Christiane Mähr

Unternehmens- und Kommunikationsberaterin

Gedankenlos durchs Internet?

Oktober 2020

Im Netz kommuniziert es sich leichter – aber auch anonymer und zuweilen voller Hass. Über den Umgang mit Wutpostings und Shitstorms. Und warum wir lernen sollten, digital zu kommunizieren.

Mitunter kann man nicht mehr aufhören, den Kopf zu schütteln, wenn man auf Facebook, Twitter und Co. durch den News Feed scrollt. Während die einen süße Katzenvideos und positive Sinnsprüche teilen, posten andere Hasstiraden, holen zum virtuellen Rundumschlag aus und kommentieren derart weit unter der Gürtellinie, dass man offline in die Knie geht. Dass die sozialen Medien bisweilen gar nicht so sozial sind, wie man anfangs dachte, ist mittlerweile bekannt. Wer aber seine Meinung im Netz öffentlich kundtut – sei es in Form eines Blogs, via Social Media oder in einer anderen digitalen Form –, der muss mit einem entsprechenden Response rechnen. Bei unstrittigen Alltagsthemen ist dieser meist ebenso nett wie der Text. Wer sich aber kritischer aus dem Fenster lehnt oder sich zu Themen äußert, die die Gesellschaft ohnehin spalten, erntet schon mal einen Shitstorm. Und selbst wenn man damit gerechnet hat, erschüttert er einen bis ins Mark.

Absender: Anonym.

Neu sind derartige Reaktionen freilich nicht. Der in Wien lebende Journalist und Autor Hasnain Kazim weiß davon ein Lied zu singen: 1974 als Sohn indisch-pakistanischer Eltern geboren, wuchs er in der Nähe von Hamburg auf. Bereits als 17-jähriger fand er hasserfüllte Leserpost im Briefkasten, nachdem er in einer überregionalen Tageszeitung einen Bundestagsabgeordneten in einem Schülerartikel kritisierte. Wenngleich schockiert, schrieb er weiter, wurde Auslandskorrespondent für den Spiegel, erhielt zahlreiche Auszeichnungen und noch mehr Hasspost – insbesondere seit es das Internet zunehmend leichter macht, der Wut freien Lauf zu lassen.
Eine Meinung ist da schnell niedergeschrieben. Ob das Konsequenzen hat, scheint nicht so wichtig. Außerdem kann man sich ja hinter einem Nickname, einem falschen Profilbild oder einer fake identity verstecken. Dass online fast alle Umgangsformen abgelegt werden, hat zu einem großen Teil mit der Anonymität zu tun, aber auch damit, dass man die Reaktion des Empfängers nicht sieht. „An sich reagiert der Mensch stark auf nonverbale Signale wie Mimik, Gestik oder Tonfall. Das allerdings fällt im Netz weg, wodurch es leichter wird, aggressiver zu reagieren“, weiß die Tiroler Psychologin Marcella Stolz, die zudem zu bedenken gibt, dass es in der digitalen Welt öfters zu Missverständnissen komme, etwa aufgrund fehlender Informationen. In einem Gespräch würde man nachfragen. Im Netz indes zieht man seine eigenen Schlüsse und schießt los.
Der Ton ist nicht erst seit Corona rauer geworden. Allerdings bewegt die Pandemie manch einen dazu, ein Schäuferl draufzulegen. In Zeiten von Lockdown, Kurzarbeit oder Arbeitslosigkeit hat man mehr Zeit, sich in den sozialen Medien zu tummeln. „Hinzu kommt“, sagt Stolz, „dass es vielen schlechter geht – gesundheitlich und/oder beruflich. Da sind Menschen anfälliger, ihren Frust, ihre Ängste und Sorgen abzuladen.“ 
Stellt sich die Frage: Wie soll man darauf reagieren? Kazim hat beschlossen zu antworten – und zwar schlagfertig, inhaltlich perfekt, zum Teil aber auch in ähnlicher Manier wie die Absender. „Wenn wir schweigen, wenn wir diese Leute ignorieren, beginnen wir, ihren Hass und ihre Häme zu akzeptieren. Also, reden wir“, schreibt er in „Post von Karlheinz“, in dem er ein paar seiner besten Schlagabtäusche veröffentlicht hat. 
Marcella Stolz ist indes der Meinung, es mache keinen Sinn, sich auf eine Diskussion einzulassen. Dadurch stachle man den oder die anderen nur noch mehr an. „Menschen, die selbst Hasspostings ins Netz stellen oder mit hasserfüllten Kommentaren reagieren, wollen gar keinen Konsens finden. Die wollen sich nur Luft machen. Steigt man darauf ein, lässt man sich auf Ping-Pong-Spiel ein und reagiert selbst mit Aussagen, die man so in der realen Welt eventuell nicht sagen würde.“

Wie man’s nimmt.

Ob man antwortet oder schweigt, hängt auch damit zusammen, wie breit der Rücken ist. Schließlich kann es im Netz durchaus deftig werden. Selbst Hasnain Kazim hat nach wie vor kein Patentrezept, wie man am besten reagiert: „Man muss immer neu nachdenken, sich neu überlegen, ob und wie man antwortet. Manchmal trifft man die richtige Entscheidung, gelegentlich bringt der Austausch etwas, oft ist die Mühe vergeblich. Jemandem, der offensichtlich nur auf Krawall gebürstet ist, muss man nicht antworten, es sei denn man will dem auch mal eins zurückgeben.“
Stolz rät, die Kommentare nicht persönlich zu nehmen. An sich reagieren die Leute auf die Aussage, nicht auf die Person. Das ist natürlich leichter gesagt als getan. Nicht zuletzt, weil mancher Kommentar mehr als nur persönlich ausfällt und noch dazu aus der untersten Schublade kommt. Man solle es als Massenphänomen betrachten, so die Psychologin: „Der Mensch ist nun mal ein soziales Wesen, der wie bei einer Schafherde mitzieht, sobald einer anfängt. Und da wir gern zu einer Gruppe gehören, fühlt sich das gut an. Das gilt übrigens auch im positiven Sinne.“
Digitale Kommunikation unterscheidet sich nicht gänzlich von jener in der realen Welt. Trotzdem sollten wir sie als etwas anderes betrachten und entsprechend lernen, sie anzuwenden. Am besten fängt man bei sich selbst an: Ein kritischer Blick auf die eigenen Posts und Kommentare kann von Zeit zu Zeit nicht schaden. Wenn alles passt – weiter so. Und wenn wir uns das Recht auf Meinungsfreiheit nicht nehmen lassen, dürfen wir es anderen ebenso nicht verwehren. Wir müssen nicht einer Meinung sein. Doch wir können andere Meinungen akzeptieren – vorausgesetzt sie prügeln einen nicht mit Worten.

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