Andreas Dünser

Chefredakteur "thema vorarlberg" (andreas.duenser@themavorarlberg.at)

Trump – ein Präsident in einem gottgleichen Amt

April 2019

Für Europäer ist die Rolle der Religion in den USA nicht leicht zu erfassen. Buchautor Andreas G. Weiß (32) sagt im Interview mit „Thema Vorarlberg“, dass mit Trump etwas Wirklichkeit geworden ist, was man nie für möglich gehalten habe. Ein Gespräch mit dem Salzburger Religionswissenschaftler über das Selbstverständnis in „God’s Own Country“ – und einen Egoisten, der ein in europäischen Augen religiös überhöhtes Amt neu auslegt.

Beginnen wir unser Gespräch mit einem Satz aus Ihrem aktuellen Buch?
„Der religiöse Fundamentalismus ist eine US-amerikanische Erfindung.“

Wenn man heute von Fundamentalismus spricht, hat man meistens islamistische Selbstmord-Attentäter vor Augen. Aber religionsgeschichtlich ist Fundamentalismus tatsächlich in den USA entwickelt worden – als damals nicht gewalttätige Antwort auf die aufkommende Moderne. Als gegen Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts die säkularen Wissenschaften – Physik, Chemie, Geschichte – ihre Siegeszüge antraten, kapselten sich bestimmte Gruppierungen in den USA von den wissenschaftlichen Diskussionen ab. Diese Gruppen sagten: „Uns ist egal, was diese Wissenschaftler da behaupten, wir glauben an unsere Glaubens-Fundamente, wir beschränken uns auf die Wahrheit der Bibel.“ Sie bezeichneten sich selbst als Fundamentalisten.

Es ist egal, was die Wissenschaft behauptet? Das klingt ja ganz nach Trump!

Durchaus. Für Trump zählt nur, was er selbst sagt. Und wenn sich seine Argumente und die Statistiken, auf die er sich beruft, als falsch herausstellen, ist ihm das herzlich egal. Er hält sich an keine Allianzen, an keine Bündnisse, ja nicht einmal an seine Versprechen. Er nimmt seine Worte zurück, wenn sie ihm nicht passen, als hätte er sie nie gesagt.

Sie schreiben auch: „Die schockierende Wahrnehmung Trumps hängt zu einem großen Teil an den Weltbildern, die mit seiner Wahl durchbrochen worden sind.“

An einschneidenden Ereignissen gestalten sich die Ordnungen neu. Und Trumps Wahl war ein solch einschneidendes Erlebnis. Mit Trump ist etwas Wirklichkeit geworden, was man nie für möglich gehalten hätte. Nicht in Europa, auch nicht in Teilen der USA. Da haben sich auch die Republikaner getäuscht. Denn Trump repräsentiert auch mit seinem persönlichen Lebenswandel gar nichts, was sich republikanische Wählerschaften, evangelikale Freikirchen oder auch konservative Christen in den USA von ihrem Staatvater erwartet hätten. Scheidungen, Affären mit Porno­stars, dubiose Kontakte mit Russland; all das wäre vor Trump undenkbar gewesen. Russland! Gerade die Republikaner hatten sich jahrzehntelang als ein geradezu göttlicher Anti-Part zum gottlosen Kommunismus verstanden, kein Präsident hätte derartige Kontakte zu Russland unterhalten können. Trump aber hat gar nie erst einen Hehl daraus gemacht, diese moralischen und christlichen Idealvorstellungen gerade nicht zu repräsentieren. Er hat ja schon im Wahlkampf gesagt, er könne einen Menschen erschießen und werde keine einzige Wählerstimme verlieren. 

Nun zeigt ein aktuelles Foto aus dem Weißen Haus Präsident Trump, umringt von Rabbinern. Warum, Herr Weiß, veröffentlicht das Weiße Haus gerade dieses Foto? Was bezweckt Trump damit, wenn er von Moral oder Religion ohnehin nichts wissen will?

Es mag erstaunen, dass Trump sich hier so ungeniert mit religiösen, nicht-christlichen Führern im Weißen Haus inszeniert. Doch passt das sehr gut zu seiner politischen Agenda: Trump zeigt sich gerne mit den traditionalistischen Verbänden unterschiedlicher Glaubenskreise, sofern das seiner eigenen Machtsicherung dient oder ihm hilft, seine Ziele zu erreichen. Und die konservativen Mächte in den USA, egal ob christlich, rabbinisch oder einer anderen religiösen Gemeinschaft zugehörig, spielen seiner restriktiven Politik in die Hände.

Weil, was Christen betrifft, die Bibel in den USA eine politische Macht ist?

Ja! Das trifft vor allem den Süden der USA, den sogenannten Bible Belt. Dort leben sehr bibeltreue Gruppierungen, die nach wie auf die Wörtlichkeit der Bibel schwören. Ein Politiker, der sich dort mit der Bibel zeigt, suggeriert der Wählerschaft, dass er sich an überzeitliche, an göttliche Ordnungen halten möchte. Auch deswegen hat sich Trump bei Wahlkampf-Veranstaltungen im Süden der USA immer mit seiner Bibel inszeniert. 

Es gibt in unserer Wirklichkeit keine „Trump-freie“ Blase mehr.

In europäischen Ländern ist so etwas nur schwer vorstellbar …

Für Europäer ist die Rolle der Religion in den USA nicht leicht zu erfassen. Die besondere Form des US-amerikanischen Patriotismus lebt von einem sehr starken, allgegenwärtigen Erwählungsbewusstsein. „God bless America“ folgt einem auf Schritt und Tritt, samt Hymne und Flagge. Dieses Erwählungsbewusstsein lässt sich übrigens sehr weit zurückverfolgen, bis zu den ersten Siedlern. Für John Winthrop, einer der ersten puritanischen christlichen Siedler in den USA, war Amerika das erwählte Land, war Amerika eben „God’s Own Country“. Die Puritaner und andere christliche Gruppen waren zu Beginn des 17. Jahrhunderts in die neue Welt aufgebrochen, weil sie ihre Religion in Europa nicht frei leben konnten. In der Staatsgründung der USA sahen diese Gruppierungen einen quasi göttlichen Beweis, auserwählt zu sein. Sie verstanden sich als von Gott ausgewählt, sie verstanden die neue Welt als neues Israel, als das neue gelobte Land. Und in God’s Own Country hatte auch der Präsident von Anfang an eine besondere Rolle: Er ist nicht nur politischer Entscheidungsträger, er ist eine quasi-religiöse, nahezu heilige Führungsgestalt. Das ist er in bestimmten Kreisen auch heute noch. Und die USA sehen sich nach wie vor als erwählte Gesellschaft, die der Welt ihre freien Ideale verkündigen muss.

Apropos Ideale. Auf dem US-Dollar steht „In God we trust“. Trump würde vermutlich die Formulierung bevorzugen „In Trump we trust“ …

Vermutlich, ja. Trumps Egozentrik geht oftmals sehr weit und das wird auch in vielen religiösen christlichen Kreisen als sehr problematisch gesehen. Denn das Bild eines Präsidenten, der das Erwählungsbewusstsein ausdrückt, lebte immer auch vom Wissen, dass die betreffende Person austauschbar ist. Nach dem Mord an Kennedy war Nachfolger Johnson noch am Rückflug von Dallas, als er angelobt wurde. Das Amt ist sozusagen ewig und göttlich. Der Amtsträger ist das nicht. Trump sieht das anders. Stanley Hauerwas, ein sehr bekannter, konservativer US-Theologe, hat offen kritisiert, es sei das Gefährlichste, was den Amerikanern und dem amerikanischen Traum eigentlich passieren könne: Ein Präsident, der dieses Amt innehat, und sich nicht mehr für austauschbar hält. Und Trump sah und sieht sich selbst als nicht austauschbar an. Alle anderen sind für ihn in seinem Weltbild ersetzbar. Trump versteht sich als Präsident, bei dem quasi die Erwählung des Landes mit der Erwählung seiner Person zusammenfallen.

Trump ignorieren, das gehe allerdings auch nicht, sagen Sie.

Viele Menschen haben sich geradezu angeekelt abgewandt, es seien ja nur die dummen Amerikaner, die den gewählt hätten. Aber ignorieren geht nicht. Trump würde bestehen, selbst wenn man Weltflucht beginge. Es gibt in unserer Wirklichkeit keine „Trump-freie“ Blase mehr. Die internationale Politik kann ohne den US-Präsidenten nicht auskommen. Und setzt man sich mit Gesellschaften, mit Politik, mit Öffentlichkeit, mit Menschenrechten, mit vielen anderen Themen auseinander, kommt man an Trump ebenfalls nicht vorbei. Das sollte man auch nicht! Man muss auch solchen Ereignissen ins Auge schauen. Denn die intensive Beschäftigung mit dem Widerlichen kann auch eine heilende Wirkung haben. 

Das Gefährlichste, was dem amerikanischen Traum passieren kann? Ein Präsident, der dieses Amt innehat, und sich nicht mehr für austauschbar hält.

Und was sieht man, wenn man sich nun intensiv damit beschäftigt?

Man sieht: Trump ist nicht die Ursache unserer Probleme, er ist vielmehr ein Resultat unserer Zeit. Trump kam nicht von ungefähr. Der ist nicht vom Himmel gefallen. Trump wurde von Menschen gewählt. Er wurde an die Oberfläche gespült, von Signalwörtern, die in unserer Welt Geltung haben. Ob das nun die kapitalistischen Vorstellungen sind, ein unter der Oberfläche schwelender Rassismus oder der scheinbar viel gehegte Wunsch nach einem starken Mann, solche Ereignisse offenbaren etwas über unsere Gesellschaften. Insofern darf man die Mitverantwortung, die auch westliche Gesellschaften an solchen politischen Ereignissen haben, nicht einfach wegwischen.

Ist Trump Ausdruck des Egoismus und der Oberflächlichkeit der heutigen Zeit?

Ich sehe zumindest interessante Parallelen. Trump zeigt ein Bewusstsein, das sich in unserer Welt immer stärker durchsetzt: In jeder Situation das Maximum für sich selbst herauszuholen. Ohne Rücksicht auf andere oder darauf, ob da jetzt irgendwelche moralischen Werte im Weg stehen.

Sie sagen, mit Trump habe sich der gesellschaftspolitische, wirtschaftliche und religiöse Raum verrückt – und das in der gesamten westlichen Welt.

Auch das hängt mit dem Selbstverständnis von Donald Trump zusammen. Es gibt in solchen Räumen, ob das nun gesellschaftspolitische, wirtschaftliche oder religiöse sind, Allianzen. Man verlässt sich aufeinander, man verlässt sich darauf, dass ein bestimmtes Wort auch Geltung hat. Dass man bestimmte Ideale gemeinsam hat oder sich abstimmt, in gewissen Fragen, darauf verlassen sich die Menschen. Aber all das ist mit Trump an ein Ende gekommen.

Jeder Schrecken sage auch etwas über den Erschrockenen aus, sagen Sie. Was also bleibt uns am Ende übrig? Über Trump lachen? Über einfältige Amis lachen?

Bei Trump darf man zwei Fehler nicht machen: Man darf ihn nicht überschätzen. Und man darf ihn nicht unterschätzen. Man hat Trump in der republikanischen Partei unterschätzt, als er in ihren Reihen kandidieren wollte und irgendwann war der Punkt erreicht, an dem sie ihn nicht mehr losgebracht haben. Man sollte Trump aber auch nicht überschätzen, indem man ihn so hochstilisiert, als wäre er das Ende unserer westlichen Gesellschaft. Man merkt gerade in den USA, bei vielen Entscheidungen, dass auch Trump nicht tun und lassen kann, was er will. Es gibt Sicherungsmechanismen, die greifen, wenn er Verfassungswidriges macht. Man sollte Trump also weder unter- noch überschätzen. 

Was bleibt dann noch?

Man sollte ihn ernstnehmen – als Phänomen unserer Zeit und unserer Gesellschaft. Trump ist nicht zufällig dort, wo er ist. Trump vereint in sich Eigenschaften, die sich in unserer Wirtschaft, in unserer Politik, in unserer Gesellschaft zeigen und die honoriert werden – das Egoistische, das Egozentrische, die Ellbogentaktik. Trump repräsentiert vieles, was wir in der heutigen Gesellschaft sehen. Und auch in Bezug auf die Religion sagt Trump viel über unsere Gesellschaft aus: Religion ist bei ihm ein Thema, aber nur, wenn sie ihm auch nützt, nicht, wenn sie ihm gefährlich werden könnte. Das sieht man auch in Österreich: Religion wird von der Politik immer wieder einmal ganz bewusst eingespeist, ohne sich zu irgendetwas verpflichtet zu fühlen. Man sollte also mit offenen Augen Politik und Gesellschaft betrachten, und achtgeben, wo Religion und religiöse Themen auch missbraucht werden. Das ließe sich lernen, wenn man sich mit Trump beschäftigt.

Vielen Dank für das Gespräch!

 

 

Zur Person

Andreas G. Weiß * 25. September 1986, studierte in Salzburg und Springfield (Missouri/USA) katholische Theologie, Philosophie und Religionswissenschaft. Weiß ist Mitglied der „American Academy of Religion“ (AAR) und promovierte 2018 mit der Arbeit „Der politische Raum der Theologie“ zum Dr.theol. Der profilierte Kenner der US-amerikanischen Religionspolitik schreibt regelmäßig für die Wochenzeitung „Die Furche“ und als Gastautor bei den „Salzburger Nachrichten“ sowie auf zahlreichen online-Medien.

Buchtipp!

Andreas G. Weiß, „Trump – du sollst keine anderen Götter neben mir haben“, Patmos Verlag, Ostfildern, 2019

Kommentare

To prevent automated spam submissions leave this field empty.