WALTER HÖMBERG

Walter Hörmberg war Lehrstuhlinhaber für Journalistik und Kommunikationswissenschaft an den Universitäten Bamberg und Eichstätt und hat lange Zeit als Gastprofessor an der Universität Wien gelehrt. Er hat zahlreiche Studien zur Geschichte und Gegenwart des Journalismus veröffentlicht und ist Mitherausgeber des Bandes „Ich lass mir nicht den Mund verbieten! Journalisten als Wegbereiter für Pressefreiheit und Demokratie“, der soeben im Reclam Verlag erschienen ist.

Ein Virus verändert die Welt

Mai 2020

Corona in den Medien

Journalisten sind Alarmisten. Schopenhauer hatte mit diesem Urteil über die Zeitungsschreiber nicht ganz Unrecht. Vor allem Boulevardblätter sind dabei nicht immun gegen Fehlalarme. Diesmal war alles anders. Zu Beginn dieses Jahres nahmen nur wenige Spezialisten eine zuerst in der zentralchinesischen Stadt Wuhan aufgetretene Lungenentzündung bewusst wahr. Auslöser war ein extrem aggressiver Coronavirus vom Typ Sars-CoV-2, gegen den nach wie vor weder Medikamente noch Impfstoffe zur Verfügung stehen. Das schien eine lokale, bestenfalls regionale Angelegenheit zu sein – weit hinten im fernen Osten Asiens. Die Weltgesundheitsorganisation brauchte lange, bis sie die Gefährlichkeit und die rasante Ausbreitungsgeschwindigkeit dieser Viruserkrankung erkannte und schließlich am 11. März als Pandemie einstufte. Die globale Mobilität hat eine weltweite Ausbreitung gefördert; inzwischen haben mehr als 180 Länder solche Krankheitsfälle gemeldet. 
In Österreich wurden erstmals am 25. Februar zwei Fälle registriert. Der Tiroler Wintersportort Ischgl, wo auch nach dem Bekanntwerden von Infektionen noch muntere Après-Ski-Partys stattfanden, entwickelte sich dann zu einem Hotspot. Wohl aus Rücksicht auf die Tourismusbranche wurden erst spät Quarantänemaßnahmen ergriffen – Skiurlauber haben dann den Coronavirus in mehrere Länder Europas getragen. Der winzige Virus veränderte das Leben der Menschen grundlegend – und auch die Medienberichterstattung. 
Das Fernsehen wurde zum Leitmedium Nummer 1. Wie häufig in Krisenzeiten verzeichneten die Nachrichtensendungen der öffentlich-rechtlichen Anstalten Einschaltrekorde. In Deutschland erreichten die „Tagesschau“ (ARD) und „Heute“ (ZDF) mit Abstand die größten Marktanteile. Das Thema beherrschte auch die etablierten Talkformate und viele separate Sondersendungen. Ähnliches gilt in Österreich für den ORF: Hier sendete die Redaktion von „Zeit im Bild“ über Wochen sogar in freiwilliger Selbstisolation aus einem Quarantäne-Studio.
Eine gängige Präsentationsform im Fernsehen ist das Experten-Interview. Diesmal kamen, der Thematik entsprechend, vor allem sehr spezielle Experten zu Wort: Virologen, Mikrobiologen und Infektionsmediziner. Neben ihrer fachlichen Qualifikation war vor allem ihre Vermittlungskompetenz wichtig. Dabei konzentrierten sich die Medien auf eine Handvoll Virusforscher, die immer wieder zu hören und zu sehen waren. 
Neben den medizinischen Basisinformationen traten in den ersten Wochen die politischen Reaktionen und Restriktionen in den Vordergrund. Die Regierungsvertreter nutzten nahezu täglich eigens angesetzte Pressekonferenzen, um einschneidende Beschlüsse zu verkünden: Abstands- und Hygieneregeln, Ausgangbeschränkungen, Kontakt- und Demonstrationsverbote, Geschäfts- und Schulschließungen – alles Maßnahmen, die die Freiheitsrechte massiv beschneiden. Diese Veranstaltungen, plakativ in Szene gesetzt, stärkten das Macher- und Kümmerer-Image der verantwortlichen Politiker und Politikerinnen und steigerten ihre positiven Persönlichkeitswerte in einschlägigen Umfragen. Der Lockdown führte zwar zum sozialen Knockout, für die politischen Entscheider aber zum Imagegewinn.
 

Journalisten sind Alarmisten. Schopenhauer hatte mit diesem Urteil über die Zeitungsschreiber nicht ganz Unrecht.

Auch die Printmedien konzentrierten sich seit März immer mehr auf die Corona-Krise. Die Qualitätszeitungen haben insbesondere ihr Korrespondentennetz genutzt, um über die Seuchensituation in anderen Ländern und Kontinenten zu berichten. Daneben lieferten Zeitungen und Zeitschriften zunehmend auch pointierte Meinungsbeiträge und Zeitdiagnosen zur sogenannten „neuen Normalität“. Das Virus wurde auch zum Thema von Glossen und Karikaturen – mit Humor wird bekanntlich vieles leichter. Für den jetzt in die elterliche Wohnung verbannten Nachwuchs haben einige Blätter jetzt Tag für Tag eine eigene Kinderseite gestaltet. 
Bemerkenswert, wie stark sich die Berichterstattung auf die Aussagen wissenschaftlicher Experten stützt. Diese Wissenschaftsnähe erklärt sich zum einen aus der Tatsache, dass das neue Virus nur in hochspezialisierten Forschungslabors untersucht wird. Zum anderen ist die Zahl der Fachjournalisten, die schwerpunktmäßig im Bereich Naturwissenschaft und Medizin arbeiten, sehr überschaubar. Gerade bei solchen Katastrophen waren Defizite in der Berichterstattung nicht selten. So konnten nach dem Reaktorunfall in Tschernobyl selbst Qualitätszeitungen viele Fakten- und Deutungsfehler nachgewiesen werden. 
Die Medien präsentieren täglich neue Zahlen über die Entwicklung der Neuinfektionen in verschiedenen Ländern. Verlaufskurven, Säulen- und Tortengrafiken sollen den aktuellen Stand dokumentieren. Die statistischen Angaben suggerieren allerdings eine Präzision, die illusionär ist: Die Fallzahlen beruhen auf den Ergebnissen positiver Tests, die in den verschiedenen Ländern in ganz unterschiedlicher Häufigkeit durchgeführt wurden und werden. Die Dunkelziffer ist groß. Hinzu kommt, dass in manchen Regionen die Zahlenangaben aus politischen Gründen manipuliert sind. 
Auch die Angaben zu den Sterbefällen sind kritisch zu bewerten. Da bei vielen Opfern mehrere schwere Erkrankungen diagnostiziert wurden, müsste man unterscheiden, ob sie an oder mit dem Corona-Virus gestorben sind. Dies legen aktuelle Aussagen von Pathologen nahe. Auch deshalb sind die immer wieder neu präsentierten Bilder von Sarglagern und Militärkonvois zu Massengräbern problematisch. 
Die Defizite im Gesundheitswesen kamen relativ spät zur Sprache: der Mangel an Schutzkleidung, Beatmungsgeräten und Desinfektionsmitteln vor allem. Trotz vorhandener Pandemiepläne war auch das Klinikmanagement nicht optimal: Der Mangel an Pflegepersonal – lange erkannt, häufig beklagt, bis heute nicht beseitigt. Die Zahl der Betten in den Intensivstationen und die Zahl der Beatmungsgeräte samt Monitoren konnte nach den schlimmen Erfahrungen in Italien kurzfristig erhöht werden – als Richtgröße haben sie letztlich die politischen Strategien gegen die Zunahme von Infektionen bestimmt. 
So wie die erwarteten Corona-Patienten viele andere medizinische Eingriffe in den Kliniken verdrängt haben, so hat auch die Berichterstattung über das Virus wie ein großer Staubsauger viele andere Themen verschluckt. Klimaschutz, Syrienkrieg, Dürrekatastrophen – plötzlich irrelevant. Vieles bleibt im Ungewissen. Immerhin: Das Wissen vom Nichtwissen nimmt zu. Die Medien verfallen in gängige Muster: Sie präsentieren Helden und Opfer. Helden, das sind jetzt die Krankenschwestern, die Klinikärzte und die Verkäuferinnen im Supermarkt. Opfer, das sind die Alleinerziehenden, die neuen Arbeitslosen und die anonymen Toten. 
Notabene: Auch die Redaktionen haben eine schwere Zeit durchgemacht. Kurzarbeit und Home-Office gehörten für viele zum Alltag. Das sollte man bei einer Gesamtbeurteilung nicht vergessen.

Kommentare

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Das ist eine sehr zutreffende Einschätzung der Berichterstattung während der C-Krise. Wir haben im Freundeskreis auch viel über die - teilweise nicht immer nachvollziehbaren - Maßnahmen des LOCKDOWNS diskutiert. - Für die Politik war es - dem Anschein nach - eine "jungfräuliche Situation", obwohl bereits seit 2012 ganz konkrete Pläne für den Fall einer Pandemie vorlagen. - Nur, die sind in irgendwelchen Schubladen verschwunden. Die "seriöse" Presse hat m. E. immer versucht, die Leser mittels Aussagen kompetenter Virologen und Wissenschaftler fortlaufend zu informieren, wobei die "yellow press" mal wieder ein desaströses Bild vermittelte.