Luisa Fohn

(© Luisa Fohn)

„Wir hatten nie ein faktisches Zeitalter“

November 2018

Ingrid Brodnig (34), warnt in ihrem aktuellen Buch „Lügen im Netz. Wie Fake News, Populisten und unkontrollierte Technik uns manipulieren“ vor der Gefahr, gezielt von Falschmeldungen getäuscht zu werden. Im Interview mit „Thema Vorarlberg“ sagt die digitale Botschafterin Österreichs in der EU unter anderem: „Eine Falschmeldung emotionalisiert, wohingegen die Realität oft langweilig ist.“

Vielfach heißt es, wir würden in einem „postfaktischen Zeitalter“ leben … In Ihrem Buch kritisieren Sie diesen Glauben allerdings. 

Das ist ein sehr wichtiger Punkt. Häufig kommt ja die Frage auf, wie wir Fake News, also irreführende Meldungen, verhindern können. Ich glaube, diese Frage ist falsch. Es gab nie eine Gesellschaft ohne Falschmeldungen. Es gab immer falsche Gerüchte, auch lange vor dem Internet. Es gab auch immer politische Lügen, aber es gibt Zeiten, in denen die politische Debatte vielleicht eine Spur weniger erhitzt ist. Ich mag an dem Begriff „postfaktisches Zeitalter“ nicht, dass er so klingt, als ob früher nur die Wahrheit geherrscht hätte. Das ist Unsinn. Der Irakkrieg wurde zum Beispiel aufgrund von einer falschen Behauptung von George W. Bush gestartet. Wir hatten nie ein faktisches Zeitalter. Wir Menschen waren schon immer anfällig für Falschmeldungen. Das Internet eignet sich nur leider extrem gut dazu, solche Falschmeldungen zu verbreiten, weil kein journalistischer Filter dabei ist. Früher wurden Falschmeldungen oft deswegen nicht veröffentlicht, weil ein Journalist nachrecherchiert hat und gesagt hat: „Achtung, das ist Unsinn!“

Den Begriff Fake News können viele schon nicht mehr hören. Auf Ihrem Blog verteidigen Sie aber das Wort. Warum?

Weil der Begriff ein problematisches Phänomen benennt: Komplett erfundene Geschichten, die im Internet aber sehr erfolgreich sind. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Es gab in Deutschland eine Meldung, wonach Flüchtlinge 700 Euro Weihnachtsgeld vom Staat bekämen. Das war die erfolgreichste Meldung über Flüchtlinge im Jahr 2017 auf Facebook. Dabei war das komplett erfunden. Ich verstehe aber, dass Menschen den Begriff schwierig finden, weil er auch missbraucht wird. Weil zum Beispiel Politiker, die im Unrecht sind, berechtigte Vorwürfe mitunter als Fake News bezeichnen. Donald Trump ist natürlich das extremste Beispiel. Aber es gibt auch im deutschen Sprachraum Politiker, die Meldungen unliebsamer Medien als Fake News beschreiben. Die zweite große Schwäche des Begriffs Fake News ist, dass er zu inflationär verwendet wird – auch für Geschichten, die nicht komplett erfunden, sondern halbwahr sind. Und dafür ist Fake News ein zu ungenauer Begriff.

Falschmeldungen waren bei uns hauptsächlich in den Jahren 2016 und 2017 in den Medien – es scheint, als ob die Debatte ein bisschen abgekühlt ist in Österreich. 

Das würde ich ein bisschen anders formulieren. Wahlen bringen das Schlimmste hervor, im Moment haben wir allerdings keine relevante Wahl in Österreich. Während der Bundespräsidentschaftswahl im Jahr 2016 wurde in meinen Augen besonders viel Falsches verbreitet. Was Falschmeldungen betrifft, ist es damals übel zugegangen. 2017 wiederum hatten wir mit unseriösen Seiten zu kämpfen, die sich hinter der Anonymität versteckten und Schmutzwäsche wuschen. Dass die Situation jetzt harmloser wirkt, liegt meiner Meinung nach daran, dass gerade keine Wahlen vor der Tür stehen. Die Frage ist, was zur Europawahl 2019 passieren wird. Da könnte wieder Falsches verbreitet werden, aber ich glaube, es sind vor allem die polarisierten Wahlen im Inland, die das Schlimmste zu Tage bringen.

Warum gibt es Leute, die Fake News Glauben schenken?

Das Kernproblem ist, dass jeder von uns das glauben möchte, was ihm gut ins Konzept passt. Das nennt sich zielgerichtetes motiviertes Denken. Wenn ich total gegen Flüchtlinge bin, dann werde ich eine Schlagzeile, die negatives Licht auf Flüchtlinge wirft, eher glauben als eine positive, und umgekehrt. Wir Menschen sind so gepolt, dass wir eine Information, die uns ins Konzept passt, weniger hinterfragen. Das heißt, Falschmeldungen kommen immer bei der Zielgruppe an, auf die sie ausgerichtet sind. Das ist das eine. Wir Menschen wollen Dinge glauben, die unserem Weltbild entsprechen. Das zweite wichtige ist, dass Falschmeldungen leider stärker emotionalisieren.

Welche Emotionen lösen sie aus?

Gerade im politischen Bereich ist es großteils die Wut. Wut ist ein Klickmotor; Wut bringt Menschen dazu, zu klicken. Im Englischen kann man auch sagen: „Angry people klick more“. Falschmeldungen schüren beispielsweise die Wut auf Minderheiten oder auf den politischen Gegner; Angesprochene sind derart emotionalisiert, dass sie erst gar nicht über den Wahrheitsgehalt der betreffenden Meldung nachdenken. Eine Falschmeldung emotionalisiert, wohingegen die Realität oft langweilig ist. Die Realität ist oft kompliziert und nicht so emotional. Das macht die Aufklärung von Fake News schwieriger. 

Sie sprechen in Ihrem Buch darüber, wieso Falschmeldungen so gut wirken, und nennen dabei das sogenannte „Hebbian Learning“.

Genau. Ein weiteres Problem ist, dass Falschmeldungen über die Wiederholung funktionieren. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Ich habe einmal eine österreichische Bürgerin interviewt, die sehr freundlich und gebildet war, die aber im Internet viele unseriöse Seiten liest. Sie hat zu mir gesagt, sie habe schon so oft arge Sachen über Schweden gelesen, dass sie sich fragt, wie schlimm die Situation in Schweden ist. Sie habe gelesen, in Schweden würden sich blonde Frauen die Haare schwarz färben, aus Angst, vergewaltigt zu werden. Das ist natürlich eine Falschmeldung. Aber warum sind Bürger durch so etwas verunsichert? „Hebbian Learning“ ist der Vorgang im Gehirn, der das erklärt. Wenn ich Begriffe oder Informationen öfters gemeinsam höre, also zum Beispiel Schweden und Massenunruhen, dann wird zwischen diesen Begriffen eine Verbindung aus Neuronen in meinem Gehirn gebildet. Auf einmal klingt es nachvollziehbar, wenn es heißt, dass Bürgerkrieg in Schweden ausgebrochen sei. Wenn ich öfter eine Falschmeldung höre, wird diese für mich plausibler klingen, weil die Information in meinem Gehirn schon abgespeichert ist – man hat das ja schon so oft gehört. Ganz nach dem Motto: Wo Rauch ist, ist da nicht auch Feuer? All die Erkenntnisse aus der Wissenschaft legen nahe: Wir werden es nie schaffen, dass 100 Prozent der Bevölkerung null Prozent Falschmeldungen glauben. Nur können wir schon daran arbeiten, jene Bürger stärker zu erreichen, die noch keine vorgefertigte Meinung haben. 

Vielen Dank für das Gespräch!

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