Man denkt in Autos Und das ist falsch!
Ein persönliches Plädoyer für den öffentlichen Verkehr in Vorarlberg.
Man denkt in Autos. Und das ist falsch! Dieser Satz geht mir in Vorarlberg immer wieder durch den Kopf. Ich verdanke ihn dem 2016 im Alter von 99 Jahren verstorbenen Schweizer Bankier Hans Vontobel. In einem Fernsehinterview sagte er kurz vor seinem Tod: „Die Werte, denen man heute nacheifert, sind ein möglichst gutes Jahresergebnis, ein möglichst hoher Bonus. Man denkt in Zahlen. Man denkt in Zahlen. Und das ist falsch. Was man machen sollte, das ist: Man sollte in Menschen denken. Und das ist verloren gegangen.“ Hans Vontobel spricht da tatsächlich eine große Herausforderung unserer Zeit an. Seine klaren Worte fallen mir auch in anderen Zusammenhängen ein, so bei meinen Überlegungen zum öffentlichen Verkehr. Vorarlberg hat im Talboden und in einigen Seitentälern hervorragende Verbindungen mit der Bahn und mit Bussen. Andere Gegenden sind aber sehr vernachlässigt. Dazu gehört auch das Große Walsertal, wo ich daheim sein darf. Das Ziel des Biosphärenparks Großes Walsertal: „Mensch, Natur, Umwelt und Wirtschaft sollen in diesen Modellregionen möglichst in Einklang gebracht werden.“ Die Erschließung durch den öffentlichen Verkehr gehört meines Erachtens ganz wesentlich und vorrangig dazu.
Was mir beim Reisen geschenkt wird
Wer im Auto unterwegs ist, bleibt in seinen eigenen vier Wänden; wer mit der Bahn reist, begegnet der ganzen Welt. Bereits diese Einsicht sollte uns motivieren, wenn immer möglich das Auto zuhause zu lassen. Der öffentliche Verkehr ist eine Schule der Solidarität, der Kommunikation und der Geduld. Wir solidarisieren uns mit Menschen, die wir nicht einmal kennen. Wir warten mit, damit sie aus- oder einsteigen können. Sehr selten muss man kurze Strecken stehen. Im Railjet kann das gelegentlich vorkommen, wenn man keinen Platz reserviert hat. Aber lieber im Zug eine Stunde stehen und mit 200 km/h unterwegs sein, als in einem Auto sitzen, das eine Stunde im Stau steht.
Wer jeweils den Weg zur nächsten Haltestelle zu Fuß zurücklegt, bewegt sich viel. Das schlägt sich in den Gesundheitskosten entlastend nieder. Wir wissen es zur Genüge: Wer im Auto unterwegs ist, steigt möglichst im eigenen Haus ein und steigt so nahe wie möglich am Ziel aus. Beim Bahnfahren kann ich lesen, Musik hören, einen Film anschauen oder sogar schlafen. Viele Begegnungen werden mir geschenkt und ich darf von Erfahrungen anderer Menschen lernen, die ich sonst nie mitbekommen würde. Wer mit dem öffentlichen Verkehr unterwegs ist, lernt miteinander unterwegs zu sein. Das ist mehr als Gold wert.
Was mir auffällt
Wenn ich mich erkundige, wie ich einen bestimmten Ort in Vorarlberg erreiche, erhalte ich die Antwort ausnahmslos über die Straßen, nie über den öffentlichen Verkehr. Man denkt in Autos. Dies war mir aus der Schweiz so nicht bekannt. Beginn und Schluss von Sitzungen werden dort selbstverständlich immer mit Rücksicht auf die Ankunfts- und Abfahrtszeiten der Züge oder Busse festgelegt. Anreise mit öffentlichem Verkehr ist üblich. Dasselbe gilt für Medienkonferenzen. In St. Gerold luden wir die Medien zu einer Information über die anstehende Sanierung in die Propstei ein. In der Einladung hieß es: „Die Zeit ist so angesetzt, dass man den besonderen Ort per Öffis erreichen kann (Feldkirch ab 10.01 Uhr; St. Gerold Gemeindeamt an 10.54 Uhr).“ Alle kamen mit dem Auto, außer einem Journalisten aus der Schweiz, der vor allem die letzte Wegstrecke von Feldkirch bis St. Gerold mit Bahn und zwei Bussen nicht leicht schaffte. Ein Vorarlberger Journalist würdigte die Einladung positiv: Das hätte er bisher in Vorarlberg noch nie in einer Medieneinladung gelesen. Ich hoffe, das wird Schule machen …
In der Schweiz sind auch Bundesräte, Bischöfe und Banker mit dem öffentlichen Verkehr unterwegs. In Vorarlberg ist das noch lange nicht das Normale. Beim Reisen merkt man, wie die Verantwortlichen in der Gesellschaft unterwegs sind. Jetzt ist es nicht möglich, einen Abendanlass in Feldkirch zu besuchen und am Abend (nach 19.26 Uhr oder Samstag/Sonntag nach 18.54 Uhr) in St. Gerold anzukommen.
Ist jemand zum ersten Mal mit dem öffentlichen Verkehr aus dem Ausland in die Propstei unterwegs, hole ich die Leute normalerweise in Feldkirch ab. Allein würden sie den Weg kaum finden. So gibt es zum Beispiel in „Thüringen Busplatz“ vier verschiedene Haltestellen, eine davon ist über 50 Meter Fußweg entfernt auf der anderen Straßenseite. Die Haltestellen sind zwar seit ein paar Monaten mit Großbuchstaben bezeichnet, aber im Online-Fahrplan falsch oder gar nicht angegeben. Vor Ort gibt es keinen Hinweis, wo der Bus abfährt.
Die Haltestelle „Gasthaus Krone“ in Schnifis gibt es an drei verschiedenen Orten, nur eine Stelle ist als solche gekennzeichnet. Ich fragte einen Einheimischen und brachte den Mangel zur Sprache. Er meinte: „Wer den Bus braucht, weiß das.“ Ich brauchte den Bus, wusste es aber nicht. Ist es aufgrund der katastrophalen Folgen des Klimawandels noch kein Anliegen, dass möglichst viele Menschen den öffentlichen Verkehr benutzen, Einheimische und Gäste?
Ein gewagter Blick in die Zukunft
Bundeskanzler Karl Nehammer meinte: „Mit Innovation und Fortschritt können wir den Herausforderungen des Klimawandels begegnen.“ Ist das alles? Sollten wir nicht auch eine Einfachheit entdecken, die uns selber, anderen und der ganzen Schöpfung guttut? Es geht nicht nur darum, den steigenden Energiebedarf durch andere Energieträger zu ersetzen, es geht auch darum, weniger Energie zu verbrauchen. Übertreibt nicht, wer allein unterwegs ist und dafür Energie braucht, um durchschnittlich ein Gewicht von 1,4 Tonnen durch die Gegend zu schieben? Es gibt Menschen, die ein Auto brauchen. Aber die meisten Fahrten können wir uns ersparen, wenn der öffentliche Verkehr dementsprechend gestaltet ist. Bis dahin werde ich auf Menschen angewiesen sein, die mich beim Autostoppen mitnehmen, und bin ihnen dankbar. Es fährt wenigstens kein zusätzliches Auto meinetwegen umher. Zudem sind dann meistens zwei Personen miteinander unterwegs.
Wie können wir vermehrt bewusst Sorge tragen für unser gemeinsames Haus, wie es Papst Franziskus in seinem prophetischen Schreiben Laudato sì nennt? Ich habe mir zum Ziel gesetzt, nur Menschen in politische Ämter zu wählen, die mit dem öffentlichen Verkehr unterwegs sind. Investitionen in den öffentlichen Verkehr kommen allen Menschen zugute: die Umwelt schützen, Ausgaben und Streitigkeiten zum Ausbau der Straßen beilegen, manchen Parkplatz und manche Straße in Grünfläche zurückverwandeln.
Man denkt in Autos. Und das ist falsch! Man sollte in öffentlichem Verkehr denken, und das müssen wir noch ganz gehörig üben – auch im Biosphärenpark Großes Walsertal.
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