WALTER HÖMBERG

Walter Hörmberg war Lehrstuhlinhaber für Journalistik und Kommunikationswissenschaft an den Universitäten Bamberg und Eichstätt und hat lange Zeit als Gastprofessor an der Universität Wien gelehrt. Er hat zahlreiche Studien zur Geschichte und Gegenwart des Journalismus veröffentlicht und ist Mitherausgeber des Bandes „Ich lass mir nicht den Mund verbieten! Journalisten als Wegbereiter für Pressefreiheit und Demokratie“, der soeben im Reclam Verlag erschienen ist.

Die Postkarte – als altes Medium immer noch aktuell

Juli 2021

Ansichtskarten sind beliebte Kommunikationsmittel und zugleich kulturgeschichtliche Dokumente.

Die Premiere fand in Österreich statt: Ab Oktober 1869 hat die österreichisch-ungarische Post die so genannten „Correspondenzkarten“ zum Versand zugelassen. Der zuständige General-Post-und-Telegraphendirektor griff damit einen Vorschlag auf, den der Nationalökonom Emanuel Herrmann zu Beginn desselben Jahres in der Wiener „Neuen Freien Presse“ gemacht hatte. Innerhalb eines Jahrzehnts folgten dann mehr als zwanzig Länder in der Welt diesem Beispiel. 
Die frühen Correspondenzkarten wurden nur auf der Rückseite beschrieben. Die Vorderseite war für die Adresse des Empfängers und das Postwertzeichen freigehalten. Da im Unterschied zum Brief der verhüllende Umschlag fehlte, verzichteten Absender und Empfänger gleichermaßen auf das Wahren des Postgeheimnisses. Dies wurde durch ein ermäßigtes Porto honoriert (am Beginn zwei Kreuzer – statt fünf Kreuzer für einen Brief). So entwickelte sich die Postkarte schnell zum Verkaufsschlager. In Österreich wurden bereits im ersten Monat 1,4 Millionen Postkarten verkauft. 
Dieser bemerkenswerten Expansion folgte bald eine Differenzierung des Angebots. Die Fortschritte der Drucktechnik erlaubten am Ende des 19. Jahrhunderts zunächst die Verwendung von Farbe und später auch den Fotodruck. Damit war die Ansichtskarte geboren. In der immer noch gültigen Form reserviert sie auf der Rückseite links Raum für Mitteilungen und rechts für die Anschrift des Empfängers. 
Am beliebtesten und am weitesten verbreitet sind bis heute die topographischen Karten. Sie zeigen Abbildungen von Städten, Dörfern und Landschaften und definieren durch ihre Bildauswahl, was „sehenswert“ ist. Markante Kirchen, Burgen und Schlösser, historische Plätze, Denkmäler und Paläste, idyllische Berge, Wälder und Seen – die Bildmotive bestätigen in Zeiten eines boomenden Tourismus häufig die Erwartungserwartungen der Empfänger. 
Solche Ansichtskarten sind nicht nur Erinnerungsstützen für den Einzelnen, sie sind auch kulturgeschichtliche Dokumente. Kein Wunder, dass sich auch Wissenschaftler und Museumsleute mit diesem ersten globalen Bildmedium befassen. So hat im vergangenen Jahr die Museumsstiftung Post und Telekommunikation in einer Ausstellung in Berlin eine Auswahl aus ihren über 200.000 Postkarten gezeigt. Die Vorarlberger Landesbibliothek digitalisiert laufend alte Bildbestände und hat inzwischen eine fünfstellige Zahl historischer Ansichtskarten mit regionalen Motiven anzubieten.
Was die Sammelleidenschaft betrifft, so gibt es neben den Philatelisten, die Briefmarken horten, auch Philokartisten, die auf Ansichtskarten scharf sind. Bereits im Mai 1894 gründeten in Hamburg Liebhaber dieses Mediums den ersten „Sammlerverein für illustrierte Postkarten“. In der Folge erschienen Fachzeitschriften zum Thema, Auktionen wurden veranstaltet, eigene Läden eröffnet. Viele Sammler spezialisierten sich, etwa auf topographische Karten aus bestimmten Regionen, auf Feldpostkarten, Glückwunschkarten, Werbekarten, Karten mit Künstler- und Prominentenporträts oder andere Motivkarten. 
Ein sehr spezielles Sammelgebiet hat sich das Ehepaar Dirk und Regina Streitenfeld ausgesucht: Die beiden sind seit fünf Jahrzehnten auf der Jagd nach historischen Humor-Postkarten. Inzwischen haben sie fast 5000 solcher Karten aus mehreren Ländern aufgetrieben. Eine Auswahl davon ist in dem Bildband wiedergegeben, der im vergangenen Jahr unter dem Titel „Lachen à la carte“ erschienen ist. Das thematische Spektrum reicht von Geschlechterklischees über Berufs- und Freizeittätigkeiten bis zur Darstellung von gesellschaftlichen Randgruppen und zu politischen Propagandaaktionen. Und es reicht von heiteren Anspielungen auf menschliche Schwächen bis zu deftigen und provokativen Karikaturen. So manches Mal nutzen die Ansichtskarten auch die Möglichkeit zum Norm- und Tabubruch, etwa durch obszöne Illustrationen. Dies folgt dann der Devise „Humor ist, wenn man trotzdem lacht“.
Und dann gibt es noch eine ganz besondere Sorte: die Kunstpostkarte. Original-Kunstwerke auf Postkarten werden teilweise hoch gehandelt: So ersteigerte ein Sammler bei einer Auktion im November 2017 drei Postkarten, die Franz Marc 1913 an seinen Freund Erich Heckel geschickt hatte, für insgesamt 925.000 Euro. Die Karten zeigen aquarellierte Tiermotive, für die Marc ja berühmt ist. Auch manche Schriftsteller haben sich dieses Mediums bedient: Jurek Beckers Buch „Am Strand von Bochum ist allerhand los“ besteht aus einer Sammlung von Postkarten, und der Wiener Lyriker und Feuilletonist Peter Altenberg hat eine Reihe von Gedichten als „Ansichtskartentexte“ bezeichnet. 
Ansichtskarten versendet man üblicherweise an sein persönliches Netzwerk von Familienmitgliedern, Freunden und Kollegen. Eine spezielle Gruppe von Liebhabern dieses Mediums versucht inzwischen, das Organische, die persönliche Kommunikation, zu organisieren: die Postcrosser. Seit 2005 können sich Interessenten auf einer Online-Plattform registrieren lassen: www.postcrossing.com. Sie senden dann eine Postkarte an eine von dort übermittelte Adresse. Der Empfänger gibt die Identifikationsnummer des Absenders auf der Website ein und erhält eine neue Adresse, an die er dann seinerseits eine Postkarte schickt. Das weltweite Netzwerk umfasst inzwischen etwa 800.000 Mitglieder, die insgesamt schon mehr als 59 Millionen Postkarten verschickt haben. So können durch Postkarten über Sprach- und Ländergrenzen hinweg Freundschaften entstehen. 
Die Selfie-Gesellschaft hat inzwischen neue Wege der Short-Message-Kommunikation gefunden. Whatsapp, Twitter, Facebook und Instagram ermöglichen es dem Smartphone-Besitzer, ohne Zeitverzug Nachrichten und Bilder von sich und seiner Umwelt an einen oder mehrere Adressaten zu senden. Einen ganz neuen Medienverbund zwischen der analogen und der digitalen Welt bietet die App My Postcard: Hier kann man Ansichtskarten selbst gestalten, sei es mit eigenen Fotos oder mit vorgegebenen Motiven. Zusammen mit dem individuell eingegebenen Text wird die Ansichtskarte dann in Berlin gedruckt, frankiert und weltweit verschickt, übrigens zu einem sehr günstigen Preis. Der Empfänger findet sie schon nach wenigen Tagen im Briefkasten vor – die langen Laufzeiten aus fernen Ländern lassen sich so erheblich verkürzen. 
Inzwischen bietet auch die Österreichische Post eine Postkarten App an und bewirbt sie so: „Foto mit dem Smartphone knipsen, Layout wählen, Grußtext schreiben – den Rest erledigt die Post!“ Die Digitalisierung erlaubt hier eine Symbiose von neuer Technik und altem Medium. Aber auch der Klassiker, die handbeschriebene Ansichtskarte, bleibt aktuell. So hat 2019 die Deutsche Post noch rund 147 Millionen Postkarten befördert. Der Dichter Christian Morgenstern hat diese Passion treffend beschrieben: „Was ist das erste, wenn Herr und Frau Müller in den Himmel kommen? Sie bitten um Ansichtskarten.“

Weiterlesen! 

Dirk und Regina Streitenfeld
„Lachen à la carte. Humor auf historischen Postkarten.“ 
Thun: Werd & Weber Verlag 2020. 244 Seiten mit 963 Abbildungen.

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