Gleichberechtigung: Staatliche Eingriffe versus Eigenverantwortung
Vieles hat sich in westlichen Gesellschaften in den vergangenen Jahrzehnten im Hinblick auf die Gleichbehandlung von Frauen und Männern verbessert. Trotzdem gibt es beispielsweise auf Arbeitsmärkten noch spürbare Gehaltsunterschiede zwischen den Geschlechtern. Das rechtfertigt aber keinesfalls alle Eingriffe von Politik und Justiz in die Fundamente einer liberalen Wirtschaftsordnung. Ein Fall aus Deutschland illustriert das beispielhaft.
Für „Thema Vorarlberg“ schreibe ich seit vielen Jahren mit großer Freude diese Kolumne zu verschiedensten wirtschaftlichen Themen. Weil es gesellschaftlich so relevant ist, diskutiere ich dabei immer wieder Fragen, die Geschlechterunterschiede auf Arbeitsmärkten betreffen.
Es ist richtig, dass im Hinblick auf die Gleichbehandlung von Männern und Frauen noch Luft nach oben besteht. Der Staat – in der Form von Politik und Justiz – versteht sich deshalb oft als Treiber für Verbesserungen. Gut gemeint kann aber schlecht getroffen sein, wenn man dabei eine allzu gleichmacherische Attitüde an den Tag legt, die vor allem die Eigenverantwortung von Menschen negiert. Ein Urteil des deutschen Bundesarbeitsgerichts aus dem Jahr 2023 liefert ein perfektes Beispiel für so einen Fall.
Eine Außendienstmitarbeiterin hatte ein ostdeutsches Metallunternehmen wegen Diskriminierung verklagt. Ihr waren 3500 Euro Grundgehalt angeboten worden. Sie hatte dieses Angebot freiwillig – und ohne Rückverhandlungen – angenommen. Einige Zeit später jedoch fand sie heraus, dass ein männlicher Außendienstmitarbeiter ebenfalls einen Grundgehalt von 3500 Euro angeboten bekommen, dann aber erfolgreich 4500 Euro ausverhandelt hatte. Die Mitarbeiterin klagte wegen Diskriminierung. Die ersten beiden Gerichtsinstanzen wiesen die Klage ab. Die dritte Instanz, das Bundesarbeitsgericht unter Präsidentin Inken Gallner, gab der Klägerin aber wegen vermeintlicher Diskriminierung recht. Das höchstinstanzliche Urteil legte fest, dass das Unternehmen der Mitarbeiterin ungefragt den Lohn des Mannes hätte anbieten müssen, und dabei würde es keine Rolle spielen, dass die Mitarbeiterin das Angebot als zufriedenstellend betrachtet und freiwillig angenommen hatte.
Nun ist es unbestritten, dass es Gehaltsunterschiede zwischen Männern und Frauen gibt. Im deutschsprachigen Raum verdienen Frauen im Schnitt ungefähr 80 Prozent von Männern. Der Unterschied von 20 Prozent ist allerdings keinesfalls als reine Diskriminierung zu bezeichnen. Schätzungen für die Schweiz kommen etwa auf einen Gehaltsunterschied nach Berücksichtigung von Unterschieden in der Ausbildung, Vorerfahrung oder unterschiedlich langen Arbeitszeiten von etwa drei bis fünf Prozent. In Österreich dürften die Zahlen ähnlich sein. Diese – relativ kleinen – Unterschiede mögen nach wie vor auch mit Diskriminierung zu tun haben. Aus diesem Blickwinkel kann man ein gewisses Verständnis für das Urteil des Bundesarbeitsgerichts aufbringen. Aus größerer Perspektive betrachtet muss man es aber als gefährlichen Irrweg ansehen.
Bereits aus rein juristischer Sicht ist es unklar, ob das Urteil rechtmäßig ist. Clemens Höpfner, Direktor des Instituts für Arbeits- und Wirtschaftsrecht an der Universität zu Köln, wurde in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung zitiert, dass es nicht nachvollziehbar wäre – und auch der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs widersprechen würde –, wenn künftig individueller Verhandlungserfolg nicht mehr für die Gehaltsfindung zählen würde. Es ist deshalb nicht ausgeschlossen, dass der Urteilsspruch des deutschen Bundesarbeitsgerichts genau mit dieser Begründung auf der Ebene europäischer Gerichte landet. Dann wird es noch Jahre dauern, bis ein Urteil gesprochen wird.
Aus dem Blickwinkel der Ausgestaltung eines Wirtschaftssystems untergräbt das deutsche Urteil die Vertragsfreiheit von Verhandlungspartnern, indem es Dinge normieren möchte, über die die Verhandlungsparteien in außertariflichen Belangen selbst entscheiden können – und auch dürfen sollten, um dem Namen einer marktwirtschaftlichen Ordnung noch gerecht zu werden. Man fragt sich, was als nächstes kommt, wenn man das Urteil des Bundesarbeitsgerichts zu Ende denkt. Ist es nicht Altersdiskriminierung (gegen Junge), wenn junge Menschen weniger als ältere Menschen verdienen? Also gleiche Löhne über alle Altersstufen hinweg? Stellt es keine Diskriminierung dar, wenn ein Monteur bei BMW weniger als bei Mercedes verdient? Also gleiche Löhne über alle Unternehmen hinweg (trotz Vertragsfreiheit)? Führt das Urteil am Ende nicht dazu, dass alle Menschen, unabhängig von Alter, Beruf und Qualifikation, gleich viel – oder in der Realität viel mehr: gleich wenig – verdienen müssen? Als Volkswirt kann ich nur sagen, dass die staatliche Regelung aller wirtschaftlichen Prozesse historisch als gescheitert anzusehen ist. Das Stichwort dazu heißt kommunistische Planwirtschaft.
Als Theologe (der ich auch bin) möchte ich zuletzt darauf hinweisen, dass das Urteil des Bundesarbeitsgerichts die Verantwortung für das eigene Handeln leugnet und damit fundamental unserem westlichen Verständnis des Menschen als vernunftbegabtem und verantwortlichem Wesen widerspricht. Wenn jemand einem Angebot (ohne Zwang) zustimmt und auch ausdrücklich nicht mehr verlangt, dann übernimmt er damit Verantwortung für sein Handeln. Wenn diese Verantwortung nicht mehr gilt und man sie vollständig an Gerichte und den Staat abgibt, dann entwertet das die Freiheit des Einzelnen, unabhängig davon, ob es sich um eine Frau oder einen Mann, eine Bundesarbeitsgerichtspräsidentin oder einen Wissenschaftler handelt. Dann aber wäre plötzlich niemand mehr für sein Tun verantwortlich. Wollen wir das wirklich? Anstatt mit problematischen Gerichtsurteilen unsere liberale Wirtschaftsordnung zu untergraben, gäbe es viel einfachere und weniger invasive Möglichkeiten, Gehaltsunterschiede zwischen Männern und Frauen zu verringern. Wie das geht, darüber schreibe ich in dieser Kolumne im Februar.
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