David Stadelmann

* 1982, aufgewachsen in Sibratsgfäll, ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Bayreuth, Fellow bei CREMA – Center for Research in Economics, Managemant and the Arts; Fellow beim Centre for Behavioural Economics, Society and Technology (BEST); Fellow beim IREF – Institute for Research in Economic and Fiscal Issues; Fellow am Ostrom Workshop (Indiana University); Mitglied des Walter-Eucken-Instituts.

 

Reiner Eichenberger

*1961 in Zürich, ist ein Schweizer Wirtschaftswissenschaftler. Er ist ordentlicher Professor für Theorie der Finanz- und Wirtschaftspolitik an der Universität Freiburg in der Schweiz und Forschungsdirektor des CREMA.

Politikkrise in der Krisenpolitik Ursache und Heilung

April 2022

Die Corona-Fallzahlen steigen, aber das öffentliche Interesse daran schwindet. Das ist verständlich. Die riesigen wirtschaftlichen, sozialen, gesellschaftlichen und psychischen Kosten sind Fakt und unumkehrbar. Das Risiko schwerer Gesundheitsschäden war für Jüngere und Gesunde von Anfang an vergleichsweise moderat, nun gilt das auch für den Großteil der Geimpften und Genesenen.
Gleichwohl konfrontierte die Corona-Krise die Gesellschaft mit enormen Herausforderungen. Statt Lösungsorientierung herrschte vorschnelles Politisieren und Moralisieren. Als Ursache dafür sehen wir ein Politikversagen unter Beteiligung von Regierung, Medien und Wissenschaft. Aus diesem Politikversagen kann zur Bewältigung zukünftiger Krisen viel gelernt werden.

Politikversagen in der Krise

Politikversagen folgt nicht aus den Fehlern einzelner Politiker oder Parteien, sondern ist eine Folge der Anreize der politischen Handlungsträger. Die Bürger haben allgemein und insbesondere in Krisen kaum Einfluss auf politische Entscheidungen. Ihre Anreize, sich zweckdienlich für diejenige Politik einzusetzen, die sie für die richtige halten, sind deshalb klein. Zu Beginn von Krisen ist es für sie angesichts der allgemeinen Unsicherheit kaum möglich, sich gut zu informieren. Ihnen bleibt deshalb nur, im politischen Prozess ihre Gefühle auszuleben. In Krisen sind politische Debatten deshalb oft gefühlsorientierter, moralisierender und noch weniger vernunft- und lösungsorientiert als sonst. Gefühl und Moralisieren verdrängen Kalkül und rationale Abwägung zum Schaden vieler. 
Ohne kalkulierendes Abwägen werden die zur schnellen Krisenüberwindung relevanten Ressourcen nicht wirksam genutzt. So wurde die Immunität der Genesenen im ersten Jahr der Corona-Krise, als sie einen wichtigen Beitrag zur Bewältigung der Krise hätte liefern können, nicht durch Grüne Pässe (COVID-Zertifikate) zertifiziert und nutzbar gemacht. Dabei ist die wachsende Immunität in der Bevölkerung infolge Genesung und später Impfung anerkanntermaßen die entscheidende Ressource zur Bewältigung von Pandemien. Während zu Beginn der Krise unklar war, ob und wann ein Impfstoff verfügbar wird und welchen Schutz er bietet, war immer klar, dass die Immunität durch Genesung höchstwahrscheinlich robuster als die Immunität durch Impfung ist. Bei einer frühen Zertifizierung möglichst aller Genesenen – also auch unter Einsatz von Antikörpertests zu ihrer systematischen Identifizierung – hätten diese erst nachrangig geimpft werden können. So hätten die zunächst knappen Impfungen effizienter eingesetzt und viele Todesfälle vermieden werden können.
Lange wurde der weitreichende Schutz nach Genesung vor erneuter, schwerer Erkrankung geleugnet und es galt als „gerecht“, Genesene den gleichen Einschränkungen auszusetzen wie Nicht-Immune. Politiker und die Verwaltung priesen die Gleichbehandlung, solange die Kosten nur schlecht organisierte Minderheiten trafen. Sinnvolle Differenzierung nach Immunität oder dem Risiko schwerer Erkrankung, das bekanntlich massiv von Alter und Vorerkrankungen abhängt, hätte ihnen nur mehr Arbeit gebracht als die Gleich-Schlecht-Behandlung aller. Deshalb wurde den Immunen erst dann mehr Freiheiten gegeben, als sie durch fortschreitende Impfung und Genesung zur klaren Mehrheit wurden. Doch genau dann war eine Differenzierung fragwürdig: Mit der im Vergleich zur Erkrankung risikoarmen Impfung konnten sich fast alle, die es wollten, gut schützen. Damit erübrigte sich die Bedeutung von COVID-Zertifikaten als Krisenlösungsinstrument weitgehend. 

Politikversagen und Medien

Vernunft- und lösungsorientierte Krisenpolitik mit Differenzierung nach Risiko brächte allen Bürgern großen Mehrwert. Doch solche gute Politik entsteht nicht von selbst. Vielmehr braucht es dafür günstige Bedingungen, insbesondere vielfältige und kritische Medien. 
In der Corona-Krise verloren viele Medien ihre Kritikfähigkeit gegenüber den politischen Entscheidungsträgern. Sie setzten nicht auf Analyse, sondern auf Panik und Moralisieren. Die weitgehend unkritische Berichterstattung zu Beginn und im Verlauf der Pandemie war von den speziellen Anreizen von Medienschaffenden in Krisen geprägt. 
Zu Beginn von Krisen besteht große Unsicherheit. Entsprechend groß ist der Informationsbedarf der Bürger. Weil die Medienschaffenden selbst noch unsicher sind, können sie kaum fehlerfreie Analysen liefern. Entsprechend leicht können regierungskritische Beiträge von politischen Entscheidungsträgern und ihren Kommunikationsabteilungen angegriffen und echte oder vermeintliche Fehler angeprangert werden. Regierungsdienliche Berichte hingegen werden kaum angegriffen. Daraus erwächst ein sich selbstverstärkender Mechanismus. Je weniger Berichte regierungskritisch sind, desto konzentrierter trifft sie das „Sperrfeuer“ der Regierung. Und je mehr Beiträge die Maßnahmen der Regierung stützen, desto unwahrscheinlicher wird ein einzelner regierungsdienlicher Beitrag von Maßnahmenkritikern angegriffen. Zusätzlich verstärkt wird dieser Mechanismus von der starken Abhängigkeit der Medien von staatlichen Inseraten und Insiderinformationen aus der Verwaltung. 
Unter der in Krisen gegebenen Unsicherheit übernehmen rationale Medienschaffende deshalb eher als sonst die Position der Regierungen und sind weitgehend unkritisch. Je länger sie dann das Krisenmanagement und seine Folgen beobachten und sich über Alternativen etwa aufgrund internationaler Erfahrungen informieren können, desto leichter fällt es ihnen schwer, angreifbare Kritik zu üben. Doch dann sind die meisten Kosten schlechter Politik bereits entstanden.

Politikversagen und Experten

Krisen wie eine Pandemie sind komplex. Die „richtigen“ Lösungen stehen nicht vorab fest. Die Einschätzung der Krise und die Entwicklung von Strategien zu ihrer Bekämpfung erfordert Expertenwissen aus Virologie, Medizin, Recht, Erziehungswissenschaften, Psychologie, Ökonomie und weiteren Wissenschaften. Dabei widersprechen sich die Empfehlungen zwischen und innerhalb verschiedener Wissenschaften oft. Deshalb ist der stereotype Ruf, auf „die Wissenschaft“ zu hören, wenig zielführend. Es gibt sie nicht, „die Wissenschaft“. 
Auf die Nachfrage von Politik und Medien nach Expertise reagieren Wissenschaftler mit einem Angebot. In Normalzeiten ist Wissenschaft durch intensiven Wettbewerb um die besten Ideen und Methoden geprägt. In Krisen wird dieser Wettbewerb durch die Nachfrage aus der Politik unterlaufen. Schnell geht es nicht mehr um die beste Analyse, sondern wer von der Politik angehört und in Expertengremien geladen wird. Diese erarbeiten Listen mit Vorschlägen. Die Regierung kann dann die ihr genehmen Vorschläge herauspicken und behaupten, sie verfolge die Empfehlungen „der Wissenschaft“. Die Experten haben kaum Anreize, das selektive Verhalten der Regierung zu kritisieren, denn das würde ihre Bedeutung als Berater in Frage stellen. Zudem neigen Experten verständlicherweise dazu, die Bedeutung ihres jeweiligen Fachgebiets hochzuspielen und die Schwere der Krise zu überhöhen. Wer vor einer Welle warnt, die dann nicht kommt, verliert wenig und kann argumentieren, die Warnung habe geholfen, die Krise zu verhindern. Diese Verzerrungen gelten insbesondere für thematisch hochspezialisierte Experten. Wissenschaftler hingegen, die zu vielen ganz unterschiedlichen gesellschaftlichen Problemen forschen, haben schwächere Anreize, einzelne Probleme hochzuspielen.

Kalkül statt Gefühl

Wenn die Bürger gefühlsorientiert und moralisierend reagieren, gibt das den politischen Entscheidungsträgern und den Medien Anreize, noch gefühlsorientierter und moralisierender zu agieren als gewöhnlich. Doch gerade in der Bekämpfung von Krisen sollten nicht Gefühle, sondern Verstand und Kalkül wegleitend sein. 
So behaupteten viele Medien, Politiker und Experten ganz betroffen, wegen Corona sei die Lebenserwartung massiv gefallen. Doch das liegt vor allem an ihrer Definition. Die Lebenserwartung ist eine Schätzung der für Individuen mit einem bestimmten Alter erwarteten Restlebenslänge aufgrund der in einem Kalenderjahr gemessenen Sterblichkeit für alle höheren Altersjahrgänge – unter der Annahme, dass in Zukunft identische Sterblichkeitsverhältnisse herrschen. Diese Annahme aber ist für Corona sinnfrei. Pandemien wirken zeitlich eng beschränkt und die Menschen werden dank Genesung oder Impfung gegen schwere Erkrankung weitgehend immun. Wer kalkuliert, konnte schon vor der Impfung einfach abschätzen, wie viel Lebenszeit bei einer weitgehenden Durchseuchung höchstens verloren gehen kann: Wenige Monate nach dem allerersten Lockdown gab es relativ verlässliche Evidenz, dass die durchschnittliche Sterbewahrscheinlichkeit bei Infektion höchstens 0,7 Prozent war. Das mittlere Alter der Corona-Verstorbenen war deutlich über 80 Jahre, und die durchschnittliche Lebenserwartung 80-jähriger lag vor Corona bei rund 9,3 Jahren. Mit diesen Eckwerten hätten die Einwohner Österreichs bei Durchseuchung von 80 Prozent ohne Impfung im Durchschnitt einmalig 19 Lebenstage verloren, mit sehr ungleicher Verteilung zwischen Alt und Jung. Für exaktere (und deutlich tiefere) Ergebnisse müssten noch die Vorerkrankungen und die genaue Altersverteilung berücksichtigt werden. Die breite Durchimpfung der Älteren seit Mitte 2021 dürfte die verlorene Lebenszeit auf rund ein Zehntel gesenkt haben.
Je nach Perspektive ist ein durchschnittlicher Verlust von höchstens und einmalig 19 Lebenstagen viel oder wenig. So wuchs die Lebenserwartung bei Geburt in Österreich in den letzten 20 Jahren vor der Krise rund 4,1 Jahre oder knapp 75 Tage jährlich. Im weltweiten Vergleich ist die Lebenserwartung in Österreich zwar hoch, aber nach international vergleichbaren Zahlen um 818 Tage tiefer als beim Nachbarn Schweiz. Nur wenige Politiker stellten sich vor Corona oder auch jetzt die Frage, woher eine solche Lebenszeitlücke zwischen den beiden Ländern kommt und wie sie zu schließen wäre. 
Diese Überschlagsrechnungen zeigen Folgendes: Gemessen an anderen Risiken sowie der allgemeinen Entwicklungen ist Corona gesundheitlich relevant. Doch so wie andere Krankheiten trifft sie vor allem gewisse Risikogruppen sehr schwer. Hingegen war schon im Sommer 2020 aufgrund guter Studien bekannt, dass das Sterberisiko beispielsweise für gesunde unter 40-Jährige im Falle einer Infektion dem Risiko von rund drei Jahren Teilnahme am Straßenverkehr in Österreich entsprach, und von normalen Lebensrisiken etwa durch regelmäßiges Bergsteigen, Motorradfahren oder Fahrradfahren übertroffen wird. 

Ganzheitliche Sicht auf Probleme

Krisenpolitik darf nicht nur eng auf wenige Aspekte fokussieren, sondern muss aus ganzheitlicher Sicht auf die drei wichtigsten Quellen menschlichen Wohlergehens – Gesellschaft, Wirtschaft und Gesundheit – zielen. Zielkonflikte müssen erkannt und effizient gelöst werden. 
Seit Beginn der Pandemie war das Gesundheitssystem von Überlastung bedroht. Diese ist aber nicht nur Folge der Krankheit, sondern der Gesundheitspolitik selbst. Überlastung droht vor allem dann, wenn die knappen Spitalkapazitäten nicht wirkungsvoll ausgebaut und getreu der gefühlsorientierten Forderung, „Triage muss um jeden Preis verhindert werden“ allen Patienten gegeben werden, auch jenen mit kurzfristig sehr schlechten Überlebenschancen. 
Wer hingegen ganzheitlich denkt, weiß, dass Triage in Form einer Priorisierung der Normalfall ist. Ressourcen – insbesondere auch im Gesundheitsbereich – sind immer knapp. Notärzte müssen bei Unfällen oft entscheiden, wer zuerst Hilfe erhält, und mit der Festlegung von Gesundheitsbudgets wird ganz selbstverständlich über die Überlebenschancen vieler zukünftiger Patienten entschieden. Genauso sind die mehrfachen Lockdowns eine Art Triage-Entscheidungen. Während Triage auf Intensivstationen schnell und gut sichtbar wäre, wirken Lockdowns langsam und indirekt über Wirtschaft, Bildung, Gesellschaft, Psyche, häusliche Gewalt, usw. auf Tod und Leben. Die ganzheitliche Sicht erfordert, diese Wirkungen breit abzuwägen.

Rahmenbedingung zur Heilung von Politikversagen

Mehr „Kalkühl statt Gefühl“ sowie eine ganzheitliche Perspektive kann nicht verordnet werden. Politiker sind auch nur Menschen, die ihren Anreizen folgen. Daher braucht es bessere Rahmenbedingungen.

Lösungswettbewerb durch Föderalismus: In Krisen wird die Politik oft zentralisiert. Doch herrschen Unsicherheit und große regionale Unterschiede. Entsprechend unwahrscheinlich bietet eine Einheitspolitik genau die richtige Lösung. Regionale Ansätze erlauben es hingegen, schnell aus Fehlern zu lernen. Zentralisierung verstärkt auch Bürokratieprobleme. Bürokratien sind hierarchisch organisiert und hochgradig risikoavers. Mögliche Krisenlösungsansätze von unten finden nur langsam ihren Weg nach oben. Zudem leiden große Verwaltungsabteilungen wie nationale Ministerien oft unter einer Art Schweigespirale: Die Bereitschaft von Beamten, unkritisch die verordnete Politik zu exekutieren, nimmt mit der Hierarchisierung zu, denn niemand – außer vielleicht den Obersten – trägt eine klare Verantwortung. Im funktionierenden Föderalismus hingegen gibt es neben dem nationalen Gesundheitsministerium auch kompetente regionale Entscheidungsträger. Diese können glaubwürdig gegen die nationale Politik steuern. Deshalb sollten dezentrale Ansätze in Krisen gefördert werden. Unseres Erachtens hat der starke Schweizer Föderalismus dazu beigetragen, dass die Schweiz insgesamt klar besser – mit weniger Einschränkungen und weniger wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und gesundheitlichen Schäden – als Österreich durch die Krise gekommen ist. So hatten die Kantone Spielraum hinsichtlich eigener Maßnahmen, und der Bundesrat als eidgenössische Regierung legte den Kantonsregierungen oft alternative Maßnahmen vor, was den kritisch-konstruktiven Diskurs förderte. 

Advocatus Diaboli als Medienkritikorgan: In freiheitlichen Demokratien ist der Meinungswettbewerb in den Medien in Normalzeiten recht ausgewogen. In Krisenzeiten ist er aber systematisch zugunsten der Regierung verzerrt. Zur Entzerrung bedarf es einer Art Advocatus Diaboli. Dessen Aufgabe wäre es, nach bestem Wissen und Gewissen alle denkbaren Gegenargumente gegen die vorherrschende Politik- und Medienmeinung zu suchen. Dies soll insbesondere einem Gruppendenken vorbeugen und helfen, am Ende zu angemesseneren, besseren Entscheidungen zu kommen. Analogien verdeutlichen die Relevanz des Advocatus Diaboli: In der Rechtsprechung sucht nicht ein Mensch möglichst unvoreingenommen „die Wahrheit“. Vielmehr suchen sowohl Anklage und Verteidigung je recht einseitig nach den bestmöglichen Argumenten, aufgrund deren dann ein möglichst neutraler Richter feststellt, was „die Wahrheit“ sei. Auch Demokratie und Wissenschaft funktionieren zu Normalzeiten ähnlich. Wir empfehlen deshalb, Mittel aus der heutigen Medienfinanzierung auch gezielt an Medienschaffende zu vergeben, die sich in Krisen auf die Tätigkeit als Advocatus Diaboli spezialisieren. Diese Medienschaffenden müssen durch ein von der Regierung unabhängiges Gremium ausgewählt werden – denkbar wäre ein Gremium aus ausgelosten Bürgern. Dank öffentlicher Finanzierung würde die Tätigkeit als Advocatus Diaboli mit Ressourcen ausgestattet, um fundierte Kritik zu erarbeiten. Dank dem expliziten Auftrag zur Kritik müsste ein Advocatus Diaboli nicht fürchten, als unmoralisch hingestellt zu werden.

Gegenvorschlagskommission: Wichtig ist ebenfalls, dass die Regierungspolitik kritisch-konstruktiv analysiert und realistische Alternativen entwickelt werden. Oppositionsparteien sind dazu wenig geeignet, weil sie immer auch das Ziel haben, die Regierung zu schädigen. Wir schlagen deshalb vor, dass es neben Parlament und Regierung eine unabhängige, idealerweise vom Volk gewählte Gegenvorschlagskommission geben soll, die die explizite Aufgabe hat, kluge Alternativvorschläge zu entwickeln. Derartige Kommissionen gibt es zum Beispiel in der Schweiz in Form von volksgewählten Rechnungsprüfungskommissionen auf Gemeindeebene. Sie haben keinerlei Entscheidungsgewalt, sondern einzig die Aufgabe, Kritik zu äußern und konkrete Gegenvorschläge zu entwickeln. So hätten Regierung und Parlament keinen Grund mehr zu behaupten, ihre Politik sei alternativlos, wie dies in der Corona-Krise der Regelfall war. Die Vorschläge einer speziell beauftragten Gegenvorschlagskommission wirken über wenigstens vier Kanäle. (1) Die Regierung kann die Vorschläge direkt aufnehmen. (2) Die Gegenvorschlagskommission liefert die Informationen an die Medien, den Advocatus Diaboli und damit an die Bevölkerung. (3) Andere Akteure wie Oppositionsparteien können sich die Vorschläge aneignen. (4) Die Regierung wird versuchen, der Kritik der Gegenvorschlagskommission möglichst zuvorzukommen und die offensichtlichsten Mängel ihrer Politik rechtzeitig zu beheben. 

Unter solchen Rahmenbedingungen wären die wirtschaftlichen, sozialen, gesellschaftlichen und psychischen Kosten sowie der Vertrauensverlust in die Politik während der Corona-Krise wohl kleiner ausgefallen. Die Gegenvorschlagskommission hätte wohl früh empfohlen, die Immunität infolge Genesung als zentrale Ressource zu zertifizieren und die wichtigsten Daten besser zu erheben, wie etwa die Dunkelziffer der Infektionen oder die verlorene Lebenszeit der Opfer von schwerer Krankheit und Tod. Sie hätte vermutlich bei einer Impfpflicht für die gesamte erwachsene Bevölkerung auch auf praktischen Durchsetzungsprobleme hingewiesen. Der Advocatus Diaboli hätte kritisiert, dass wer eine derartige Impfpflicht tatsächlich fordert, diese dann aber im Sand verlaufen lässt, einen befremdlichen Mangel an Ernsthaftigkeit an den Tag legt. Und aus den unterschiedlichen Maßnahmen der Bundesländer hätten schneller funktionierende Krisenlösungsansätze destilliert werden können.

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