Andreas Dünser

Chefredakteur "thema vorarlberg" (andreas.duenser@themavorarlberg.at)

Es ist schlimmer als damals

März 2019

Der INF-Vertrag, 1987 von Gorbatschow und Reagan unterzeichnet, verbot territorialgestützte Mittelstreckenraketen. Die USA kündigten diesen Vertrag nun am 1. Februar 2019 auf, Russland folgte einen Tag später. Politikwissenschaftler Heinz Gärtner (67), ein international renommierter Experte, sagt im „Thema Vorarlberg“-Interview auf die Frage, ob sich die Geschichte wiederholt: „Im Moment ist es wahrscheinlich sogar schlimmer als damals.“

Welche Überlegungen führten zum Ende dieses Vertrages, Herr Professor?

In den Medien wurde viel spekuliert, welche Seite denn da nun den Vertrag verletzt habe. Wirkliche Beweise gibt es nicht. Aber die Gründe, warum der Vertrag aufgekündigt wurde, sind andere. Erstens: Die USA wollen sich in ihrer technologischen Entwicklung nicht beschränken lassen. Die USA haben sich in ihrer Nuklearstrategie ganz deutlich dazu bekannt, Nuklearwaffen mit kleinerer Sprengkraft zu entwickeln, die etwa einem Drittel der Hiroshima-Bombe entsprechen. Zweitens: China, dessen nukleares Hauptarsenal auf Mittelstreckenraketen basiert, war von diesem INF-Vertrag nicht betroffen. Für die Amerikaner und die Russen war und ist das untragbar. Die Russen können nun in Asien ihre Mittelstreckenraketen stationieren. Und wenn sich die Spannungen zwischen dem Westen und Russland weiter verschärfen, dann besteht kein Grund mehr, Mittelstreckenraketen nicht auch in Europa zu stationieren. Die Russen könnten ihre Raketen in Kaliningrad aufstellen, die USA ihre wiederum in Polen und im Baltikum, auch Deutschland käme unter Druck.

Und die Geschichte würde sich wiederholen.

Wir hätten eine Situation wie in den 1970er- und 1980er-Jahren. Damals hatten die USA und die Sowjetunion mit ihren in West- und Osteuropa stationierten Mittelstreckenraketen einen nuklearen Schlagabtausch auf Europa begrenzen können. Europa könnte nun wieder – theoretisch – nuklearer Schauplatz werden. Damals haben die Europäer spät erkannt, was die Stationierung von Mittelstreckenraketen wirklich bedeutet. Wir werden sehen, wie Europa jetzt reagiert. Allerdings hat die NATO die Argumentation der USA schon übernommen. Und wenn Sie mich fragen, ob sich die Geschichte wiederholt, sage ich: Im Moment ist es wahrscheinlich sogar schlimmer als damals.
Inwiefern?
Die Rüstungskontrolle, wie wir sie vom Kalten Krieg kannten und die ein gewisses stabilisierendes Element hatte, ist tot. Früher wurden Rüstungskontrollverträge bei Interkontinentalraketen verhandelt, man wusste, woran man ist. Das ist jetzt alles weg. Es gibt keine Rüstungsgespräche mehr. Insofern ist die Situation, wenn sich die Spannungen verschärfen – und es spricht nichts dafür, dass sie sich entschärfen – schlimmer. Denn in das russisch-amerikanische Verhältnis wirken weitere Konflikte: Syrien. Russland-Ukraine. Und dazu kommt Asien. Wenn Russland Raketen stationiert, wo würden die USA ihre Raketen stationieren? Japan und Südkorea? Und wenn die Verhandlungen zwischen Trump und Kim Jong-Un nicht zu einem Ergebnis kommen und Nordkorea Interkontinentalraketen entwickeln würde, die auch die USA treffen könnten? Für die USA wäre das nicht zu akzeptieren. Mittelstrecken, die in Asien stationiert sind, sollen einen potenziellen Nuklearabtausch auf dieses Territorium beschränken.

Heißt das, dass die frühere Zeit trotz all ihres Schreckens berechenbarer war?

Berechenbar ist das richtige Wort. Das ist vorbei. Die Situation ist unübersichtlicher geworden, mit neuen Polen, mit Elementen des Kalten Krieges, vor allem bei den Nuklearwaffen. 

Nach dem Zerfall der UdSSR hat Politologe Francis Fukuyama das „Ende der Geschichte“ prophezeit, ein Hirngespinst aus heutiger Sicht …

Der Kalte Krieg war nicht nur eine militärische Bipolarität, sondern auch eine ideologische, die das Ganze als noch stärkere Konfrontation hatte erscheinen lassen. Die großen Ideologien haben sich aufgelöst, da hatte Fukuyama recht. Er hatte nur nicht gesehen, dass Russland und China in einem Konflikt mit den USA stehen werden, der nicht auf Ideologie basiert, sondern auf Geopolitik. Und er hat auch nicht gesehen, dass es zu neuen ideologischen Konfrontationen kommen wird, vor allem mit den neuen Nationalismen und auch mit dem Islamismus. 

Es spielen andere mit, aber inwieweit ist die jetzige Sicherheitslage das Werk Trumps?

Im Großen und Ganzen ist das Trumps Werk. Er hat begonnen, das Ordnungssystem, das die USA sehr begünstigt hat, aber für sein „America First“ zu wenig war, auseinanderzunehmen. Und andere nützen das zerfallende Ordnungssystem aus: Putin, indem er selber aufrüstet und in verschiedenen Regionen der Welt aktiv wird, und das als Reaktion darstellen kann. Und China, indem die Chinesen in der Weltwirtschaft das beginnen zu übernehmen, was die USA nicht mehr übernehmen wollen. 

Welche Rolle sollen die Europäer einnehmen?

Europa ist ökonomisch stark, kann aber in dieser polarisierenden Welt nicht mitspielen und sollte das auch nicht tun. Europa kann höchstens versuchen, ausgleichend, als Katalysator zu wirken für neue Rüstungskontrollgespräche. Europa wäre schlecht beraten, bei diesen Polen mitzumachen. 

Im österreichischen EU-Wahlkampf ist die Forderung nach Schaffung einer europäischen Armee wiederaufgetaucht.

Eine europäische Armee wäre der falsche Weg und das in mehrfacher Hinsicht: Erstens würde eine europäische Armee nicht Schritt halten können mit den USA und warum sollte man auch mit den USA konkurrieren. Eine europäische Armee würde zudem den innereuropäischen Integrationsprozess schwächen. Man stelle sich vor, eine europäische Armee hätte ein zentrales Kommando in Brüssel, und dieses Kommando würde entscheiden, in welches Kampfgebiet man Soldaten der Mitgliedstaaten schickt. Und dann kämen europäische Soldaten und Soldatinnen in Särgen zurück. Sofort würden die einzelnen Mitgliedstaaten aus dieser Armee ausscheren und die innereuropäische Integration mehr denn je in Frage stellen. Da wäre es doch weit besser, Kooperationsformen zu entwickeln, bei Rüstungskooperation etwa oder bei Friedensoperationen; bei denen aber die letztliche Entscheidung über Krieg und Frieden, über Leben und Sterben, bei den Mitgliedstaaten bleiben muss.

Und wie lautet ein Fazit aus Ihrer Sicht?

Mit der Administration Trump wird der Multilateralismus und die Vertragstreue, die wir kennen gelernt haben und zu der sich die EU auch in ihrer Globalstrategie bekennt, zu einem Ende kommen. Und deswegen ist die Situation, nicht heute und nicht morgen und auch nicht in einem Jahr, aber in einer Perspektive von fünf Jahren gesehen, sehr instabil. Die Sicherheitsstrategie der USA spricht ja selbst von einer Situation, in der weder Krieg noch Frieden herrscht.

Vielen Dank für das Gespräch!

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