Thomas Feurstein

* 1964 in Bregenz, Studium der Germanistik und Geografie, Biblio­thekar und Leiter der Abteilung Vorarlbergensien an der Vorarlberger Landes­bibliothek seit 1998.

 

Neugieriges Vorarlberg

Februar 2019

Über viele Jahre hinweg war es Herrn und Frau Vorarlberger möglich, problemlos die Besitzerinnen und Besitzer heimischer Autos zu identifizieren, die aus irgendeinem Grund ihr Interesse geweckt hatten. Zu diesem Zweck besaßen die meisten das „Autobüchle“, ein weitverbreitetes Verzeichnis der Personenkraftfahrzeugbesitzer in Vorarlberg, die hier mit Kennzeichen und Namen angeführt waren. Es handelte sich um eine Publikation des VATC (Vorarlberger Auto Touring Club), dem Vorläufer des heutigen ÖAMTC, die etwa alle zwei Jahre aktualisiert wurde.

Den Anfang nahm das Autobüchle im Jahre 1924, als die erste Ausgabe unter dem Titel „Evidenznummern der in Vorarlberg bei den Bezirkshauptmannschaften registrierten Kraftfahrzeuge“ erschien. Das schmale Heftchen umfasste damals 22 Seiten, da sich in Vorarlberg noch kaum jemand ein Automobil leisten konnte. Der Bregenzerwald war damals noch fast autofrei, so gab es etwa in Bezau, Hittisau und Lingenau nur je ein Kraftfahrzeug. Die Liste der Besitzer aus dem Bezirk Bregenz liest sich wie das „Who is Who“ der blühenden Textilindustrie. So besaß etwa die Kammgarnspinnerei in Hard, die Firma Schoeller in Bregenz, die Gebrüder Sannwald in Hörbranz oder auch Architekt Willibald Braun aus Bregenz schon ein Fahrzeug. Das beliebte Verzeichnis überdauerte auch die Zeit des Nationalsozialismus, so erschien 1938 bereits vom DDAC (Der Deutsche Automobil-Club) herausgegeben auf 168 Seiten die neue Liste.

Bis 1978 florierte das Autobüchle prächtig, war auf bereits über 600 Seiten angewachsen und fehlte in keinem Vorarlberger Handschuhfach. Verzeichnisse dieser Art gab es sonst in Österreich nirgends, sehr wohl aber in Liechtenstein und einigen schweizerischen Kantonen. 1962 wurde allerdings erstmals an der Existenz des Autobüchles gerüttelt, als der Abgeordnete Josef Greussing von der SPÖ im Landtag die Anfrage stellte, warum denn die Behörde dem „schwarzen“ Auto Touring Club so großzügig ihre Daten überlasse. Josef Fitz von der ÖVP konterte damals: „Tatsache ist nun einmal, daß dieses sogenannte ,Autobüchle‘ ein sehr beliebtes und vielbeanspruchtes Nachschlagewerk ist, in dem man immer wieder nachschaut. Es hat auch einen sehr praktischen Wert. Wenn beispielsweise ein Wagen falsch geparkt ist, und man kommt mit seinem Fahrzeug nicht weg, dann kann man nachschauen, wem dieser Wagen gehört. Dann kann man ihn telefonisch erreichen und sagen: ,Sie, hören Sie, Sie stehen falsch.‘“

Die geplante Ausgabe von 1980 wurde dann trotz heftiger Proteste der Vorarlberger Medien „unter dem Vorwand des Datenschutzes abgewürgt“. Das Bundesministerium für Verkehr in Wien hatte entschieden, dass es aufgrund des Kraftfahrgesetzes nur Organen des Bundes und der Länder, den gesetzlichen Interessensvertretungen sowie Privatpersonen, die ein rechtliches Interesse glaubhaft machen können, erlaubt sei, Auskünfte aus der amtlichen Zulassungskartei zu erhalten. Die „Vorarl­berger Nachrichten“ widersprachen dem heftig: „Beim VATC reagierte man selbstverständlich enttäuscht auf das Autobüchle-Verbot, das zwar rechtlich kaum anfechtbar ist, jedoch dem klaren Hausverstand widerspricht und als gelungener Versuch gewertet werden muß, eine Vorarlberger Eigenart aus den Welt zu räumen. In dieser Frage hat man sich zu rasch dem papierenen Druck gebeugt und es sollte das letzte Wort noch nicht gesprochen sein, wenn die in dieser Sache Jahrzehnte hindurch praktizierte eigenständige Meinung noch etwas gilt.“

Auch Leserbriefe, in denen vermutet wurde, dass die Abschaffung wohl eher ein Fasnachtsscherz als eine erstzunehmende Tatsache sei, konnten das Unausweichliche nicht verhindern. Das Autobüchle fiel schließlich unwiderruflich den immer schärferen Datenschutzgesetzen zum Opfer. Die zahlreichen Ausgaben in den Regalen der Vorarlberger Landesbibliothek sind Relikte einer längst vergangenen Zeit, ohne Facebook, Internet und Europäischer Datenschutzgrundverordnung. Sie dokumentieren den veränderten Umgang mit persönlichen Daten sowie den rasch anwachsenden Individualverkehr.
In Liechtenstein überdauerte das dortige „Autobüchlein“ noch bis 2003. Der Landtag fasste dort die Bedenken gegen ein solches öffentliches Verzeichnis treffend zusammen: „Aufgrund der Veröffentlichung konnte jedermann aufgrund der Schildernummer die Identität des Fahrzeughalters herausfinden, diese Daten (auch) zu Ungunsten der betroffenen Personen brauchen und sie in andere Datensammlungen einspeisen.“ Die Argumente des Daten- und Persönlichkeitsschutzes seien jedenfalls höher zu gewichten als das in der Regel nur der Neugierde entspringende Interesse der Verzeichnisbesitzer.

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