Christiane Mähr

Unternehmens- und Kommunikationsberaterin

Zukunft in Frage stellen – Zukunft gestalten

Mai 2021

Die Normalität lässt auf sich warten. Bleibt die Frage: Dürfen wir trotzdem schon an ein Leben nach Corona denken? Können wir inmitten der Ungewissheit unsere Zukunft gestalten? Ja. Oder vielmehr: Wann, wenn nicht jetzt?

Vor einem Jahr hatten wir den ersten harten Lockdown hinter uns. Die eigenen vier Wände glänzten, die Keller waren ausgeräumt und nach zwei Monaten durfte Mitte Mai 2020 sogar die Gastronomie wieder öffnen – wenn auch mit Einschränkungen: 1- Meter-Abstand, Mund-Nasen-Schutz, Sperrstunde um 23 Uhr. Heute klingt das selbst für uns Vorarlberger, die wir in diesem Frühling ja in gewisser Weise die „Insel der seligen Modellregion“ waren, wie das kulinarische Paradies auf Erden. Im Mai 2020 war der erste Schock also vorüber, und mit dem Ausblick, dass bald wieder alles normal sein wird, machten wir uns auf ins Leben.

Was ist schon normal.

Heute sind wir um unzählige Erfahrungen reicher und wissen: Es wird wohl noch dauern, bis besagte Normalität zurückkehrt. Wobei man sich freilich die Frage stellen muss: Was ist eigentlich normal? In der Theorie versteht etwa die Soziologie darunter das Selbstverständliche in einer Gesellschaft. Etwas, das nicht mehr erklärt oder über dessen Umstände nicht mehr entschieden werden muss. Psychologisch betrachtet bezeichnet Normalität ein erwünschtes, akzeptables, gesundes und förderungswürdiges Verhalten. So gesehen, ist immerhin klar: Das, was wir derzeit erleben, ist definitiv nicht normal. 
Jedoch tun sich gleich neue Fragen auf: Was wird nach Corona normal sein? Und wann wird eigentlich „nach Corona“ sein? Wird es irgendwann überhaupt ein Ende geben, oder werden wir fast unmerklich langsam von einem Krisenmodus in eine neue Normalität übergehen? Es muss wohl von Letzterem ausgegangen werden. Das war zwar schon beim Ausbruch der Pandemie absehbar, mittlerweile aber hat sich der Zeithorizont verschoben. Dachte man im Frühling 2020 noch, dass der „Wahnsinn“ in ein paar Monaten Geschichte sein wird, haben inzwischen viele sogar 2021 abgeschrieben. Niemand weiß mehr, was nächsten Monat sein wird – und das obwohl seit einem Jahr „die nächsten zwei Wochen entscheidend sind.“ 

Jetzt ist entscheidend.

Dabei steckt in eben diesen Worten, die niemand mehr hören mag, sehr viel Wahrheit. Wir leben nämlich in einer Zeit, die sich derart schnell entwickelt, dass wir es zum Teil gar nicht mehr mitbekommen. Also ja: Die nächsten zwei Wochen sind entscheidend. Schließlich finden Veränderungen in Echt-zeit statt, und bevor wir uns an etwas Neues gewöhnt haben, steht bereits der nächste Wandel an. Das war vor Corona genauso, nur fand der Umbruch nicht so direkt statt. Im vergangenen Jahr aber hat sich so gut wie jeder von uns in irgendeiner Art und Weise verändert – ob gewollt oder gezwungenermaßen. Auch das war zuvor schon der Fall – schließlich werden wir alle älter und entwickeln uns entsprechend kontinuierlich weiter. Und doch ist es jetzt anders. Einerseits, weil es uns vermeintlich von außen auferlegt wurde. Andererseits, weil eben alles so schnell geht. Wir haben aufgehört zu planen, weil es schlichtweg keinen Sinn macht, wenn morgen ohnehin wieder alles anders ist. Es ist ein Leben in Ungewissheit, und solange wir es nicht als das annehmen, was es ist, wird es uns Probleme bereiten. 
Politikwissenschaftlerin und Buchautorin Ulrike Guérot hat es im Interview, das in der März-Ausgabe von „Thema Vorarlberg“ erschienen ist, sehr treffend formuliert: „Vor einem Jahr sind wir alle auf den Balkonen gestanden, haben gesungen und geklatscht und den Alten- und Pflegekräften applaudiert. Das macht heute keiner mehr. Heute sitzen alle nur noch zuhause, schauen Netflix und haben drei Kilogramm zugenommen.“

Morgen ist heute gestern.

Allein: Bringt uns das Herumsitzen und Warten weiter? Wir wissen nicht, wann diese Krise zu Ende sein, wie sich dieses Ende überhaupt zeigen und was danach sein wird. Was aber würde es ändern, wenn wir wüssten, dass die Pandemie morgen, in drei Monaten, in einem Jahr oder vielleicht erst in x Jahren für beendet erklärt wird? Werden wir es zuvor schon spüren, oder wird es sogar wesentlich länger dauern, bis ein allgemeines Durch- und Aufatmen bemerkbar ist? Auf all diese Fragen gibt es keine Antworten – nicht wegen Corona, sondern weil niemand die Zukunft vorhersagen kann. Fakt ist: Wir werden nie wissen, was morgen und übermorgen passiert. Oder um es mit den Worten von Zukunftsforscher und Zukunftsgestalter Klaus Kofler zu sagen: „Zukunft ist keine statische Größe, die sich einfach so nach vorne rechnen lässt. Zukunft unterliegt einer Vielzahl zufälliger Ereignisse, die wir aus heutiger Sicht noch gar nicht kennen können.“

Disruption in perfection.

Warum fragen wir uns nicht: Was können wir jetzt tun, damit wir danach richtig aufgestellt sind? Oder können wir vielleicht heute schon durchstarten? 
Ja, wir befinden uns in einer noch nie dagewesenen Zeit: Ein Zustand des perfekten Umbruchs, der uns gleichzeitig mehr denn je die große Chance bietet, die eigene Zukunft selbst in die Hand zu nehmen. Warum aber warten wir zuhause auf das Ende von Corona, statt aktiv zu werden? Wir brauchen keine Zukunftstrends, um Zukunft zu erleben. Vielmehr gilt es, die Möglichkeiten zu sehen, die sich vor uns auftun. Es geht darum, den gedanklichen Trendbildern einen richtigen Raum zu geben. Oder wie es Kofler umschreibt: „Zukunftsgestaltung macht Menschen, Unternehmen und Organisationen die Megatrends der Zukunft durch Vorstellbarkeit, Anschaulichkeit und Begreifbarkeit zugänglich.“
Die gute Nachricht: Orientieren, Positionieren und Navigieren in unbekannten Zukunftsgefilden kann man lernen. Der erste Schritt besteht darin, sich die richtigen Fragen zu stellen. Also auf was warten wir noch?

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