Pater Martin Werlen

* 1962 in Obergesteln im Kanton Wallis, Benediktiner, Mönch des Klosters Einsiedeln und Philosoph, Theologe und Psychologe, war von 2001 bis 2013 der 58. Abt des Klosters und Mitglied der Schweizer Bischofskonferenz.
Seit August 2020 ist Pater Martin Propst der zum Kloster Einsiedeln gehörenden Propstei St. Gerold. Vom mehrfachen Bestsellerautor zuletzt erschienen ist das Buch „Raus aus dem Schneckenhaus“, Verlag Herder, 2020.

Encuentro 2024 – Einfach Propstei St. Gerold

Mai 2024

In jeder Sprache gibt es wichtige Wörter, die man kaum in andere Sprachen übersetzen kann. Das Wort „Encuentro“ in der spanischen Sprache übersetzen wir mit „Begegnung“. Damit ist aber das, was „Encuentro“ meint, noch lange nicht erfasst. Das zeigen die verschiedenen Bedeutungen des Verbes „encontrar“: finden, auftreiben, treffen, aufstöbern, ausfindig machen, antreffen, herfinden, hinfinden, hinausfinden, hineinfinden, jemanden oder etwas ausfindig machen, sich durchfinden. Da kann „begegnen“ nicht mithalten. 

Ort des Encuentro
„Encuentro“ bezeichnet in großartiger Weise, was die Propstei St. Gerold ist und sein will. Hier finden sich Menschen aus allen Schichten der Gesellschaft ein – von jung bis alt, von arm bis reich, von erfolgreich bis gestrandet, von gesund bis krank, aus vielen Ländern – und sind miteinander auf dem Weg. Was sie alle auszeichnet: sie sind suchend und ringend. Dieses wertschätzende Miteinander umfasst ganz bewusst auch die gesamte Schöpfung, mit Gärten, die zum Schlendern und Naschen einladen, mit Pferden, die mit uns auf dem Weg sind, mit Bienen, die für ein ausgeglichenes Ökosystem sorgen, mit einem Landwirtschaftsbetrieb, der Tiere vor Ort erfahren lässt. Es ist ein Miteinander mit dem Schöpfer und seiner ganzen Schöpfung. Das Miteinander umfasst auch eine tausendjährige Bau-, Kultur- und Spiritualitätsgeschichte, wie sie kaum an einem anderen Ort zu begehen und zu begreifen ist.
In den vergangenen zweieinhalb Jahren wurde das Haupthaus der Propstei saniert. Was aus den von den Behörden angeordneten Sanierungsschritten geworden ist, lässt staunen. Alles wurde so nachhaltig gemacht, wie das nur möglich ist: Sanierung bis zu 1000-jähriger Bausubstanz, die neuen Materialien sind Holz und Lehm aus der Region. Jeder Raum überrascht – sowohl Leute, die die Propstei schon lange kennen, wie diejenigen, die zum ersten Mal nach St. Gerold kommen. Da ist alles dabei vom romanischen Raum für Gespräche über die gotische Bibliothek und die Renaissance-Stube, die barocken Stuckaturen bis zur modernsten technischen Einrichtung. Das Atrium ist die Mitte der Propstei und lässt dies die Besuchenden auch erfahren. Drei Räume zeichnen sich durch den offenen historischen Dachstuhl aus. Jedes Zimmer ist einzigartig. Alles fügt sich organisch zusammen und lässt das Miteinander auch architektonisch erfahren. „Ja, wenn man Geld hat …“ Diese beiläufige Bemerkung höre ich gelegentlich. Sie verrät meistens nicht den Geist des Encuentro, sondern den Geist des Neides. Denn die Finanzierung eines solchen Projekts ist harte Arbeit. Wir haben das Geld nicht. Zudem ist Kreativität nicht eine Frage des Geldes, sondern der Haltung. Es gibt Menschen, die sehr reich sind, aber mit Kreativität nichts am Hut haben. Und es gibt Menschen in großer Armut, die kreativ alle überholen. Überall, wo das Miteinander möglich ist, dürfen wir uns freuen.

Musikfestival Encuentro
„Encuentro“ heißt darum zurecht auch das Festival der Propstei, das alle zwei Jahre stattfindet, dieses Jahr von Fronleichnam (Donnerstag, 30. Mai) bis am folgenden Sonntag (2. Juni). Es ist ein Musikfestival der Begegnung zwischen Jazz und Klassik, zwischen Nachwuchs und weltbekannten Talenten. Die Ouvertüre ist der Fronleichnamsgottesdienst um 10 Uhr mit einer Dialogpredigt zwischen P. Martin Werlen und dem Jazzpianisten David Helbock. Das Finale bildet der Sonntagsgottesdienst um 10 Uhr mit musikalischem Encuentro. Am Donnerstag Nachmittag überrascht von 13.30 Uhr bis 17.30 Uhr die „Klingende Propstei“ aus allen Räumen mit Musikgrößen wie David Helbock, Khosro Soltani, Mahamad Ghavihelm, Peter Herbert, Marco Ambrosini & friends. Am Freitag und Samstag jeweils um 17 Uhr findet ein Kinder- und Familienkonzert statt, am Freitag mit Mitra Kotte (Klavier), die von ihrem Werdegang erzählt, und am Samstag mit dem jungen Ausnahme-Talent Kanon Huang (Cello). Zuvor ab 15 Uhr sind die Kinder zu einer Begegnung mit den Pferden eingeladen. Am Freitag und Samstag findet jeweils um 19.30 Uhr ein Doppelkonzert Jazz/Klassik mit Weltstars statt: Janoska Ensemble & Insomnia Brassband (Freitag) und Marie Spaemann & Arne Jansen/Stephan Braun (Samstag). Nähere Informationen und Kartenvorverkauf sind direkt auf www.propstei.stgerold.at zugänglich. Die Konzerte sind eingebettet in das Gesamt der Propstei.

Der Durst nach Encuentro
„Encuentro“ ist das, was heute der Welt so gut tut, in einer Zeit, in der das Miteinander immer mehr schwindet. Dieser Herausforderung will sich die Propstei stellen und dafür Räume und Veranstaltungen zur Verfügung stellen. Nach dem Urteil der meisten Besucherinnen und Besucher ist St. Gerold ein besonderer Ort. Doch wir sind kein Märchenparadies, auch wenn wir vielen Menschen in Not einen Aufenthalt bei uns in der Oase ermöglichen können. Wenn Leute meinen, wir könnten unsere Angebote günstiger verkaufen oder sogar einfach verschenken, vergessen sie, dass wir auch ein Wirtschaftsbetrieb sind, der sich selbst tragen sollte. Wir sind nicht Empfänger von Kirchensteuergeldern. Wir sind immer wieder auf der Suche nach Menschen, die sich an einem solchen Ort engagieren. Wir wollen unseren Mitarbeitenden faire Löhne zahlen. Unser Einkauf orientiert sich möglichst am Nachhaltigsten, nicht am Billigsten. Unsere Besucherinnen und Besucher möchten wir auf diesen verantwortlichen Weg mitnehmen. Wir freuen uns, wenn sie mit einem weiteren Herz den Weg weitergehen und das Encuentro zuversichtlich in ihrem Alltag leben. Einfach Propstei St. Gerold.

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