Markus Schmidgall

Ein Mord in alten Tagen

November 2015

Am 25. Juli 1789 wurde in Lustenau die Leiche von Karl Benedikt Riedmann gefunden. Ermittlungen begannen – das Corpus Delicti findet sich bis heute in den Akten des Landesarchivs.

Seit Menschengedenken üben Verbrechen – und mögen sie noch so grausam sein – eine gewisse Faszination auf uns aus. Sonderberichterstattungen in den Medien oder auch die einst länderübergreifende Fernsehsendung „Aktenzeichen XY … ungelöst“ bedienen oftmals sogar gezielt unsere Neugier an Verbrechen. Trotz dieser Faszination sind wir als Gesellschaft an einer möglichst schnellen und reibungslosen Aufklärung von Verbrechen interessiert. Um diese Verbrechen aufklären zu können, müssen die Strafverfolgungsbehörden heute wie zu früheren Zeiten dem mutmaßlichen Täter das Verbrechen nachweisen. Zu diesem Zweck sind Beweismittel von der unmittelbaren Tat bzw. vom Tatort unabdingbar. Konnte ein solcher Gegenstand, mit dem ein Verbrechen begangen wurde, gesichert werden, spricht man von einem „Corpus Delicti“. Dieser Tatgegenstand dient dann bei Verhören oder auch vor Gericht als Beweisstück, auf dem die Anklage gegen den vermeintlichen Täter basiert. Ein solches Corpus Delicti fand im 18. Jahrhundert in Hohenems Einzug in einen amtlichen Akt.

Am 25. Juli 1789 wurde im Rheindorf im Reichshof Lustenau ein gewisser Karl Benedikt Riedmann erstochen aufgefunden. Am Tatort fand sich neben einem Besteckset (Messer und Gabel) des Erstochenen ein Messer, welches offenbar auf den Täter hinwies. Im Gegensatz zu anderen Verbrechen in jener Zeit konnte die Verfolgung des Täters aufgrund des Tatwaffenfundes sehr schnell voranschreiten. Bereits am folgenden Tag, dem 26. Juli 1789, wurden Protokolle in der „Inquisitionssache des Johann Hemmerle, Sohn des Johann Hemmerle“ angelegt. Wie aus dem Protokoll hervorgeht, waren von amtlicher Seite Oberamtmann Johann Michael Häring und Rentmeister Franz Xaveri Seewald bei dieser ersten Einvernahme zugegen. Hierbei muss beachtet werden, dass der Begriff „Inquisition“ nicht mit den spätmittelalterlichen Gerichtsverfahren unter Beteiligung von zumeist katholischen Geistlichen in Verbindung gebracht werden darf. Vielmehr ist dieser Begriff im 18. Jahrhundert ein Synonym für eine von Amts wegen eingeleitete Untersuchung, eine strenge Befragung oder ein robusteres Verhör.

Nun sind Gerichtsakten in einem Archiv nichts Ungewöhnliches. Was macht aber unseren Akt aus Hohenems so interessant bzw. einzigartig? Bei der bloßen Betrachtung des gesamten Akts sind zwei Umstände auffällig: Einerseits war es auch schon für das ausgehende 18. Jahrhundert ungewöhnlich, dass Tatgegenstände (sogenannte Mobilien) mit in den Akt aufgenommen wurden – gerade auch bei gerichtlichen Verfahren. Andererseits ist die Größe des gesamten Akts für eine einzelne Untersuchung eines Tötungsdelikts ebenfalls außergewöhnlich. Bei weiterer Betrachtung des Akteninhalts liegt der Schluss nahe, dass das „archivierte“ Messer (das Corpus Delicti) und die Größe des Akts (mit einer Dicke von fünf Zentimetern!) in einem direkten Zusammenhang stehen.

Unter normalen Umständen umfassen die überlieferten Akten von Verhören und den folgenden Gerichtsverfahren aus jener Zeit nur wenige Unterlagen. Die Abläufe bzw. die einzelnen Schritte der Ermittlungen sind somit oftmals nur stichwortartig nachvollziehbar. Natürlich sind diese historischen Verfahren mit den umfangreichen Verfahrensabläufen in der heutigen Zeit keinesfalls vergleichbar. Ein Akt wird aber immer dann spannend, wenn die Fülle der enthaltenen Informationen ein komplexes Bild vom Täter, vom Tathergang und den aus der Tat entstehenden Konsequenzen abbildet. Dementsprechend sind große bzw. dicke Akten im Archiv immer ein wenig verdächtig.

In unserem vorliegenden Mordfall zeichnete sich anhand der einsetzenden Befragungen zunächst ebenfalls ein schnelles Verfahren ab. Dem mutmaßlichen Täter Johann Hemmerle konnte das am Tatort gefundene Messer eindeutig zugeordnet werden. Wie aus den Protokollen hervorgeht, wurde das Messer immer wieder bei den Befragungen herangezogen, um den Verdächtigen zur Preisgabe von weiteren Informationen – etwa zum Motiv der Tat – zu bewegen. In den folgenden Protokollen nahm der Fall allerdings eine unerwartete Wendung. Offenbar stießen die Ermittler auf Parallelen zu anderen aktenkundigen Verbrechen aus dieser Zeit. Eine dieser bis dato offenbar unaufgeklärten Straftaten war die gefährliche Körperverletzung an Johann Baptist Hemmerle. Ab diesem Stand der Ermittlungen wurde der Verdächtige Johann Hemmerle somit zu zwei Straftaten gleichzeitig einvernommen. Wohl auch aus diesem Grund zogen sich die anschließenden Untersuchungen bis in den August 1790 hin und füllten den gesamten Akt mit Verhörprotokollen und weiteren Unterlagen an.

Leider ist trotz der Fülle der Unterlagen aus dem Akt nicht mehr ersichtlich, was aus den Vorwürfen bzw. dem Verdächtigen in der Folge wurde. Aufgrund der teils sehr soliden Überlieferungsdichte in Vorarlberg ist es aber nicht ausgeschlossen, dass der Verdächtige an anderer Stelle erneut in den Akten vermerkt werden musste.

Das Aktenkonvolut aus dem Archivbestand der ehemals reichsfreien Reichsgrafschaft Hohenems gibt insgesamt eine sehr eindringliche Vorstellung von den damaligen amtlichen Vorgehensweisen bei schweren Straftaten. Einmal mehr zeigt dieser Akt die ganze Vielfalt von historisch überlieferten Themen in den Beständen des Vorarlberger Landesarchivs in Bregenz. Dieser Akt ist ebenso wie viele weitere spannende Akten, Handschriften, Fotos, Plakate und Urkunden zur Vorarlberger Landesgeschichte im Lesesaal des Landesarchivs einsehbar.

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