[Bildungspolitische] Gedanken für Vorarlberg
Bildung ist das Fundament für eine gute Zukunft. Das gilt natürlich auch für unser Ländle. Dabei haben wir aufgrund unserer Kleinheit auch einige Herausforderungen zu bewältigen, die – richtig angegangen – aber zum Vorteil gereichen können.
Helmut Schmidt, Bundeskanzler von 1974 bis 1982, zählte mit Sicherheit zu den fähigsten Politikern der Bundesrepublik Deutschland. Von seinen vielen rhetorischen Bonmots blieb mir das folgende besonders in Erinnerung: „Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen.“ Darum habe ich diesen Beitrag aus Anlass der 100. Ausgabe von „Thema Vorarlberg“ (Herzlichen Glückwunsch dazu!) nicht als „Visionen für Vorarlberg“ bezeichnet, sondern lediglich als „Gedanken für Vorarlberg“. Als Gedanken von jemandem, der 1987 nach der Matura am BG Blumenstraße in Bregenz nach Innsbruck zum Studium aufbrach und seither nie wieder länger in Vorarlberg gewohnt oder gearbeitet hat.
Ich war – beziehungsweise bin – nicht der einzige aus meiner Maturaklasse, der unser Ländle für ein Universitätsstudium verlassen hat und nicht wieder zurückgekehrt ist. Ungefähr drei Viertel von uns verließen Vorarlberg und nur ungefähr die Hälfte kam zum Arbeiten und Leben in ihre Heimat zurück. Unser Jahrgang stellt dabei keine Ausnahme, sondern wohl eher die Regel dar. Zwar hat Vorarlberg mittlerweile eine angesehene Fachhochschule, die ein breites Angebot an Studienmöglichkeiten anbietet, aber trotzdem gehen nach wie vor viele Vorarlberger nach der Matura ins Ausland oder in andere österreichische Bundesländer, um dort ein Universitätsstudium aufzunehmen. Das kann man als großen „brain drain“ bedauern, also den Verlust an Humankapital, und in diesem Sinn äußern sich auch viele Vorarlberger, mit denen ich spreche. In solchen Gesprächen wird dann häufig der Wunsch nach einer eigenen Universität in Vorarlberg geäußert, um die vielen jungen Menschen nicht ans Ausland (das ja aus Vorarlberger Sicht bekanntlich hinter dem Arlberg beginnt) zu verlieren.
Wie eigentlich immer im Leben gibt es aber auch hier kein einfaches „Schwarz-Weiß“, weshalb ich mir im Folgenden Gedanken über die Grautöne machen möchte. Um mit der eigenen Erfahrung zu starten: Es hat mir 1987 sehr gut getan, die engere Heimat zu verlassen und andere Menschen mit anderen Erfahrungen und Hintergründen kennenzulernen. Über den (Vorarlberger) Tellerrand hinauszuschauen, hat meinen Blickwinkel auf die allermeisten Dinge im Leben erweitert. Damit meine ich nicht, dass mich die frühe Prägung – als Vorarlberger fand ich Fleiß immer die erste Tugend – nicht auch nach 1987 wesentlich beeinflusst hat. Neue Erfahrungen zu machen bedeutet ja nicht, dass man den eigenen Wertekompass plötzlich über Bord wirft. Aber es bedeutet die Erkenntnis, dass man viele Dinge auch ganz anders angehen oder lösen kann, als man das bisher in seiner vertrauten Umgebung erlebt und erlernt hat. Und genau diese Einsicht ist für das Zusammenleben und Zusammenarbeiten von fundamentaler Bedeutung. Üblicherweise schreibe ich für „Thema Vorarlberg“ an dieser Stelle über verhaltensökonomische Einsichten. Einige meiner früheren Beiträge (auch nachlesbar im Buch „Der menschliche Faktor oder worauf es im Berufsleben ankommt“) zeigen beispielsweise, dass gute Führungskräfte sich dadurch auszeichnen, dass sie andere Menschen gut koordinieren und Konflikte lösen können. Genau dafür hilft ein großer Erfahrungsschatz, wie man mit bestimmten Situationen am besten umgehen kann. Und das lernt man nicht nur, indem man ständig mit denselben Menschen zu tun hat. In die Welt hinauszugehen weitet den Horizont, auch von uns Vorarlbergern.
Trotzdem ist es natürlich schön, wenn viele wieder ins Ländle zurückkommen, weil das für ein kontinuierliches Gemeinwesen wichtig ist. Auch für die Wirtschaft ist das bedeutsam, weil Arbeitskräfte mit regionalen Wurzeln eher in der Region bleiben. Eine der größten aktuellen Herausforderungen besteht darin, gute Arbeitskräfte zu bekommen und diese dann auch zu halten. Das geht viel leichter, wenn diese Arbeitskräfte sich in der Region heimisch fühlen. In diesem Punkt habe ich Vorarlberg immer als ein Land erlebt, in dem die Menschen weit überdurchschnittlich stolz sind, woher sie kommen und wo sie leben. Diese Verbundenheit sollte unbedingt auch in Zukunft gestärkt werden, weil sie hilft, dass viele junge Menschen mit einer guten Ausbildung ins Land zurückkommen und gerne im Ländle bleiben. Müssen deshalb alle zurückkommen, die Vorarlberg für eine Ausbildung verlassen? Sicher nicht, weil die „Exilvorarlberger“ auch ein wertvolles Netzwerk für das Land Vorarlberg darstellen, das etwa in den „Netzwerktreffen“ der Vorarlberger Landesregierung gefördert wird und der heimischen Wirtschaft auch zugute kommt.
Die Welt besteht also aus Grautönen. Deshalb würde ich mir für Vorarlberg wünschen, dass viele junge Menschen unser Land auch für einige Zeit verlassen, um über den Tellerrand hinauszuschauen, und dass dann viele von ihnen als gereifte Persönlichkeiten mit wichtigen neuen Erfahrungen zurückkommen. Wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf: So etwas würde die ab und zu anzutreffende Engstirnigkeit reduzieren, dass wir Vorarlberger „bsundrig“ und einzigartig sind. Ja, einzigartig sind wir alle (nicht nur wir Vorarlberger), aber es gibt eben auch tausend andere Wege zu leben und zu denken.
Aus dem Gesagten folgt für mich, dass die regionale Ausbildung in Vorarlberg (etwa in der FH und PH Vorarlberg) so ausgestaltet werden sollte, dass möglichst viele junge Vorarlberger während dieser Ausbildung unser Ländle für eine gewisse Zeit verlassen sollten (und nicht nur können). Erfahrungen außerhalb Vorarlbergs verändern den Blick auf das eigene Land und erweitern die Fähigkeiten junger Menschen, was letztlich dem ganzen Land und seiner Wirtschaft zugutekommt. Dass das Land alles tun sollte, dass viele dieser jungen Menschen wieder zurückkommen – wozu eine gute wirtschaftliche Lage, Sicherheit, Infrastruktur und soziale Netzwerke beitragen – ist für mich selbstverständlich. Dass der Aufbau einer eigenen Universität nicht dazu gehört, sei abschließend erwähnt. Als Direktor eines Max Planck Instituts erlebe ich täglich, dass man für Spitzenforschung eine kritische Masse und sehr viel Geld braucht. Beides sehe ich nicht in ausreichendem Ausmaß im Ländle, zumal benachbarte Standorte wie München oder Zürich in einer ganz anderen Liga spielen würden. Da scheint es mir ein attraktiverer Gedanke zu sein, dass wir viele unsere jungen Leute weiter außerhalb Vorarlbergs im tertiären Sektor ausbilden und sie dann nach Möglichkeit davon überzeugen, ihr Wissen und ihre Fähigkeiten wieder ins Ländle zurückzubringen.
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