Andreas Dünser

Chefredakteur "thema vorarlberg" (andreas.duenser@themavorarlberg.at)

„Die Angst, nicht zu genügen“

November 2019

Jochen von Wahlert, ärztlicher Direktor und Geschäftsführer der psychosomatischen Privatklinik Bad Grönenbach, erklärt im „Thema Vorarlberg“-Interview, warum Menschen ein Burnout erleiden und mit welchen Methoden sich „schöpferische Lebenskraft“ wieder wecken lässt.
Von Wahlert sagt unter anderem: „Wohl kaum einer von uns ist vor Krisen gefeit.“

Ist Burnout ein Symptom unserer Zeit? 

Burnout ist ein Begriff, der erst seit etwa vier Jahrzehnten benutzt wird, um die Not zu beschreiben, die Menschen empfinden, wenn sie nicht mehr können. Das Gemeinsame an den vielfältigen Gründen, die zu der Erschöpfung führen, ist, dass Menschen nicht genügend Ressourcen haben, um mit den Aufgaben fertig zu werden, sei es im Job oder im Privatleben. Ob die Ressourcen zu anderen Zeiten besser waren, wage ich zu bezweifeln. Sicher spielen heute die Unsicherheiten, der Verlust von Familienbezügen und die hohen Anforderungen an einen selbst eine wesentliche Rolle. Für viele Menschen ist der Begriff Burnout sehr hilfreich, weil er es anders als früher ermöglicht, sich mit einer psychischen Krise „zu outen“, Hilfe zu suchen und sich behandeln zu lassen. 

Was ist denn Burnout eigentlich? Medizinisch gesehen?

Burnout ist ein Zustand der Erschöpfung mit einer Vielzahl von möglichen Beschwerden. Meistens zeigt sich eine Vorstufe oder eine schon manifeste depressive Erkrankung mit depressiven Symptomen wie gedrückte Stimmung, Antriebsmangel und der Verlust von Interessen sowie eine Reihe von weiteren Symptomen wie Schlafstörungen, Insuffizienz- und Sinnlosigkeitsgefühlen.

Sie wurden in einem Interview mit folgenden Worten zitiert: „Wir gehen davon aus, dass in den Wartezimmern der Allgemeinärzte jeder Dritte mit körperlichen Beschwerden auf Grund einer psychischen Erkrankung zum Arzt kommt.“

Manche psychische Krankheiten verursachen körperliche Symptome. Trotz intensiver Diagnostik findet man keine ausreichende Erklärung. Eine angeschlagene Psyche ruft viel öfter, als wir denken, körperliche Symptome hervor. Ein Beispiel dafür ist der Bluthochdruck, der zwar flächendeckend medikamentös eingestellt wird, eine ursächliche Behandlung erfolgt aber selten. Interessanterweise finden sich oft sehr direkte psychosomatische Zusammenhänge zu einer emotionalen Belastung, zum Stressempfinden oder zu Ängsten. 

Burnout ist also ein gravierendes gesellschaftliches Problem, zumal dieses Syndrom stigmatisiert ist?

Die Stigmatisierung, die psychisch angeschlagene Menschen befürchten, wird gerade durch den Begriff Burnout etwas aufgehoben. Immerhin impliziert das Wort ja, dass man zu den Leistungsträgern gehört, sich nur zuviel engagiert hat. Tatsächlich denke ich, dass die Art, wie wir arbeiten, ein Problem darstellt, weil Menschen sich unendlich flexibel und erreichbar halten müssen, oft unter Einbußen ihrer psychischen Stabilität und ihrer privaten sozialen Beziehungen. Der Fokus auf Effizienzsteigerung und Maximierung von Quartalszahlen steht oft unserem basalen menschlichen Bedürfnis entgegen, etwas zu tun, das einen tieferen, einen lebenserhaltenden Sinn ergibt.

Wie entsteht diese Überbelastung?

Die Überlastung entsteht, weil Menschen ihren natürlichen Bedürfnissen nach Ausgleich, Entspannung, Regeneration und nach guten Beziehungen nicht ausreichend nachkommen. Manchmal spüren sie die Grenzen nicht mehr und steuern unzureichend gegen eine chronische Überbeanspruchung. Der Druck kommt nicht nur von außen, sondern auch oft von innen, verbunden mit der Angst, nicht zu genügen, nicht anerkannt zu werden, nicht bestehen zu können. 

Gibt es Persönlichkeitsmerkmale, die Burnout begünstigen? Oder kann jeder davon betroffen sein?

Ja. Natürlich spielen sowohl unsere Konstitution als auch unsere Persönlichkeitsentwicklung eine große Rolle. Wir wissen, dass Menschen, die unsicher gebunden sind, ein höheres Risiko für die Entwicklung von psychischen Erkrankungen aufweisen. Merkmale wie Perfektionismus, emotionale Labilität und Verletzlichkeit sind kritisch, während Offenheit für neue Erfahrungen, Geselligkeit, Verträglichkeit und Empathie einen schützen. Aber wohl kaum einer von uns ist vor Krisen gefeit.

Entscheidend für die seelische Gesundheit sei die Fähigkeit, mit Niederlagen umzugehen – das sagten Sie in der „NZZ“ ...

Wir verstehen Resilienz als ein Bündel von Fähigkeiten, mit Krisen, Schicksal, Krankheit, Konflikten und Verlusten umzugehen. Unsere Widerstandsfähigkeit ist uns nicht einfach in die Wiege gelegt, sie entwickelt sich durch Erfahrung. Die können wir wiederum nur dann positiv verwerten, wenn wir all das, was uns begegnet, als Herausforderung für inneres Wachstum annehmen und daraus lernen. 
Wenn nun jemand Zweifel hat, ob er betroffen ist, kann er sich selbst überprüfen?
Es gibt eine Reihe von Selbsttests, die in Ratgebern oder online verfügbar sind. Über die Fragen hinaus, die man dort vorfindet, sollte man prüfen, ob ein normaler Urlaub reicht, wieder zu sich zu kommen und sich vollständig zu erholen, ob man langfristig noch Freude an seiner Tätigkeit findet und Sinn in dem sieht, was man tut. Rückmeldungen von engen Lebensgefährten sind oft sehr hilfreich.

Ihre Klinik ist – auch – spezialisiert auf die Behandlung von Top-Managern.

Neben Beamten, Selbstständigen und Führungskräften behandeln wir auch Menschen, deren Gestaltungs- und Verantwortungsbereiche sehr umfangreich sind. Hilfreich ist, dass wir an die Lebenswelten der Patienten anknüpfen können und viel von der Dynamik in großen, auch international operierenden Unternehmen und Organisationen verstehen.

Wie helfen Sie Betroffenen? Mit welchen Methoden?

Die Behandlung erfolgt individuell und intensiv mit Hilfe von fortgesetzten Gesprächen unter vier Augen, vertrauten Gruppenprozessen, Körperarbeit, non-verbalen Therapien, Trauma-Therapien, Entspannungstechniken, Yoga und Meditation. Selbstfürsorge und Herzens­öffnung sind nur zwei der Therapieziele. In der ressourcenorientierten Therapie bieten wir eine Methode „vertiefte Erfahrungen“ an, die den Kern der Persönlichkeit berührt und die schöpferische Lebenskraft, die Kreativität und den Gestaltungswillen aktiviert. 

Zur Person 

Jochen von Wahlert (60) ist Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Körper- und Traumatherapeut. Als ärztlicher Geschäftsführer leitet er die von ihm aufgebaute Psychosomatische Privatklinik in Bad Grönenbach, eine Akutklinik, die auf die Behandlung von Burnout, Depressionen, Traumafolgestörungen und somatische Belastungsstörungen spezialisiert ist.

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