs- und menschenberuhigten Städte und Dörfer! Endlich keine depperte Menge wartender Touris mehr vor dem Café Central in Wien.
Hm, da ist was dran. Entschleunigung muss man sich aber leisten können. Angesichts der Explosion der Arbeitslosigkeit auf fast 600.000 Menschen, der höchsten seit 1946, und krachender Firmen pendeln solche Oden rasch zwischen Blasiertheit und Zynismus. Und das ist wirklich unvergleichlich. Unvergleichlich blöd.

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