Christiane Mähr

Unternehmens- und Kommunikationsberaterin

Jugend ohne Zukunft

Dezember 2020

Zukunftsperspektiven? Fehlanzeige – zumindest für einen Teil der Jugendlichen. Was sich durch Corona geändert hat, warum sie trotz negativer Motivation optimistisch sind und wieso es keinen Sinn macht, nicht darüber zu sprechen.

Alle Jahre wieder heißt es, die Jugend habe keine Zukunft mehr. Und seit Corona scheint dieser Sager mehr als nur ein Körnchen Wahrheit zu enthalten, denn die aktuelle Situation ist tatsächlich eine andere: Covid-19 hat dem Ganzen einen zusätzlichen Spin verpasst, der durch objektive Daten belegt ist: So gab es in Österreich im Oktober – also noch vor dem zweiten Lockdown – 35.001 arbeitslose Jugendliche (unter 25 Jahren, Anm.) und damit im Vergleich zum Vorjahr einen Anstieg um 19 Prozent. Im Mai hatte sich die Zahl im Vorjahresvergleich sogar nahezu verdoppelt.
Und doch gilt es zu differenzieren, bevor wir uns Gedanken darüber machen, ob die Jugend verloren ist oder nicht. Denn uns sollte klar sein: „Wer den Begriff ‚Jugend‘ verwendet, manipuliert schon“, so Sozialwissenschaftler Professor Bernhard Heinzlmaier, der seit über 20 Jahren in der Jugendforschung tätig ist. „Jugend ist nicht gleich Jugend. Es gibt einen großen Unterschied zwischen den bildungsnahen jungen Menschen, also den Studierenden, und jenen mit mittlerer und geringer Bildung – die arbeitende Jugend, wenn man so möchte. Hier geht ein massiver Bruch durch die Gesellschaft.“

Prekäre Situation

Diese Spaltung zwischen arm und reich, gebildet und ungebildet, ist freilich nichts Neues. Doch sie hat sich durch die Corona-Pandemie verschärft – und zwar bei Alt und Jung. Es sind die nicht­privilegierten Teile der Jugendpopulation, die verloren sind. Es sind jene, die aus einkommensschwachen Bevölkerungsschichten kommen, die den Preis bezahlen. Sie haben mit dem Verlust des Arbeitsplatzes und damit einhergehenden Einkommenseinbußen zu kämpfen. Und bei jenen, die noch zur Schule gehen, sind die unteren Schichten weitaus massiver vom Bildungsverlust betroffen als die oberen, wenn auf digitalen Unterricht umgestellt wird. Es fehlt an Equipment, es fehlt am nötigen Platz und es fehlt leider oft auch an der Unterstützung durch die Eltern. 
Übrigens: Da der Bruch zwischen Arm und Reich immer größer wird, schwindet die ehemals breite gesellschaftliche Mitte dahin. Oder um es mit Heinzlmaiers Worten zu sagen: „Die Mitte ist prekär. Und zwar per definitionem, denn das Prekariat ist jener Bevölkerungsteil, der aufgrund von anhaltender Arbeitslosigkeit und fehlender sozialer Absicherung in Armut lebt oder von Armut bedroht ist und nur geringe Aufstiegschancen hat. Die Menschen sind dem Sog von unten ausgesetzt und müssen fürchten, ihren sozialen Status zu verlieren. Durch Corona ist diese Mitte zusätzlich bedroht.“
Junge Menschen, die aus keinem privilegierten Elternhaus stammen, sind zusätzlich benachteiligt, da sie erst noch in das gesellschaftliche System hineinfinden müssen. Das war schon vor Corona nicht leicht und ist jetzt noch schwerer geworden. „Früher gab es Jobgarantien, Geld für Schulungen und Umschulungen, Absicherung durch die Sozialpartnerschaft und Pensionssicherheit – ein Paradies, von dem die jungen Menschen von heute zwar gehört haben, aber aus dem sie vertrieben wurden, noch bevor sie es selbst kennenlernen durften“, sagt Heinzlmaier. 

Und doch stellt sich die Frage:

Ist Corona das einzige Problem der Jugend? Ist es der einzige Grund, warum viele junge Menschen keine Zukunftsperspektiven mehr haben? Was ist mit der Umwelt- beziehungsweise Klimathematik? Letzteres sei selbstverständlich ein sehr wichtiges Thema, so der Experte, „aber ein ‚Hobby der privilegierten Jugend‘, wie sich etwa darin zeigt, wer hinter der Friday For Future-Bewegung steht. Jugendliche aus den unteren Schichten haben weder die Energie noch den Freiraum, um an solchen Demonstrationen teilzunehmen. Wenn es um die eigene Existenz geht, um den Abschluss der Ausbildung, die Frage, ob man einen Job findet, ob man sich eine Wohnung und Lebensmittel leisten kann, ist das Weltklima die 111. Sorge.“
Also nein, Corona ist nicht das einzige Problem, mit dem junge Menschen heute zu kämpfen haben. Und obwohl sie der Auffassung sind, dass die Gesellschaft keine Zukunft hat, sind sie gleichzeitig davon überzeugt, dass sie selbst es schaffen werden. Pessimismus-Optimismus-Paradoxon oder auch Zweckoptimismus nennt sich das. Wobei aus heutiger Sicht eben lediglich die privilegierte Jugend optimistisch in die Zukunft blicken kann. Wobei – soviel Gerechtigkeit muss sein: Selbst sie haben es nicht mehr so einfach, wie etwa in den 1970er, 1980er Jahren. Damals stand einem mit dem Abschluss des Studiums nahezu die Welt offen. Heute braucht es zusätzlich Praktika, Zweitstudium und am besten noch „Vitamin B“. Und während man vor 40, 50 Jahren mit einer HAK-Matura fix einen Job bekommen hat, ist das heutzutage definitiv nicht mehr der Fall.
„Früher hieß es: Du kannst alles erreichen. Heute werden Jugendliche negativ motiviert, indem man ihnen aufzeigt, dass sie austauschbar sind“, konstatiert Heinzlmaier. „Menschen sehen sich selbst als minderwertige Ware. Dies erzeugt eine negative Grundstimmung, die in der Folge zu einer Zunahme von psychischen Erkrankungen führt. Schon in den letzten Jahren sind die Zahlen der Krankenstände wegen Überlastung und Burn-out rasant angestiegen. Und die Betroffenen werden immer jünger.“
Wie die Zukunft tatsächlich ausschauen wird, weiß freilich niemand. Dennoch sollte man das Thema nicht totschweigen. Im Gegenteil: Wir sollten möglichst offen mit den Jugendlichen darüber sprechen, sie fragen, was sie sich erwarten und wovor sie sich fürchten. Und zwar ohne „pathetisches Bla Bla“, wie Heinzl­maier sagt: „Wir müssen nichts beschönigen. Die Jungen wissen ohnehin Bescheid.“

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