David Stadelmann

* 1982, aufgewachsen in Sibratsgfäll, ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Bayreuth, Fellow bei CREMA – Center for Research in Economics, Managemant and the Arts; Fellow beim Centre for Behavioural Economics, Society and Technology (BEST); Fellow beim IREF – Institute for Research in Economic and Fiscal Issues; Fellow am Ostrom Workshop (Indiana University); Mitglied des Walter-Eucken-Instituts.

 

Kontrollillusion!

Dezember 2024

Das Zusammenleben in der Gesellschaft kann nur gelingen, wenn die Menschen einander nützlich sind oder sich zumindest nicht schaden. Staatliche Eingriffe wie Verbote, Gebote oder Regulierungen sollen idealerweise diesem Zweck dienen. Doch weder garantieren staatliche Eingriffe ein funktionierendes Zusammenleben, noch fördern sie zwangsläufig die Wohlfahrt. Häufig schaffen sie sogar neue Probleme, die das Zusammenleben erschweren. Dies liegt unter anderem daran, dass „der Staat“ kein ideales, modellhaftes Konstrukt ist, sondern dass die politischen Entscheidungsträger im Staat nur Menschen sind.

Kontrollillusion politischer Entscheidungsträger
Politische Entscheidungsträger achten nicht nur auf das Wohl der Bürger, sondern auch auf das Wohl ihrer Interessengruppen, auf ihre eigene Karriere und natürlich auf ihr eigenes Portemonnaie. Sie engagieren sich im Staat unter anderem deshalb, weil sie glauben, in ihrem eigenen Interesse – das teilweise mit den Interessen der Bürger übereinstimmen kann – etwas verändern zu können. Dabei sind sie oft davon überzeugt, über besondere Fähigkeiten zu verfügen.
Wie andere Menschen unterliegen sie jedoch häufig einer Kontrollillusion, die durch das Erlangen von Machtpositionen mit Entscheidungskompetenz noch verstärkt wird. Kontrollillusion bedeutet, zu glauben, man könne Prozesse und deren gesellschaftliche Ergebnisse kontrollieren, die in Wirklichkeit nicht oder nur sehr bedingt beeinflussbar sind. Entsprechend setzen politische Entscheidungsträger immer wieder Ziele, die oft unrealistisch sind und deren Umsetzungskosten dann höher ausfallen als der zu erwartende Nutzen für die Bürger. Zudem stehen die aufgrund von Kontrollillusion gesetzten Ziele häufig im Widerspruch zu anderen, bereits bestehenden gesellschaftlichen Zielen, wie dem Erhalt der Freiheit, der Förderung des Wohlstands und dem sozialen Ausgleich.
Beispiele für Kontrollillusionen in der Politik gibt es zuhauf. Man denke im Großen nur an die nationale Politik gegen die globale Erwärmung und dem verfehlten 1,5-Grad-Ziel, die während der Corona-Pandemie versuchte Virus-Unterdrückungspolitik oder die „Refugees-Welcome“-Politik der jüngeren Vergangenheit.
Gelingt es den politischen Entscheidungsträgern nicht, das von ihnen gesetzte illusorische Ziel zu erreichen, nehmen sie häufig eine defensive Haltung ein, indem die Kontrolle stillschweigend als gegeben vorausgesetzt wird. Über das illusorische Ziel wird dann nicht mehr gesprochen, und es erfolgt keine Aufarbeitung der Fehler, die zur Setzung des unrealistischen Ziels geführt haben und welche Kosten dadurch entstanden sind. Stattdessen wird das unrealistische Ziel in eine Art loses Anspruchsniveau umgedeutet – maximal 1,5 Grad Erderwärmung wäre wichtig, keine COVID-Ansteckungen wären besser als Ansteckungen, und eine Integration von Flüchtlingen wäre besser als keine Integration.
Wer Kontrollillusion unterliegt, hinterfragt sich nicht und ist überzeugt, quasi alles richtig gemacht zu haben. Kritik von außen ist unerwünscht und wird mit dem Hinweis abgewiesen, dass man nach vorne blicken solle.

Kontrollillusion und staatliche Eingriffe
Die Kontrollillusion der bestehenden politischen Entscheidungsträger impliziert, dass sie die Möglichkeiten staatlicher Eingriffe idealisieren. Theoretisch und im Idealfall eines perfekten Staates erhöht staatliches Handeln die Wohlfahrt. Ideale staatliche Eingriffe in freie, wettbewerbliche Märkte könnten die Wohlfahrt steigern, indem sie Marktversagen verringern. Doch wer daraus ableitet, dass die Ergebnisse real existierender, unvollkommener Märkte durch Staatseingriffe verbessert werden könnten, unterliegt einem Trugschluss und einer Kontrollillusion. Verglichen werden nämlich reale Unvollkommenheiten mit den theoretischen Ergebnissen eines idealisierten Staates. Ein solcher Vergleich berücksichtigt weder die Beschränkungen, denen ein realer Staat unterliegt, noch die sehr menschlichen Begrenzungen und Unzulänglichkeiten, denen reale politische Entscheidungsträger ausgesetzt sind.

Reduktion der Kontrollillusion
Wie lässt sich das Problem der Kontrollillusion bei politischen Entscheidungsträgern entschärfen? Eine Schlüsselrolle spielen hierbei die politischen Rahmenbedingungen. Besonders hervorzuheben ist der Wettbewerb, der durch eine effektive Dezentralisierung entsteht, sowie der allgemeine Wettbewerb zwischen Politikern und Parteien.
Durch Dezentralisierung verbessern sich die Vergleichs- und Ausweichmöglichkeiten der Bürger. Dies erleichtert und beschleunigt ihre Fähigkeit, Kontroll­illusionen zu identifizieren, da sie beobachten können, was anderswo passiert. Die Bürger können nicht nur durch ihre Wahlentscheidungen bei der nächsten Wahl dazu beitragen, die Auswirkungen von Kontrollillusionen einzudämmen, sondern sie haben auch die Möglichkeit, sich durch einen Umzug in eine andere Gemeinde, ein anderes Bundesland oder sogar in ein anderes Land den negativen Konsequenzen jener Entscheidungen zu entziehen, die aufgrund von Kontrollillusionen getroffen wurden. Schon allein die Möglichkeit eines Umzugs stellt eine Beschränkung für die Politiker dar und zwingt sie zu mehr Realitätsnähe.
Allgemein gilt: Je intensiver der Wettbewerb zwischen Politikern und Parteien, desto schneller wird die Kontrollillusion entlarvt, öffentlich kritisiert und es werden Alternativen zur verfolgten illusorischen Politik aufgezeigt. Keine politische Entscheidung ist „alternativlos“, auch wenn Regierungspolitiker das immer wieder behaupten. Zwar sind die im politischen Wettbewerb vorgebrachten Alternativvorschläge von Oppositionsparteien oft nicht besonders konstruktiv, was verständlich ist, denn einerseits leiden auch deren Entscheidungsträger wie alle Menschen unter Kontrollillusion, und andererseits ist es viel einfacher, die Regierenden destruktiv zu kritisieren, als selbst gute, realistische Vorschläge zu machen. Doch das ist nicht entscheidend, denn das eigentliche Problem ist weniger die Kontrollillusion der Oppositionspolitiker, sondern vielmehr jene der Regierungspolitiker – und sie wird durch politischen Wettbewerb reduziert.

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