Pater Martin Werlen

* 1962 in Obergesteln im Kanton Wallis, Benediktiner, Mönch des Klosters Einsiedeln und Philosoph, Theologe und Psychologe, war von 2001 bis 2013 der 58. Abt des Klosters und Mitglied der Schweizer Bischofskonferenz.
Seit August 2020 ist Pater Martin Propst der zum Kloster Einsiedeln gehörenden Propstei St. Gerold. Vom mehrfachen Bestsellerautor zuletzt erschienen ist das Buch „Raus aus dem Schneckenhaus“, Verlag Herder, 2020.

Von der Not in der Gastronomie

September 2022

Ihr könnt dankbar sein, dass ihr so viele Gäste habt!“ – „Gut ausgebucht, was wollt ihr mehr?“ Solche und ähnliche Komplimente hören wir immer wieder. Was hinter den Kulissen abläuft, das bekommen die meisten Leute nicht mit, obwohl die Medien immer wieder darüber berichten. Der Fachkräftemangel in der Gastronomie ist eklatant – über die Landesgrenzen hinaus. Ein Kenner der Szene in der Schweiz schreibt mir: „Leider ist der Fachkräftemangel in der Gastronomie ein riesiges Branchenproblem, das zu lösen sehr, sehr schwierig ist. Sogar Betriebe in der Stadt Zürich finden weder Köche noch Servicemitarbeiter, was es bis anhin praktisch nie gegeben hatte! Für Betriebe auf dem Land ist es deshalb noch schwieriger. Ich selber bin ebenfalls auf der Suche für verschiedene Betriebe in der Region, und es gestaltet sich als fast aussichtslos. Die einzige Lösung ist, Hilfskräfte soweit auszubilden und an die täglichen Abläufe heranzuführen, dass sie eine einfachere Küche unterstützen können. Dass dafür das Angebot eingeschränkt werden muss, liegt auf der Hand.“
In dieser Situation sind wir auch als Propstei. Leute erwarten eine gute Küche. Sie erwarten, dass man herzlich willkommen ist. Wenige sind sich bewusst, in welcher Not so viele Gastronomiebetriebe sind. Das Weitergehen ist oft nur von Tag zu Tag, von Woche zu Woche zu gestalten. Bei uns ist das Restaurant mindestens bis Anfang Oktober nur für Hausgäste geöffnet. Wenn unangemeldet Gäste eintreffen, ist es nicht einfach, ihnen die Situation verständlich zu kommunizieren. Bei ihnen ist nicht angekommen, dass nicht mehr alles so ist, wie es immer war… Wie selbstverständlich kommt der Einwand: „Ihr habt ja noch Platz!“ Das ist nicht das Problem. Auf die Not des Personals in der Küche hinweisen, löst oft die Antwort aus: „Wir haben Zeit. Wir können warten.“ Auch das löst das Problem nicht. 
Der Fachkräftemangel in der Gastronomie war bereits vor der Pandemie groß, hat sich aber seither noch sehr zugespitzt. In unserer Küche wurde die aktuelle Situation ausgelöst durch eine völlig unerwartete Diagnose einer fortgeschrittenen Krebserkrankung eines Kochs. Dass die Lücke nicht von einer Woche zur andern ausgefüllt werden kann, ist aufgrund der Situation am Arbeitsmarkt für alle minimal mit Intelligenz ausgestatteten Menschen einsichtig. Aber auch die Konsequenzen für die anderen Mitarbeitenden sind verständlich: Größerer Einsatz ist gefordert, was zur Überforderung führen kann. Kein Betrieb kommt in dieser Situation darum herum, das Angebot zu vereinfachen. Da braucht es ein Mittragen von allen Seiten. 
An guten und wohlgemeinten Tipps fehlt es nicht. Das Finden von Mitarbeitenden ist aber nicht nur eine Frage der Zahl, sondern vor allem eine Frage der Qualität. Die Mitarbeitenden müssen in einen Betrieb mit seiner Ausrichtung passen. Sonst dient es niemandem – nicht den Gästen, nicht den Mitarbeitenden, nicht dem Betrieb. 
Das Verschwinden von Gastronomiebetrieben ist ein großer Verlust für die Dörfer und Städte und für die Besucherinnen und Besucher des Landes. Ob das den Verantwortlichen in der Politik bewusst ist? Müsste nicht ein Anreiz geschaffen werden, dass Leute, die den Gastronomiesektor verlassen haben, wieder zurückkehren? Die Entlohnung ist schon längst angepasst und die Arbeitszeiten sind geregelt. Wir alle erwarten mit Selbstverständlichkeit, im Restaurant bedient und reichlich bekocht zu werden. Wo aber sind die Menschen, die bereit sind, sich in diesem Sektor zu engagieren?

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