Marina Hilber

* 1981 in Innsbruck, Universität Innsbruck, Institut für Geschichts­wissenschaften und Europäische Ethnologie.

Hoffnung für die Hoffnungslosen – Gesundheitstourismus in Bad Diezlings in den 1950er-jahren

September 2022

Bad Diezlings bei Hörbranz ist heute vielen als Ausflugsgasthaus und früheres Heilbad (eisenhaltige Quelle) bekannt. 1955 wurde dort das sogenannte „Körperbildungs-Institut bei Kinderlähmungsfolgen und Gehbehinderungen“ eröffnet. Dr. Wilhelm Püschel, ein 1946 aus der Tschechoslowakei ausgewiesener Sudetendeutscher, bot dort eine neuartige Therapie an, die den scheinbar hoffnungslos gelähmten Opfern der heimtückischen Viruserkrankung ihre Mobilität zurückgeben sollte.
Der Kinderlähmung, auch Poliomyelitis genannt, kann heute mittels Impfung leicht vorgebeugt werden. In den 1940er und 1950er Jahren war sie aber noch gefürchtet, denn was harmlos als grippaler Infekt begann, konnte zu Lähmungen der Gliedmaßen, zu einer Gehirnhautentzündung oder im schlimmsten Fall zu einer tödlichen Atemlähmung führen. Auch in Vorarlberg forderte die Kinderlähmung zahlreiche Opfer: Insbesondere bei den Epidemien 1947 (mindestens 156 Poliofälle, sechs Tote) und 1958 (mindestens 147 Poliofälle, 35 Tote) waren viele Opfer zu beklagen. Betroffen waren vor allem Kinder und Jugendliche, doch auch Erwachsene konnten sich mit dem Erreger infizieren und ernsthaft erkranken.
Püschels Methode basierte auf der sogenannten Zirkulations- und Nervenmassage sowie individuell abgestimmten Gymnastikeinheiten. In Diezlings standen zudem Überwärmungsbäder (Schlenz-Kur) und Unterwassertherapien zur Verfügung. Erfolge stellten sich generell erst nach intensiver Therapie ein, die einen mindestens fünfmonatigen Aufenthalt im Institut erforderte. Dabei legte Wilhelm Püschel Wert darauf, dass sein Reha-Institut keine sterile Krankenhausatmosphäre verbreitete, denn die Patientinnen und Patienten waren oft über lange Zeit hospitalisiert gewesen. „Es herrscht bei uns daher ausserhalb der intensiven und strengen Arbeit vollkommen der Geist einer grossen fröhlichen Familienpension und nicht der einer Klinik“, schrieb der Leiter 1956 in der Schweizerischen Zeitschrift „Der Heilmasseur“. 
Doch das alles hatte seinen Preis: 30 Schilling pro Tag waren für den Aufenthalt und die Therapie zu bezahlen. Dennoch waren die insgesamt circa 40 verfügbaren Therapieplätze in Diezlings heiß begehrt. Püschel – der gar kein Mediziner war, sondern einen Abschluss der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien besaß – hatte sich über Jahre hinweg internationales Renommee und gute Kontakte als Heilmasseur aufgebaut. Seine Schützlinge kamen zu 75 Prozent aus dem Ausland (Deutschland, Schweiz, Italien etc.). Um auch Vorarlberger Kindergelähmten, die nicht über die nötigen finanziellen Mittel verfügten, eine Therapie in Bad Diezlings zu ermöglichen, war 1951 der Hilfsverein für Kindergelähmte gegründet worden. Nicht nur Privatpersonen spendeten für den guten Zweck, sondern auch Gemeinden und Firmen beteiligten sich aktiv an der Finanzierung der Reha-Maßnahmen. So bewilligte im Jahr 1957 beispielsweise der Gemeinderat von Vandans einen Spendenbetrag von 500 Schilling. 
Doch Wilhelm Püschel erregte mit seinem Institut nicht nur Begeisterung, sondern auch Skepsis. Schon Anfang der 1950er Jahre hatte es anonyme Anzeigen wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung gegeben. 1959 ermittelte die Finanzpolizei neuerlich in einem aufsehenerregenden Fall gegen Püschel. Dies war der Anfang vom Ende. 1961 musste das Institut seinen Betrieb einstellen und Püschel übersiedelte nach Bayern. Im Oktober 1961 resümierten die Vorarlberger Nachrichten: „Es ist bedauerlich, daß eine segensreiche Einrichtung, die vielen Verzweifelten neuen Mut gegeben hat, so enden mußte.“

Kommentare

To prevent automated spam submissions leave this field empty.