Andreas Dünser

Chefredakteur "thema vorarlberg" (andreas.duenser@themavorarlberg.at)

Viel angriffiger als heute

September 2019

Wem der derzeitige Wahlkampf zu schmutzig erscheint, der sei beruhigt: Früher war es noch schlimmer. In den 1950ern und 1960ern unterstellten sich die Großparteien auf Wahlplakaten gegenseitig Lüge, Betrug, Raub und Landesverrat, ein Slogan lautete schlicht: „Maul aufreißen allein genügt nicht.“ Die Innsbrucker Politikwissenschaftlerin Lore Hayek über Wahlstrategien vergangener Tage, aggressive Plakate – und einen Wandel in der Aufmerksamkeit.

Dieser Tage ist viel von einem schmutzigen Wahlkampf die Rede, Sie sagen allerdings, dass frühere Wahlkämpfe noch um einiges aggressiver geführt worden sind … 
Die Botschaften auf den Wahlplakaten und auf Wahlwerbesujets waren in den 1950er und 1960er Jahren viel angriffiger als die heutigen. Es gab damals wesentlich mehr Plakate mit negativen Botschaften, die Wahlkämpfe waren im Ton wesentlich rauer als die heutigen. Auf ÖVP-Plakaten hieß es etwa, die SPÖ verrate das Land an die Kommunisten, während die SPÖ ihrerseits plakatierte, dass die ÖVP Volksvermögen verschachere. Es wurde auf beiden Seiten mit Begriffen wie „Lüge“ und „Betrug“ geworben; Sprache und Bildsprache waren extrem aggressiv, viel angriffiger als heute. Beide wollten nicht nur eigene Vorzüge auf den Plakaten anpreisen, sondern die Bevölkerung auch davor warnen, was denn alles Schreckliche passieren werde, wenn man die falsche Partei wähle.

Warum waren frühere Kampagnen noch negativer als die heutigen?
Das ist auch der Situation nach dem Krieg geschuldet. Im Österreich der Nachkriegszeit war es ein Kampf der Ideologien zwischen beiden Parteien, zwischen den Schwarzen und den Roten, den einzigen relevanten Parteien dieser Zeit. Es ging damals nur um die Frage, welche der beiden Großparteien nach der Wahl den Bundeskanzler stellen und welche Ideologie sich damit durchsetzen wird. In den Auseinandersetzungen war es also sowohl für ÖVP als auch SPÖ entscheidend, die eigenen Vorzüge dar- und den Gegner bloßzustellen. Mit den Plakaten wollten beide für Aufmerksamkeit sorgen und gleichzeitig den Gegner reizen und damit auch zu einer Reaktion zwingen. 

Und das lässt sich mit negativen Botschaften eher erreichen?
Parteien verwendeten – und verwenden – negative Botschaften, um Aufmerksamkeit zu erregen. So funktioniert Kommunikation insgesamt, nicht nur die politische. Ein US-amerikanischer Wahlkampfberater hat einmal sarkastisch angemerkt, wenn ein Politiker auf einem Rednerpult einen entscheidenden Durchbruch in einer Sache verkünde, beim Abgang aber stolpere und von der Bühne falle, dann werde in den Medien nichts mehr von dem Durchbruch stehen, sondern nur noch, dass der Politiker von der Bühne gefallen sei. Negative Ereignisse funktionieren in der Berichterstattung weit besser als positive. Sie erregen mehr Aufmerksamkeit und erzeugen mehr Reibung. 

Ein gutes Plakat ist eines, über das die Menschen reden. Haben die Menschen den Plakaten damals mehr Aufmerksamkeit geschenkt – und sich auch beeinflussen lassen?
Man weiß, dass die Verweildauer früher wesentlich höher war. Die Menschen verbrachten mehr Zeit damit, sich ein Plakat anzusehen, egal, ob es sich nun um ein politisches Plakat oder ein anderes handelte. Das hängt damit zusammen, dass die Menschen damals auch mehr Zeit hatten, sich Plakate anzuschauen; man sieht ja auch, dass auf den alten Plakaten mehr Text geschrieben stand, es waren detailverliebtere Illustrationen zu sehen. Die Plakate, über die man spricht, erfüllen ihren Zweck; die wirken nicht nur an jenem Ort, an dem sie stehen; die wirken auch darüber hinaus – am Stammtisch, im Wohnzimmer, überall, wo man darüber spricht. Allerdings galt damals, was auch heute gilt: Es lassen sich nur äußerst wenige Menschen von einem Plakat in ihrer Wahlentscheidung beeinflussen. Plakate haben allerdings einen Mobilisierungseffekt, sie sind ein Signal, dass man präsent ist und zur Wahl antritt. Ich vergleiche Wahlplakate manchmal ganz gerne mit Weihnachtsbeleuchtung. Die Plakate kündigen die Wahl an, sollen die Aufmerksamkeit darauf lenken. Es ist mitunter ja erschreckend, wie viele Leute gar nicht wissen, dass eine Wahl ansteht …
Sie haben ihre Dissertation dem Thema „Plakatwerbung in österreichischen Nationalratswahlkämpfen 1945 – 2013“ gewidmet, haben Sie im Zuge Ihrer Recherchen auch amüsante Wahlplakate aus alten Zeiten gefunden?
Ja, ganz viele. Ein Beispiel aus dem Jahr 1956: Die SPÖ bewarb ihren Kandidaten Bruno Pittermann mit den Worten: „Jedermann für Pittermann. Pittermann für jedermann“. Die ÖVP dichtete zurück: „Wählt jedermann den Pittermann, wird’s bitter dann für jedermann.“ Gerade dieses Beispiel zeigt auch einen Unterschied zur heutigen Zeit: Heute beauftragen die Parteien Agenturen, die erste und zweite Plakatwellen produzieren und affichieren, damals reagierte die eine Partei mit Plakaten auf die Plakate der anderen Partei. Den früheren Umgang mit Plakaten könnte man mit Social-Media-Postings von heute vergleichen.

Was unterscheidet „dirty campaining“ von den Negativ-Kampagnen früherer Tage? 
Dirty campaining geht noch weiter, es umfasst auch das Privatleben der Kandidaten, da geht es um persönliche Ver­unglimpfungen, etwa um Alkohol-, Drogen- und Sexgeschichten. Das hat es früher nicht gegeben, da war die Grenze zwischen Privatem und Politischem noch mehr respektiert und klarer gezogen worden. 

Der aktuellste Wahlkampf wird von den Menschen immer als der schmutzigste wahrgenommen, warum wird das so empfunden?
Was zuletzt passiert ist, bleibt am präsentesten. Deswegen wird der aktuelle Wahlkampf stets als der angriffigste empfunden. Wir erinnern uns beispielsweise noch an den 2017er Wahlkampf, aber nicht mehr daran, wie etwa Jörg Haider wahlgekämpft hatte. Aber wie gesagt: Frühere Wahlkämpfe waren im Ton wesentlich rauer, die Wahlplakate waren viel angriffiger als heute.

Vielen Dank für das Gespräch!

 

 

 

Zur Person 

Lore Hayek ist seit April 2017 Universitätsassistentin am Institut für Politikwissenschaft der Universität Innsbruck. Die Tirolerin dissertierte zum Thema „Design politischer Parteien – Plakatwerbung in österreichischen Nationalratswahlkämpfen 1945 – 2013“.

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