Andreas Dünser

Chefredakteur "thema vorarlberg" (andreas.duenser@themavorarlberg.at)

Ein Land im demografischen Wandel

November 2018

Ein morgen in Vorarlberg geborenes Mädchen wird eine durchschnittliche Lebenserwartung von über 100 Jahren haben. Vorarlberg im demografischen Wandel bedeutet aber vor allem eines: Bei einer insgesamt wachsenden Bevölkerung wird es künftig – anteilsmäßig – wenig Junge, aber immer weniger Erwerbstätige und deutlich mehr Pensionisten geben. Der Umgang mit älteren Menschen wird also zu einem entscheidenden Faktor für Vorarlberg. Und in der Pensionsfrage gilt, wieder einmal, ein skandinavisches Land als Vorbild.

„Zukunft denken“ ist der Titel eines kleinen Büchleins, in dem Wolfgang Lutz und Franz Fischler – der eine ein Bevölkerungswissenschaftler, der andere ehemaliger EU-Kommissar – den demografischen Wandel diskutieren. Und Lutz sagt da: „Kaum jemand ist sich bewusst, dass wir unsere Lebenserwartung in einer geradezu atemberaubenden Geschwindigkeit erhöhen.“ So hat, laut dem Forscher, die Lebenserwartung in Ländern wie Österreich in den vergangenen beiden Jahrzehnten um rund zweieinhalb Jahre pro Jahrzehnt zugenommen: „Wir gewinnen jedes Jahr im Durchschnitt drei Monate an Lebenszeit.“

In Vorarlberg liegt die Lebenserwartung nach Angaben der Landesstelle für Statistik aktuell bei Männern bei knapp 80 Jahren und bei Frauen bei 84,6 Jahren. Betrachtet man da den Zeitverlauf, zeigt sich die eingangs erwähnte Entwicklung. 1970, erklärt Statistik-Leiter Egon Rücker, „hatten Männer in Vorarlberg eine Lebenserwartung von 68,5 und Frauen eine Lebenserwartung von 75,2 Jahren.“ Ein morgen geborenes Mädchen, heißt es, wird eine durchschnittliche Lebenserwartung von über 100 Jahren haben, wenn die Entwicklung in den nächsten Jahren so weitergeht.

„Ein irreführender Begriff“

Die Frage ist also nicht, ob die Bevölkerung in Vorarlberg altert, die Frage ist vielmehr, in welchem Ausmaß die Bevölkerung altert. Rücker erklärt: „Da geburtenstarke Jahrgänge das Pensionsalter erreichen und die Lebenserwartung stetig steigt, erwarten wir in den kommenden Jahrzehnten eine wesentliche Zunahme von Senioren – von aktuell 68.000 auf 117.000 im Jahr 2050.“ Droht ergo eine Überalterung der Gesellschaft? Im Interview mit „Thema Vor­arlberg“ (Seite 11) sagt Sozialwissenschaftler Rainer Münz: „Überalterung ist so ein negativer Begriff, der unterschlägt, dass die Verlängerung des Lebens eine positive Entwicklung ist. Menschen leben nicht nur länger, sie er- und durchleben im Laufe ihrer Lebensspanne auch mehr gesunde Jahre.“ 
Zukunftsforscher Harry Gatterer sprach in Bregenz von einer „Silver Society“ und fügte an: „Wir werden nicht nur immer älter, sondern auch anders alt.“ In Ländern wie in Österreich verschiebe sich die Phase der körperlichen und geistigen Vitalität immer weiter bis ins hohe Alter: „Wir bleiben länger jünger und altern langsamer.“ Wissenschaftler sprechen da übrigens von „Down-Aging“ und sagen auch, dass bessere medizinische Versorgung und der Trend zu einem immer gesünderen Lebensstil diesen Effekt in nachwachsenden Generationen noch verstärken werden.
Auch Lutz lehnt den Begriff der Überalterung ab, „weil er in die Irre führt und das Phänomen rein negativ bewertet.“ Denn schon die Frage, wer in der heutigen Zeit als alt gelten solle, lasse sich so einfach nicht beantworten: „In der Regel sind Menschen über 60 heute in einem wesentlich besseren gesundheitlichen Zustand als in früheren Generationen.“ Die 70-Jährigen von heute – das liest sich in vielen Studien, in vielen Berichten – seien die 60-Jährigen von gestern.

Rasches Wachstum

Vorarlbergs Bevölkerung entwickelt sich dynamisch. Seit dem Jahr 1980 wuchs das Land binnen zwei Jahrzehnten jeweils um 50.000 Einwohner. Hatte Vorarlberg 1980 rund 300.000 Einwohner, waren es im Jahr 2000 bereits rund 350.000 und werden es im Jahr 2020 dann 400.000 Einwohner sein. Vorarl­bergs Einwohnerzahl wird weiter zunehmen, allerdings werden nicht alle Alterskohorten wachsen.

Das zeigen sämtliche Prognosen. Rücker orientiert sich am Jahr 2050 und erklärt: „Bei einer insgesamt zunehmenden Einwohnerzahl wird der Anteil an Kindern und Jugendlichen gleich bleiben, also auf dem heutigen Stand – während der Anteil an Erwerbstätigen abnehmen und der Anteil Älterer stark zunehmen wird.“ Längerfristig droht noch Dramatischeres. Laut der von der Statistik Austria publizierten „vorausberechneten Bevölkerungsstruktur für Vorarlberg“ wird prognostiziert, dass in knapp acht Jahrzehnten in Vorarlberg nahezu jeder Dritte über 65 Jahre alt sein wird.

Die Zahlen zeigen das: 2100 wird der Anteil der unter 20-Jährigen von derzeit 21,7 auf 19,7 Prozent leicht gesunken sein, der Anteil der 20- bis 65-Jährigen von derzeit 61,1 auf nur noch 50,8 Prozent deutlich gesunken und der Anteil der über 65-Jährigen von derzeit 17,2 auf 29,5 Prozent stark gestiegen sein. Bei einer insgesamt stetig wachsenden Bevölkerung heißt das: Wenig Junge. Immer weniger Erwerbstätige. Und immer mehr Pensionisten.

Pensionen im Fokus

Der demografische Wandel wird Auswirkungen auf sämtliche gesellschaftlich relevanten Bereiche haben – auf den Wohnungsmarkt, auf die Kommunen, auf Pflege und Gesundheit, auf familiäre Strukturen, auf die Wirtschaft, auf den Arbeitsmarkt. In einem Trendreport „Arbeitsmarkt Vorarlberg“, erstellt vom Zukunftsinstitut in Kooperation mit der Caritas Vorarlberg, hieß es, dass in Vor­arlberg bereits jeder vierte Arbeitslose über 50 Jahre alt sei: „Und der demografische Wandel wird dieses Phänomen noch stärker in den Mittelpunkt rücken.“ Ältere Arbeitslose außen vor zu lassen, bedeutet allerdings, einen schnell anwachsenden Pool an verschwendeten Ressourcen hinzunehmen und nebenbei auch die Langzeitarbeitslosigkeit zu fördern. Fazit des Trendreports: Der Umgang mit älteren Menschen werde zu einem entscheidenden Faktor für Vorarlberg.
Zentrale Herausforderung aber wird die Pensionsfrage sein. Wolfgang Lutz und Franz Fischler besprechen das in ihrem Buch. Lutz sagt dort, dass das Pensionssystem in der Vergangenheit, als die starke Babyboom-Generation jung war, bestens funktioniert habe: „Aber daraus können wir nicht ableiten, dass es auch in Zukunft so gut funktionieren wird, weil sich die Rahmenbedingungen infolge veränderter Altersstruktur verändern werden. Aber wir wissen nicht nur, dass sich etwas ändern wird, wir wissen sogar ziemlich genau, wie sich die Altersstruktur in den kommenden Jahrzehnten verändern wird. Zum Beispiel, wann die starken Geburtenjahrgänge 60 oder 65 Jahre alt sein werden.“

Vorbild Schweden

Soll heißen: Jede Alterskohorte hat heute eine höhere Lebenserwartung. Wenn aber das Pensionsantrittsalter gleich bleibt, führt das zwingend dazu, dass der Anteil der Bevölkerung, der eine Pension bekommt, ständig wächst – weil die Leute eben immer älter werden. Schweden, wieder einmal, ist da weit vor­aus. Dort hat man einen Automatismus eingeführt, der alle paar Jahre auf Basis einer demografischen Formel eine Anpassung im Pensionssystem durchführt. Dahinter steckt der Versuch, das Pensionssystem erstens gerecht zu machen und zweitens anpassungsfähig an zukünftige demografische Veränderungen. Laut Lutz halten die Schweden diese Generationsproblematik mittels eines Automatismus‘, einer mathematischen Formel, aus dem tagespolitischen Geschäft heraus. Damit ist der Politik entzogen, was die Politik im Tagesgeschäft auch nicht lösen könnte. „Mit Blick auf den steigenden Anteil der Älteren und der Tatsache, dass Ältere auch zu einem höheren Prozentsatz zur Wahl gehen, wäre eine jede Kürzung der Pension respektive eine schmerzhafte Reform geradezu ein Selbstmord-Programm“, sagt Lutz.
1970 gab es in Österreich zwei Millionen Pensions- und Rentenbezieher. Bald ist die Drei-Millionen-Grenze erreicht. Man könnte da also auch Helmut Glaßl, einen deutschen Aphoristiker, zitieren: „Der demografische Wandel müsste auch unser Denken wandeln.“

Um das Jahr 1900 hatte Vorarlberg knapp 130.000 Einwohner – heute leben rund 400.000 Menschen im Land.

Vorarlbergs demografische Fakten

  • Das aktuelle Durchschnittsalter der Vorarlberger beträgt aktuell 41,4 Jahre.

  • Jahr für Jahr werden im Land rund 4000 Geburten und 2800 Sterbefälle verzeichnet, im langjährigen Schnitt wandern jährlich etwa 8800 Menschen ein und 7400 aus.

  • 1970 lag die Lebenserwartung bei Männern in Vorarlberg bei 68,5 Jahren und bei Frauen bei 75,2 Jahren – 2017 bei Männern bei knapp 80 Jahren und bei Frauen bei 84,6 Jahren.#

  • 394.603 Personen lebten per 30.9.2018 in Vorarlberg. Die Zuwanderung war wesentlich geringer als in den Vorjahren. Während der Wanderungssaldo im September 2017 plus 2000 Personen betrug, zählte dieser im September 2018 plus 1267 Personen.

  • Derzeit leben aus den Krisenländern Syrien, Afghanistan, Irak, Somalia und Pakistan 5428 Personen in Vorarlberg, von denen 1873 minderjährig sind.

  • 17.386 deutsche Staatsbürger leben aktuell in Vorarlberg, 13.117 türkische und 3645 Personen aus Bosnien und Herzegowina.

  • Der Einwohnerzuwachs konzentriert sich überwiegend auf die Region Rheintal.

Kommentare

To prevent automated spam submissions leave this field empty.