Bertram Meusburger

Bertram Meusburger ist im Büro für Zukunfts­fragen zuständig für nachhaltige Gemeinde- und Regionalentwicklung. Er begleitet Innovationsprozesse und Bürgerbe­teiligung und war davor zehn Jahre Gymnasiallehrer und Gruppendynamiker. 

Land Stadt Vorarlberg – Neue Sichtweisen auf ein bekanntes Phänomen

Februar 2020

Mit dem Projekt und Kongress „Land Stadt Vorarlberg“ findet in diesem Frühjahr eine Kooperationsveranstaltung zum Thema der urbanen und ländlichen Aspekte unseres Alltags und Lebensraumes statt. Vorarlberg – „nicht ganz Land oder nicht ganz Stadt, Acker oder Beton, irgendwas zwischen drin?“, fragen die Akteure hinter dem Kongress. Einer von ihnen ist Bertram Meusburger vom Büro für Zukunftsfragen. Verena Konrad vom Vorarlberger Architektur Institut (vai) fragt für „Thema Vorarlberg“ nach.

Welche Beobachtungen stehen hinter dem Programm des Kongresses? Wie zeigt sich das Phänomen Land Stadt in deiner Wahrnehmung? 

Wenn ich an das Verhältnis zwischen ländlichen und urbanen Regionen denke, sehe ich unterschiedliche Entwicklungen, die auf den ersten Blick verwirrend sind. Auf der einen Seite gibt es immer mehr Metropolen, die größer werden und mit ihrer eigenen Attraktivität viele Menschen – vor allem Junge, aber auch gut Gebildete oder Arbeitssuchende – anziehen. Das ist ein Prozess, der global zu beobachten ist. Auf der anderen Seite sind Regionen im Umfeld der Städte oder abgelegene Regionen mit Abwanderung konfrontiert. Daneben gibt es Regionen ohne große Städte und ohne diese typische Abwanderung. Und da ist noch etwas Drittes. Kleinere Gemeinden, die eigene, kreative Wege gehen, wie sie mit Herausforderungen der heutigen Zeit umgehen und eine erstaunliche Ausstrahlung und Identität entwickeln. Dazu kleinere Städte, die in einem pulsierenden Austausch mit ihrem Umfeld stehen und nicht den Anspruch haben, alle Angebote einer Großstadt zu erfüllen und doch sehr abwechslungsreich und vital sind. Vorarlberg gleicht eher dieser dritten Kategorie. Der Kongress will diese Beobachtung genauer verstehen und die Potenziale, die darin liegen, ergründen. 

Du hast bereits mit vielen Kollegen und mit vielen Bürgern über das Phänomen eines „Dazwischen“, zwischen Land und Stadt, gesprochen. Welche Aspekte stoßen dabei auf besondere Resonanz?

Mit dem „Dazwischen“ ist gemeint, dass in ländlichen Regionen im Alltag meist zahlreiche Elemente einer urbanen Lebensweise (Mobilität, Umgang mit digitalen Medien, Gestaltung öffentlicher Plätze) anzutreffen sind und in Städten Elemente des Ländlichen gesucht werden (green gardening, regionale Produkte, Gemeinschaftsprojekte). Auch die Politik und Verwaltung ist mit diesem Anspruch, das Beste aus beiden Welten bereit zu stellen, konfrontiert. Dabei hört man immer wieder, das Land kann von der Stadt lernen, die Stadt vom Land profitieren und umgekehrt. Wir müssen Stadt und Land mehr als gemeinsames Ganzes begreifen und aufpassen, dass wir bei diesen Entwicklungen nicht wesentliche Dinge verlieren. Etwa die Qualität der Beziehungen, die Bereitschaft, sich im eigenen Lebensraum zu engagieren, ein gutes, aber nicht beliebiges Umfeld für Zugezogene zu bieten, um nur einige zu nennen. 

Warum ist die Beschäftigung mit Urbanismus und ruralem Leben, mit Stadt- und Landleben für euch im Zukunftsbüro relevant?

Wenn das Büro für Zukunftsfragen damit konfrontiert ist, dass Bürger einen Bürgerrat zum Thema Landwirtschaft in die Wege leiten, dann kommt das nicht nur von der bäuerlichen Bevölkerung, sondern von engagierten Menschen auch aus Städten, denen wichtig ist, woher ihre Lebensmittel kommen und wie die Landschaft gestaltet wird. Oder wenn wir uns die Frage stellen, warum und wie sich junge Menschen engagieren, dann hat das sehr viel mit dem zu tun, wie sie sich mit ihrem Umfeld identifizieren und wo sie Chancen für ihren Lebensweg sehen. Viele zieht es berechtigterweise erst mal fort. Wenn aber eine Bindung in jungen Jahren entstanden ist, eine bewusste Auseinandersetzung, was dieses Land für sie bieten kann, stattgefunden hat, kommen sie bereichert zurück und gestalten an der Zukunft mit. Ein anderes Beispiel sind die Herausforderungen von Gemeinden, in regionalen Kontexten stärker zusammenzuarbeiten und Aufgaben – und damit Macht und Einfluss – aufzuteilen. Das sind sehr menschliche Prozesse, die stark von dem Bild geprägt sind, wie ein Dorf respektive eine Stadt zu sein hat und die Wirklichkeit aber einem manchmal einen anderen Spiegel vorhält. 

Immer wieder ist die Rede von einer „Stadtland Koexistenz“. Was ist damit gemeint und worin liegt die Qualitätsformel dieser Koexistenz?

In einem Kamingespräch zu Land Stadt in Hittisau hieß es: Das Land braucht die Stadt, die Stadt das Land. Damit ist gemeint, dass Städte immer mehr Aufgaben des regionalen Umfeldes erfüllen müssen, da einerseits die Ansprüche der Menschen auch am Land an urbane Angebote wachsen und wir andererseits auch entsprechend mobiler geworden sind, um diese in Anspruch zu nehmen. Die ländlichen Gemeinden stellen wiederum wertvollen Kulturraum zur Verfügung, sind Erholungs- und Freizeitraum für die Stadt. Es kann allerdings nicht mehr in jeder Gemeinde hochwertige Sportstätten, Bildungsinstitutionen oder Gesundheitseinrichtungen geben, um es mal etwas überspitzt auszudrücken. Auch kann nicht mehr jede kleine Gemeinde alle rechtlichen, technischen, kommunikativen Bedürfnisse einer Bevölkerung erfüllen, die ihrerseits einfache Bürokratie, hohe Rechtssicherheit, Transparenz und Sparsamkeit wünschen. Gemeinden müssen sich mehr denn je fragen, was ihre Kernaufgabe ist, was sie selbst gut umsetzen können – und wo es mehr Sinn macht, in einem Gemeindeverbund Aufgaben zu lösen und konzentrierte Angebote bereit zu stellen. Vorarlberg hat diesbezüglich ja eine gute Tradition, indem die Städte gewachsene Schwerpunkte und die Talschaften einen sehr unterschiedlichen Charakter haben. Auch bei gemeinsamen Bauverwaltungen oder der Anwendung digitaler Innovationen gibt es gute Beispiele. Schwieriger ist es, wenn es um Betriebserweiterungen oder Wasserversorgung geht. Eine Aussage war: „Spitäler sind natürlich eher in den Städten, aber die gesundheitliche Nachsorge ist am Land teilweise besser.“ Oder: „Ländliche Regionen sind wichtige Biotope für Städter, aber beim Schutz solcher Qualitäten brauchen sie Unterstützung. Ländliche Regionen müssen mehr Selbstvertrauen bekommen und man muss sich auf Augenhöhe begegnen.“ 

Die Stadt wird oft mit Fortschritt, das Land mit Stillstand assoziiert. Warum stimmt diese Assoziation nicht und woher kommt sie? Worin liegen die größten Klischees?

Vorarlberg wurde in einer Studie als Beispiel für eine „progressive Provinz“ genannt. Das Progressive in einer solchen Provinz Vorarlberg erlebt man nicht nur in den Städten, sondern es läuft entlang einer imaginären Linie quer durch das Land. Von den Bushäuschen in Krumbach, dem Frauenmuseum in Hittisau, dem Walserherbst im Großen Walsertal, dem Urban Space in Lech, dem Illwerke-Gebäude in Vandans, den Zwischentönen und der Potentiale in Feldkirch, dem Betriebsgebäude von Omicron in Klaus, einer Brücke in der Rappenlochschlucht, bis hin zu einer Lichtinstallation im Kunsthaus Bregenz, um nur ganz wenige zu nennen. Dörfliche Elemente können ganz schön fortschrittlich sein und Städte eine beschauliche Ruhe ausstrahlen. Natürlich ist es so, dass es viele kreative Geister in urbane Gegenden zieht, weil dort die interessanteren Anregungen und lukrativen Jobs warten. Aber das stimmt eben nur bedingt. Es kommt wie oft auf die geistige Offenheit und den innovativen Mut einzelner Menschen an, die in ihrem Umfeld gerade in Vorarlberg genug Möglichkeiten finden, Dinge auszuprobieren, und die nicht selten weltweite Beachtung bekommen. Aber natürlich arbeiten wir auch gern mit Klischees der unberührten Natur und der lebendigen Dreistufen-Landwirtschaft oder mit einem industriell-urbanen Rheintal-Walgau, in dem nicht wenige Gemeinden ausdrücklich Dorf bleiben wollen.

Was sind die wichtigsten Subthemen von Land Stadt? 

Ich möchte das in Fragen packen, die immer wieder auftauchen: Gibt es wirklich ein Wahlverhalten, wo sich Landgemeinden und urbane Regionen deutlich unterscheiden und wenn ja, warum? Wie kann es gelingen, für junge Frauen und Familien auf dem Land ein Umfeld zu schaffen, das attraktiv genug bleibt? Welche Rahmenbedingungen können wirksam helfen, dass verdichtetes Bauen nicht als Verzicht, sondern als zeitgemäßes Lebensgefühl und als passende Antwort auf gemeinschaftliche Herausforderungen gesehen wird? Wie kann genauer auf breite Bedürfnisse von Studierenden und Lehrlingen eingegangen und mit betrieblicher Realität zusammengebracht werden? Wie können wir den sozialen Zusammenhalt und das Engagement in den Gemeinden erhalten? Wie können wir den Zuzug gestalten, dass wir nicht nur Schlafort werden und das Arbeits- und Freizeitleben aber außerhalb stattfindet?

Was wird im Projekt genau bearbeitet? Wer nimmt daran teil?

Land Stadt ist ein langfristig angelegter Prozess mit einem zentralen Anliegen: Wir wollen unseren Lebensraum und seine Potenziale besser verstehen, neue Gestaltungsspielräume entdecken und schließlich den stattfindenden Wandel gemeinsam bewusst gestalten. Daher möchten wir alle Interessierten ansprechen. Die, die schon viel vorgedacht haben, zusammenbringen, und die, die offen sind, neugierig machen. Die, die bewahren wollen, sind genauso willkommen, wie die, die Veränderung für notwendig erachten. Der erste Höhepunkt ist der Land Stadt-Kongress. Hier trifft Außensicht auf Alltagserfahrung. Unterschiedliche Perspektiven verbinden sich im Dialog und das gemeinsame Verstehen einer solchen Land Stadt wird zur Grundlage für Kollaboration und Potenzialentfaltung für Vorarlberg.

Vielen Dank für das Gespräch!

Der Kongress „Land Stadt Vorarlberg“  findet am 31. März und 1. April 2020 im Festspielhaus Bregenz statt. 
Mit Beiträgen von Uli Hellweg (Kommunalberater und Planer), Roland Gruber (nonconform), Kerstin Faber (IBA Internationale Bauaustellung Thüringen) und vielen anderen.
Mehr Information und Anmeldung: www.landstadt-vorarlberg.at

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