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Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser
Ärzte laufen gegen das neue Sozialbetrugsgesetz Sturm. Sie fürchten eine Bespitzelung durch die Krankenkassen, die auch zum Nachteil der Patienten werden könnte. Im Hintergrund geht es um viel mehr.
Ein Arzt schreibt einen Patienten, der mit akutem Kopfschmerz kommt, krank. Und schon schnappt die Falle zu. Denn der Patient hat gar kein Kopfweh, simuliert. Und das im Auftrag der Krankenkasse. Denn er ist ein Mystery Shopper, den die Kasse zum Arzt geschickt hat, um ihn zu kontrollieren. So stellt sich die Ärztekammer die Folgen des neuen Sozialbetrugsgesetzes vor und droht damit, künftig zur Absicherung jeden Patienten mit Kopfweh sicherheitshalber zur Untersuchung im Computertomografen zu schicken. Dass man dort Wochen auf einen Termin wartet und der Kopfschmerz entweder abgeklungen oder allein aufgrund der anhaltenden Dauer als ernsthaft erkannt werden kann, ist eine andere Geschichte. Jedenfalls würde durch solche „Absicherungsuntersuchungen“ alles teurer, sagt die Ärztekammer. Und sie droht mit Streik.
„Zwischen dem, was die Ärzte darunter verstehen und auch plakatieren, und dem, was wir verstehen, liegen große Unterschiede“, sagt Gesundheitsministerin Sabine Oberhauser im Gespräch mit „Thema Vorarlberg“. „Es geht hier um groben Betrug und nicht darum, dass man Ärzte kriminalisiert, die jemanden mit Kopfweh krankschreiben, auch wenn kein detaillierter CT-Befund vorliegt.“ Es habe schon jetzt Stichproben durch die Krankenkassen gegeben, vor allem, wenn es einen begründeten Verdacht etwa durch Auffälligkeiten in Abrechnungen gab. Oberhauser: „Die Ärztekammer weiß wie wir, dass 99,9 Prozent aller Ärzte gut und sauber arbeiten. Es muss im Interesse aller liegen, dass man schwarze Schafe findet. Wer gut arbeitet, braucht sich nicht zu fürchten.“
Warum also die Aufregung? Traditionell betonen Vertreter der Ärzteschaft, aufgrund ihrer Ausbildung allein in der Lage zu sein, die Gesundheit eines Patienten beurteilen zu können und auch zu wissen, was dieser braucht. Dafür haben sie ja auch Medizin studiert. Und traditionell pochen Krankenversicherungen als Finanziers darauf, dass Ärzte nicht alles tun können, was sie wollen, sondern sich an Qualitätsregelungen, medizinische Standards und nicht zuletzt an die gebotene Sparsamkeit halten müssen. Schließlich seien die finanziellen Mittel begrenzt.
Ein Widerspruch also, der seit Jahrzehnten immer wieder für Diskussionen sorgt. Das beginnt bereits bei der Frage, was eine bestimmte Behandlung wert ist. Die Krankenkassen verhandeln das jeweils mit den einzelnen medizinischen Fachgruppen – und noch dazu auf Landesebene. Dadurch gibt es die kuriose Situation, dass für ein und dieselbe Behandlung in Vorarlberg vielleicht mehr bezahlt wird als in Niederösterreich. Die Begründungen dafür sind nicht selten kurios und reichen von gesünderen oder ungesünderen Patienten im jeweiligen Bundesland bis zur Zahl der jeweiligen Ärzte.
Seit einigen Monaten sind die Ärzte in der Defensive: Mit der kommenden elektronischen Gesundheitsakte wollen die Kassen die Ärzte indirekt zwingen, sich intensiver mit den Krankengeschichten der Patienten auseinanderzusetzen, und sie wollen ein Auge darauf haben, wer welche Medikamente verordnet. Die neue Gesundheitsreform soll wiederum Primärversorgungszentren bringen, bei denen Ärzte auch mit anderen Gesundheitsberufen zusammenarbeiten. Wo und wie solche Zentren entstehen und welche Verträge sie erhalten, soll künftig nicht mehr mit der Ärztekammer verhandelt werden. Und dazu kommt eben auch noch der Hinweis auf strengere Kontrollen. Viele Ärzte fühlen sich damit ihrer Autonomie beraubt und nicht mehr als jene geschätzt, die sich direkt um die Gesundheit der Menschen kümmern. Auf den Kopf fällt ihnen dabei eine Sondersituation, die es sonst in kaum einem anderen Bereich gibt: Niedergelassene Ärzte sind Freiberufler und damit Unternehmer. Mit Kassenverträgen, die im Grunde unkündbar sind, haben sie de facto aber auch eine Art Pragmatisierung, die ihnen sichere Umsätze beschert. Während die Kassen die Ärzte deshalb mehr an die Kandare nehmen wollen, pochen diese auf die Eigenständigkeit des Freiberuflers. Ein Kassenfunktionär, der nicht genannt werden will, bringt es auf den Punkt: „Beides wird auf Dauer nicht gehen.“ Das scheinen zunehmend auch die Ärzte zu realisieren – immer weniger bewerben sich überhaupt um Kassenstellen, immer mehr gründen Wahlarztpraxen, bei denen die Patienten privat zahlen und dann einen Teil der Kosten bei den Kassen zurückverlangen können. Das wiederum schwächt aber die Ärztekammer in den Verhandlungen mit den Krankenkassen, vertritt sie doch immer weniger Ärzte mit Kassenvertrag – ein Teufelskreis für die Standesvertretung. Da kommt das Thema Sozialbetrugsgesetz gerade recht.
Allerdings weisen Experten wie das Netzwerk Transparency International (TI) auch in Österreich darauf hin, dass es durchaus Korruption im heimischen Gesundheitswesen gibt. Das System sei sogar ein besonders anfälliges Gebiet für Betrug und Korruption, sagen die Kritiker. Das liege einerseits an den enormen Geldmitteln, die darin umgesetzt werden – in Summe 34 Milliarden Euro. „Andererseits sind auch die Komplexität, der hohe Grad an Intransparenz und die Vielzahl der Akteure, die in diesen Bereich involviert sind, dafür verantwortlich. Auch die Trennung zwischen Konsumenten und Zahlern macht das System anfälliger für Absprachen auf Kosten Dritter.“ Das Ergebnis: Viele Milliarden Euro versickern in dunklen Kanälen und kommen nicht den Patienten zugute.
Österreich gilt zwar laut TI – so wie in vielen Bereichen – auch im Gesundheitswesen als Insel der Seligen. Aber auch hier werden die Mittel sichtbar knapper, und diejenigen, die das Geld verteilen, seien eben zunehmend bemüht, „Selbstbedienungsläden“ zu schließen. Für Transparency zeigt sich bei den Ärzten ein weiterer Widerspruch und Interessenkonflikt: „Das primäre Interesse vieler Ärzte ist es, das Bestmögliche für Patienten zu tun. Dieses Interesse kollidiert häufig mit Interessen materieller, intellektueller, psychologischer und sozialer Natur.“ Nicht zuletzt deshalb sei das Thema Korruption im Gesundheitswesen nach wie vor tabu. „Schnell werden Vorwürfe abgetan, indem Kritikern die Verunglimpfung einzelner Berufsgruppen vorgeworfen wird“, schreiben die Korruptionswächter.
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