Andreas Dünser

Chefredakteur "thema vorarlberg" (andreas.duenser@themavorarlberg.at)

„Dieser Wunsch nach einem Umbruch!“

Juni 2018

Jugendforscher Philipp Ikrath (38), sagt im Interview, dass die Erfahrung des Alters in unserer Gesellschaft zunehmend entwertet wird: „Der junge Mensch und alle Eigenschaften, die mit Jugendlichkeit verbunden werden, sind zu gesellschaftlichen Kernwerten geworden.“ Der Wiener Buchautor über geänderte Wahrnehmungen – und die Tatsache, dass „das Jugendliche auch symbolisch in der Politik angekommen ist“.

Unterliegt unsere Gesellschaft einem Jugendwahn?

Ja! Der junge Mensch und alle Eigenschaften, die mit Jugendlichkeit verbunden werden, sind zu gesellschaftlichen Kernwerten geworden. Jugendliche Werte genießen heute eine wesentlich höhere Anerkennung als die Weisheit und die Lebenserfahrung des Alters.

An einer Stelle in Ihrem Buch „Generation Ego“ heißt es ja, dass sich die kulturelle Meinungsführerschaft zunehmend von den Alten zu den Jungen verschiebe.

Das zeigt sich auch darin, welche Produkte konsumiert werden. Es ist die einfachste Art und Weise, sich als jung darzustellen, indem man jugendliche Produkte konsumiert. Es ist heute überhaupt kein Problem mehr, wenn ein knapp 40-Jähriger wie ich in Jeans und T-Shirt auf dem Bürostuhl sitzt. Vor 30 Jahren wäre das noch unmöglich gewesen, da hätte ich mit einem Anzug im Büro zu erscheinen gehabt. Die Darstellung von Jugend und Jugendlichkeit ist eben mit positiven Assoziationen verbunden.

Sie haben 2013 geschrieben: „Die junge Generation muss für zukünftige Belastungen den Kopf hinhalten, in der Tagespolitik spielt sie aber nur dann die Hauptrolle, wenn es um jugendpolitische Themen geht“ …

Damals stimmte die Diagnose. Heute ist das nicht mehr so. Das hat sich in diesen wenigen Jahren geändert. Denn das Jugendliche ist heute auch symbolisch in der Politik angekommen, betont jugendlich auftretende Politiker genießen eine zunehmende Popularität. Thematisch ist die Sache dagegen unverändert: Die Interessen junger Menschen stehen bei den meisten politischen Entscheidungen weiterhin nicht im Zentrum der Überlegungen – weil viele Entscheidungen in der Politik eben sehr kurzfristig, meist nur mit Blick auf die nächste Wahl getroffen werden. Junge Menschen sind da oft eher ein symbolischer Aufputz: Politiker lassen sich mit Jugendlichen fotografieren, um Zukunftsfähigkeit auch symbolisch darstellen zu können.

Politiker treten betont jugendlich auf und die Jugend spielt trotzdem keine Rolle in ihren politischen Überlegungen? Ein Widerspruch!

Ja. Aber dadurch erklärbar, dass es der Politik in diesem Fall weniger um die jungen Menschen als Teil einer Alterskohorte geht, sondern mehr um Jugendlichkeit als Wert. Denn die Wähler erwarten sich von Politikern heute Eigenschaften, die mit jungen Menschen assoziiert werden. Die Lust, Dinge zu verändern, die Lust, mit dem Alten zu brechen, die Lust, forsch in die Zukunft zu schreiten, das wird gefordert. Eine bedächtige, vorausschauende, unspektakuläre Politik interessiert sie nicht mehr.

Sie haben sich in Ihrem Buch quasi selbst die Frage gestellt, „warum, um den Zerfall der Welt zu beschrieben, immer wieder exemplarisch die Jugend herangezogen wird“. Wie lautet die Antwort?

Psychoanalytisch könnte man sagen, dass es sich hier um eine Projektion handelt. Die Jugend symbolisiert Zukunft. Also meint man, einen Blick in die Zukunft werfen zu können, wenn man sich in der Gegenwart die jungen Menschen und deren Verhaltensweisen genau ansieht. Jugendliche sind bis zu einem gewissen Grad ja auch Produkt der Gesellschaft – und deswegen wird alles, was an der Gesellschaft als negativ empfunden wird, auf diese Generation projiziert. Obwohl die Gesellschaft in Wahrheit ja von den Alten, nicht von den Jungen, geschaffen worden ist …

Über Werte und Werteverlust der Jugend wird seit Jahrhunderten philosophiert.

Seit Jahrtausenden! Schon im alten Mesopotamien wurde über den Jugendverfall gesprochen. Erhalten gebliebene 5000 Jahre alte Tontafeln zeigen das. Das dürfte sich also um eine anthropologische Konstante handeln.

Weil wir gerade im Jubiläumsjahr sind: War die 68er-Jugend eigentlich politischer als die heutige? Engagierter? Idealisierter?

Wenn man einen Blick auf die gesamte Generation und nicht nur auf dieses schmale Segment wirft, das man heute mit „68er“ meint, dann muss man sagen: Nein! Damals wie heute wird eine kleine Untergruppe der jungen Generation als sinnbildlich für die gesamte Jugend genommen, damals wie heute wird eine kleine Gruppe mit der gesamten Jugend verwechselt. Denn die 68er, diese politisch engagierten Studenten, waren eben nur ein winzig kleiner Teil der damaligen Jugend und das gilt in gleichem Maß auch für die heutige „Generation Y“. Dieses Phantom, von dem angenommen wird, es repräsentiere die Jugend unserer Zeit! Die schweigende Mehrheit der Jugend wird dagegen kaum wahrgenommen. Das war 1968 so. Und das ist heute so.

In Ihrem Buch über Jugend und Jugendlichkeit steht auch: „Heroische Menschen finden sich eher bei der populistischen Rechten als in konservativ-liberal gesonnenen Gruppen oder bei den Links-Liberalen“. Ähm, wie bitte?

Das ist so! Das Heroische ist immer auch ein bisschen mit einem antizivilatorischen Impuls verbunden. Da geht es um Menschen, die alles umstoßen möchten, die kämpferisch und rücksichtslos auftreten, die ihre eigenen Interessen ganz klar in den Vordergrund stellen und nicht hinter irgendwelchen allgemeinen moralischen Prinzipien zu kaschieren versuchen. So. Und jetzt sagen Sie mir: Kennen Sie einen heroischen Grünen?

Wenn Sie mich so fragen: Ich tu‘ mir generell schwer, die Begriffe „heroisch“ und „politisch“ in einen Zusammenhang zu bringen …

Mit heroisch ist gemeint, dass es da nicht um das Verbindende geht, sondern um das Herausstellen von Unterschieden und auch um das rücksichtslose Eintreten für die Eigeninteressen. Und schauen Sie sich – beispielsweise – Georg Willi an, den neuen grünen Innsbrucker Bürgermeister. In jedem Interview, das der Mann gibt, geht es um Vermittlung, um Ausgleich, um das Bauen von Brücken. Willi inszeniert sich eher postheroisch, wenn man das so sagen kann.

Ohne Angst vor Pauschalierung gefragt: Entfremdet sich die Jugend von Staat und Politik?

Ja. Junge Menschen sind zwar nicht unbedingt politisch desinteressiert. Aber sie haben ein ausgeprägtes Unvertrauen in Staat und Politik. Das wird sinnbildlich, wenn man die Jungen beispielsweise nach der Zukunft des Pensionssystems fragt: Die Jungen glauben nicht mehr, dass der Generationenvertrag für sie noch eine bestimmte Gültigkeit haben wird. Und es wird deutlich, wenn man sie fragt, welche Politiker und Parteien ihre Anliegen transportieren. Dann laut die Antwort: Keine! Interessant ist übrigens, dass dieses Phänomen mittlerweile fast schon zum gesamtgesellschaftlichen Common Sense geworden ist. Dinge, die wir vor zehn Jahren von Jugendlichen gehört haben, hören wir heute auch von Erwachsenen: dass man dem System nicht mehr vertraue, dass das Parlament nur noch ein Hort von Egoisten sei. Das hört man ja heute an allen Ecken und Enden in Österreich! Auch das ist ein Hinweis, dass die Jugend die kulturelle Meinungsführerschaft übernommen hat.

Die Parteien mit jungen Kandidaten an der Spitze haben die Zeichen der Zeit erkannt.

Das ist Zeitgeist, ja. Dieser Zeitgeist und der Wunsch nach einem Umbruch, nach einer radikalen Veränderung, all das wird in diesen jungen Politiker-Persönlichkeiten verkörpert. Das sehen wir auch in Frankreich mit Macron. Da geht es gar nicht so um die konkreten Inhalte, die da propagiert werden, da geht es vielmehr darum, dass man mit dem Alten so unzufrieden ist, dass man sich einen radikalen Wechsel wünscht. Und der kann von jungen Menschen eben glaubwürdiger dargestellt werden als von alten, die seit Jahrzehnten schon mit dem System verbunden sind.

Markieren junge Politiker wie Sebastian Kurz – oder auch Christoph Bitschi in Vorarlberg – also einen Gegentrend?

Das kann man auf jeden Fall sagen. Es gibt inzwischen zu viele jugendlich oder zumindest juvenil auftretende Politiker, als dass man noch von Einzelfällen reden könnte. Und wir sehen ja auch, dass diese Art Politiker bei jungen Leuten beliebt ist.

Wobei politische Inhalte heute immer stärker in den Hintergrund treten …

Auch das kann man sehr schön an den diversen sogenannten Bewegungen der Gegenwart sehen, dass es da sehr wenig um Inhalte, aber sehr viel um Spektakel und Inszenierungen geht. Anders gesagt: Die Inhalte werden von den Menschen für weniger bedeutend gehalten als die Inszenierungen. Wobei ich nicht weiß, ob die Identifikation mit jungen, mehr oder weniger charismatischen Politikern dazu angetan ist, das Politikvertrauen im Ganzen zu stärken. Denn das bezweifle ich ein bisschen …

Könnte man denn auch sagen, dass bei jungen Menschen der „Elder Statesman“, der erfahrene staatsmännische Alt-Politiker, nichts mehr zählt?

Der zählt bei jungen Menschen nichts mehr. Und bei vielen Erwachsenen genauso wenig. Der „Elder Statesman“ steht für die Vergangenheit. Junge Menschen und – ich glaube – auch unsere Gesellschaft würden diesen einen Satz, dass man aus der Geschichte lernen kann, nicht mehr unterschreiben. Die Menschen haben zunehmend den Eindruck, dass unsere Welt von den Welten der Vergangenheit so unterschiedlich ist, dass früher gesammelte Erfahrungsschätze heute nicht mehr anwendbar sind. Um das an einem Extrembeispiel darzustellen: Wenn sich ein 14-Jähriger ein neues Smartphone kauft, dann wird er nicht mehr seine Oma fragen, wie das funktioniert, er wird Gleichaltrige fragen. Und im übertragenen Sinne gilt das für ganz viele andere Dinge: Die Erfahrung des Alters wird entwertet, weil die Gesellschaft als immer schnelllebiger empfunden wird. Ich glaube, es kommt den jungen Menschen eher rührend vor, wenn die Alten über die Vergangenheit sprechen und daraus etwas für die Gegenwart abzuleiten versuchen.

Welches Fazit würden Sie denn ziehen?

Welches Fazit? Dass wir gesellschaftlich und politisch in einer Zeit leben, die sich durch eine extreme Gegenwartsorientierung auszeichnet. Das Alte und das Bewährte wird nicht mehr geschätzt, Wissen und Erfahrung der Alten haben keinen Wert mehr. Gleichzeitig macht man sich aber auch keine Gedanken über die Anliegen, die die Jungen beschäftigen, über die Dinge, die die Jungen ausbaden werden müssen. Es ist eine Gesellschaft geworden, die nur in der Gegenwart lebt und in der weder die Vergangenheit noch die mittlere oder gar die längere Zukunft als bedeutsam empfunden wird. Und schuld daran ist das subjektiv Veränderungstempo der Welt, dem man nur reaktiv begegnen kann und das auch kaum mehr gestaltbar erscheint.

Wie hat sich denn die Jugend Ihrer Generation von der heutigen unterschieden?

Für uns war mehr möglich. Es sind subjektive Erinnerungen, die ich in meiner Arbeit aber immer wieder bestätigt sehe. Wir hatten eine Jugend, die sehr frei war, waren in der Schule beispielsweise noch relativ frei von Leistungsdruck. Wir sind mit einem anderen Selbstbewusstsein aufgewachsen als heutige Jugendliche; wir waren eigentlich davon überzeugt, dass uns nichts passieren kann. Und deswegen konnten wir „goschert“ sein. Ganz besonders stark merkt man das übrigens am Thema der Schulnoten. Heute ist es nicht mehr cool, schlechte Noten zu haben, wie das früher noch vielfach der Fall gewesen ist. Eine junge Frau hat mir einmal auf meine Frage, was denn heute den Streber in einer Klasse ausmache, geantwortet: „Der Streber ist derjenige, an dem sich alle orientieren.“ Das war in unserer Generation vollkommen anders, oder? Diese eine Aussage habe ich mir gemerkt, weil ich glaube, dass sie den Unterschied zwischen diesen Generationen sehr pointiert ausdrückt. Und weil in dieser Antwort auch ganz viel mitschwingt – über veränderte Wertvorstellungen, über Angst und Zukunftsunsicherheit. Der Streber der heutigen Zeit hat schon sehr früh das Leistungsideal unserer Gesellschaft verinnerlicht.

Vielen Dank für das Gespräch!

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