Andreas Dünser

Chefredakteur "thema vorarlberg" (andreas.duenser@themavorarlberg.at)

Ein Schatten der Unbehaglichkeit

Mai 2023
Alt-Vizekanzler Reinhold Mitterlehner sprach in St. Arbogast über Haltung und Macht, über Medien und Politik im Allgemeinen und den österreichischen Boulevard im Speziellen: „Ich habe mir nie das Kreuz brechen lassen.“

Reinhold Mitterlehner hatte in seinem 2019 veröffentlichten Buch „Haltung“ recht schonungslos über das System Kurz, über Inserate und Medien berichtet und damit viel von dem vorweggenommen, was seither die Justiz und die interessierte Öffentlichkeit beschäftigt. Er bewerbe das Buch nicht mehr, es verkaufe sich dank aktueller Vorgänge auch ohne sein Zutun, sagte der ehemalige Vizekanzler nun bei einem Vortrag in St. Arbogast; einem Vortrag, der unter dem Motto stand „Haltung in der Politik zwischen Anspruch und Wirklichkeit“ – und in dem der einstige ÖVP-Parteichef immer wieder äußerst kritische Worte fand. Für die Politik, für seinen Nachfolger, für die Medien. Denn letztere hätten, sagte Mitterlehner, ja eigentlich eine Kontrollfunktion, sollten „verlässlich unberechenbar und berechenbar unverlässlich“, also kein Werkzeug der Politik sein: „Es müsste eine Art Balance da sein zwischen Nähe und Distanz. Doch die gibt es in den meisten Fällen nicht.“

Eindeutige Beispiele
Wobei vor allem der Boulevard laut dem ehemaligen ÖVP-Parteichef „mit seiner Art und Weise, nicht Politik zu kommentieren, sondern Politik zu machen, eine ganz, ganz gefährliche Größe ist“. Auf Nachfrage berichtete der 67-Jährige recht offen, was er damit meine, nannte drastische Beispiele aus seiner Zeit als Wirtschaftsminister. In dem einen Fall sei der Herausgeber einer größeren Boulevardzeitung bei ihm aufgetaucht und habe gesagt: „Sie sind jetzt seit einiger Zeit Minister, wir haben über Sie weder sehr positiv noch sehr negativ geschrieben, das könnte sich in diese oder in diese Richtung ändern. Schauen wir doch in den Unterlagen, wie viel bisher inseriert worden ist. Ah! Viel zu wenig.“
Und in dem anderen Fall habe er sich auf Anraten seiner Presseleitung bei Hans Dichand Senior, respektive bei der Kronen-Zeitung vorgestellt. Der habe ihm erklärt: „Seien Sie kritischer gegenüber der EU und wir werden positiv über Sie schreiben!“ In beiden Fällen, sagte Mitterlehner, sei er standhaft geblieben, habe weder mehr inseriert noch gegen Europa agiert: „Politiker müssen Kompromisse eingehen. Ich bin auch Kompromisse eingegangen. Aber ich habe mir nie das Kreuz brechen lassen.“
Später in seinem Referat fügte Mitterlehner an: „Transparenz bei den Inseraten – und alles schaut anders aus!“ Kanzler Kern und er hätten damals eine eigene Agentur zur Inseraten-Kontrolle gründen wollen: „Und wer, glauben Sie, hat das nicht wollen?“ Sebastian Kurz …

Intrigen
Wobei Mitterlehner zunächst an die krisenhafte Vergangenheit erinnerte, an all die Verwerfungen und an die Tatsache, dass man in vielen Bereichen, etwa im Finanzsektor oder in Bezug auf die Migration „nichts gelöst und nichts gelernt“ habe. Die Menschen würden auf Änderungen drängen: „Man fühlt sich nicht wohl, ein Schatten der Unbehaglichkeit schwebt über dem ganzen Land.“ Und der schwebt wohl auch über der Politik. Denn Politiker sollten ja eigentlich dem Gemeinwohl und dessen Optimierung verpflichtet sein: „Doch die Realität ist eine andere: Politiker wollen wiedergewählt werden. Also haben sie das Ohr am Volk. Aber wenn es nur noch Politiker gibt, die sich ausschließlich an dem orientieren, was Bürger wollen und an dem, was Medien berichten, dann ist das gefährlich. Dann wird auch der Spielraum für unpopuläre, aber notwendige Maßnahmen immer kleiner.“ Stattdessen würden sowohl Politik als auch öffentliche Meinung dazu neigen, Selbstdarsteller zu forcieren, sagte Mitterlehner. Es war ein weiterer, kaum verhohlener Seitenhieb auf Kurz, also auf jenen Mann, der ihn im Mai 2017 aus dem Amt gedrängt und selbst die Macht in der Partei übernommen hatte. Er wolle, sagte Mitterlehner, nicht mehr auf die Intrigen oder auf die Frage, wer da Meinungsumfragen gefälscht hat, eingehen. Nur so viel sei zu sagen: „Politik ist immer dreckig, man muss an bestimmten Positionen mit Indiskretionen und Intrigen leben lernen. Aber diese systematische Art hatte eine Dimension, die weitaus intensiver war.“ 

Eine Qualitätsfrage
„Sind unsere Ansprüche an die Politik zu hoch?“, wollte Moderator Peter Vogler gegen Ende der Veranstaltung wissen, und bekam folgenden Satz zur Antwort: „Wir haben eine Qualitätsfrage, was das handelnde Personal anbelangt.“ Mitterlehner würde gerne Hearings angehender Minister sehen, wie sie beispielsweise in den USA und im EU-Parlament üblich sind. Es brauche insgesamt mehr Qualität in der Politik, mehr gegenseitigen Respekt, aber auch mehr Sachlichkeit und Fachlichkeit, sagte der Oberösterreicher. Und formulierte die nächste Kritik: „Ich kenne einen Nachfolger, mit dem ich nie eine inhaltliche Auseinandersetzung hatte, weil ihm die vollkommen egal war. Weil es bei uns sehr oft nur um die Macht gegangen ist. Was ist Macht? Macht ist die Verfügbarkeit über Ressourcen und Personen. Das war und ist der entscheidende Punkt. Darum ist alles gegangen. Und deswegen bin ich enttäuscht. Wir müssten für das Land arbeiten, für die Bevölkerung.“ Im Übrigen habe er, sagte der studierte Jurist an anderer Stelle, „keine derartigen Chats gemacht“. Und: „Manches geht einfach nicht.“
Die „NZZ am Sonntag“ hatte dieser Tage unter dem Titel „Die geschmierte Gewalt“ einen hochinteressanten Artikel über Österreichs Medien veröffentlicht, dort wurde unter anderem auch – just – daran erinnert, wie Kurz einst Mitterlehner entmachtet hatte. Im Artikel stand, dass Kurz‘ Aktion „wohl nur durch Rückendeckung des von ihm angefütterten Boulevards glückte“. Kurz ist mittlerweile selbst Geschichte. Und wie traurig war und ist Mitterlehner über das rasche politische Ende seines offenbar so intriganten Nachfolgers? Ein Schmunzeln, eine rasche Antwort: „Das ist eine rhetorische Frage, oder?“

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