Karin Müller-Vögel

48, ist zuständig für die Öffentlichkeitsarbeit bei der Landwirtschaftskammer Vorarlberg und nebenbei aktiv für die Waldschule Bodensee mit Focus „Wald und Gesundheit“. Studium der Theater-, Film- und Medienwissenschaft; Publizistik- und Kommunikationswissenschaft.

Wunderbare Kulturland[wirt]schaft

September 2021

Vom Aussiedeln, Besiedeln, Streiten und Kooperieren.

Ihr könnt ja Euren Aussiedlerhof unter eine Käseglocke stellen“, hieß es aus dem Internet, anonymisiert, da schreibt es sich leichter. „Arbeite doch einmal mit, anstatt quer durch unsere Felder zu biken“, …
Manchmal muss es donnern und blitzen, müssen Standpunkte ausgetauscht werden, um ein gemeinsames Ziel zu sehen. Es könnte lauten: Die Erhaltung einer funktionsfähigen Landwirtschaft als wesentlichen Baustein für die Lebensqualität eines Landes, damit verbunden die Sicherung der Versorgung mit hochwertigen, regionalen Lebensmitteln, die Erhaltung eines wichtigen Teiles der österreichischen Kultur und die Unterstützung derjenigen, die die Landschaft pflegen und seit Jahrhunderten maßgeblich das Landschaftsbild prägen, durch das die „modernen“ Menschen inzwischen so gerne wandern, Rad fahren oder auch dort verweilen.
In den meisten Fällen jedoch gehen die Begegnungen gut aus. Nicht wenige Angebote an „Ausflügler“ und Urlauber haben ihren Ursprung auf einem landwirtschaftlichen Betrieb. Von der einfachen Jausenstation zur hochwertigen Hüttengastronomie, von der bewirteten Alpe bis zum „Urlaub auf dem Bauernhof“.

Der Run auf die Kulturlandschaft, und was ist eigentlich ein „Aussiedlerhof“?

Die Menschen zieht es in die Natur. Dort treffen sie auf diejenigen, die vor Jahrzehnten aus den Ortskernen ausgesiedelt sind, also auf die Bewirtschafter der landwirtschaftlichen Betriebe, die sich mit einem neuen Standort, ihren „Aussiedlerhöfen“, wieder mehr Platz zum Wirtschaften verschafft haben. Das Phänomen Aussiedlerhof ist vor allen aus Gebieten bekannt, die sich dynamisch entwickelt und wo neue Erwerbsmöglichkeiten zu starkem Bevölkerungswachstum geführt haben. Die Höfe siedelten hinaus aus den immer enger werdenden Ortskernen und damit auch weiter weg von den Menschen, die die landwirtschaftliche Produktion nicht mehr aus erster Hand kennen. 
Aktuelle Entwicklungen bringen die Menschen wieder in die Landschaft und damit auch näher zu den Höfen. Als Tagesausflügler, als Urlauber, inzwischen auch wieder als Nachbarn und – mit teils verklärtem Blick auf den „Sehnsuchtsort“ Bauernhof – als Aussteiger mit dem Wunsch, der Natur näher zu sein, aus dem Hamsterrad auszusteigen und die Nahrungsmittel wieder selbst zu produzieren. Es zeigt sich ein größer werdendes Interesse an Produktionsweisen, an regionalen Produkten, die sozusagen ums Eck wachsen und keine langen Transportwege „mit im Gepäck haben“ und daran, wie es den Tieren auf den Höfen geht. Da könnte das Rindfleisch vom Nachbarbauern, dessen Tiere auf den Weiden ein gutes Leben haben, irgendwann interessanter werden, als das T-Bone- Steak aus Übersee. Ebenfalls zeigt sich – auch bei den Jüngeren – eine Offenheit mitzuarbeiten, Zäune für die Weidetiere aufzustellen, einen Sommer auf der Alpe zu verbringen, Nahrungsproduktion wieder unmittelbar zu erleben oder im Wald zu arbeiten, sprich mit den Händen etwas zu schaffen und am Ende des Tages ein konkretes Ergebnis zu sehen. Der Wunsch zu erfahren, was bäuerliche Lebensmittelproduktion eigentlich heißt und wie regionale Lebensmittel verarbeitet und zu hochwertigen Speisen verkocht werden, ist spürbar. Das gilt auch für altes Kräuterwissen, für überlieferte und moderne Arbeitstechniken oder für die Besonderheiten in der umgebenden Natur. Dieses Wissen gibt es bei den Menschen auf den landwirtschaftlichen Betrieben. Sie entwickeln es seit Jahrhunderten weiter und sie sind diejenigen, die draußen auf den Flächen zu allen Jahreszeiten aktiv sind. Wer wenn nicht sie könnten diese Themen authentisch vermitteln? Inzwischen ist, auch mit Unterstützung des LFI (dem Ländlichen Fortbildungsinstitut der Landwirtschaftskammer) eine große Vielfalt an Angeboten entstanden – für Interessierte, für Schulen, Unternehmen und Gäste. Auch zum einmal Ausprobieren, was Wirtschaften auf einem Hof bedeutet. Vielfach sind es die Bäuerinnen, die den Dialog mit der Gesellschaft pflegen und mit „Schule am Bauernhof“, „Urlaub am Bauernhof“, „Green Care“ und vielen weiteren Angeboten – vom Waldbaden bis zum Verarbeitungsseminar – eine große Themenvielfalt schaffen. 

Was macht ein Schäfer auf der Skipiste und wie ging das noch einmal mit der Offenhaltung der Landschaft?

Ende Juli wanderte Schäfer Simon mit seinen 900 Schafen durch das Fernsehformat Universum und erklärte den Vorteil vom Einsatz der Schafe zur Pflege von Skipisten. Ja richtig gelesen, auch Skipisten müssen im Sommer gepflegt werden und das macht – in diesem Fall im Dachsteingebiet – das Schaf. Es schneidet vorne das Gras, befestigt mit seinen Klauen den Boden und hinten hat es noch den automatischen Düngeauswurf. Am Ende gibt es mit dem Lammfleisch ein hochwertiges Produkt inklusive – neben Rind, Ziege und Wild die einzige Tierart, die das Grasland in hochwertige Nahrungsmittel umwandelt. Das wirft ein zusätzliches Licht auf Wolfsansiedlung und Umgang mit Problemwölfen. „Kommt der Wolf, geht der Bauer“ – heißt es inzwischen vielerorts und würde bedeuten – wie in Salzburg und Tirol diesen Sommer geschehen, dass die Schafherden verfrüht von den Alpen abgetrieben werden, da sie nicht mehr entsprechend geschützt werden können. Ein Verlust für unsere Kulturlandschaft, denn jede Alpfläche ist zugleich Kulturfläche. Es hat viele Jahrhunderte gedauert, um diese Flächen zu schaffen, aber nur wenige, bis sie wieder zuwachsen. Ohne Bewirtschaftung würden sie rasch verbuschen und auch die Biodiversität würde darunter leiden. 

Die Alpen als touristische Sehnsuchtsorte

Der von Klein- und Mittelbetrieben geprägte Vorarlberger Tourismus zieht Gäste an, die individuelle Angebote schätzen. Sie interessieren sich für Land und Leute, die Alltagskultur, die Menschen und für die Geschichte des Ortes selbst. Die besonderen Fähigkeiten und Kompetenzen, die sich in Vorarlberg entwickelt haben, sind anziehend und für Gäste attraktiv. Auch jene aus der bäuerlichen Lebenswelt. Nachhaltigkeit, Regionalität, Gastfreundschaft und die persönlichen Kontakte gewinnen für die Reiseentscheidung an Bedeutung. Darauf setzt der Tourismus, indem er für die Produktentwicklung aus dem schöpft, was da ist.
Vor der Pandemie verbrachten rund 2,5 Millionen Gäste ihren Urlaub in Vorarlberg. Eine im Jahr 2020 von T-Mona (Tourismus Monitor Austria)* durchgeführte Befragung hat ergeben, dass die Berge (70 Prozent), das Angebot an Wanderwegen (54 Prozent) und die reizvollen Natur- und Landschaftserlebnisse (45 Prozent) als die drei wichtigsten Gründe für den Vorarlberg-Urlaub angegeben wurden. Das Landschaftsbild Vorarlbergs ist von Land- und Alpwirtschaft geprägt. 50 Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche sind Alpen und Bergmähder und rund sechzig Prozent davon touristisch genutzt. Landwirtschaftliche Betriebe kultivieren die eindrucksvolle Kulturlandschaft, stellen einzigartige regionale Lebensmittel her – der Vorarlberger Bergkäse als prominentestes Beispiel ist inzwischen weit über die Grenzen hinaus bekannt – und bewirten Wanderer und Mountainbiker. Die Pflege und Erhaltung ist eine wichtige Schnittstelle zwischen Landwirtschaft und Tourismus, sie stellt für touristische Angebote eine einzigartige Kulturlandschaft bereit, klimafreundlich und gesundheitsfördernd, mit persönlichen Kontakten und den besonderen Geschichten, die die bäuerliche Kultur erzählt. Das spiegelt sich auch am anhaltend großen Interesse an den derzeit 300 „Urlaub am Bauernhof“-Betrieben, mit trotz schwieriger Bedingungen beeindruckenden 199.443 Nächtigungen für Winter 2019/2020 und Sommer 2020. 

Dieser Traktor ist mir zu langsam – viele unterschiedliche Betriebsstrukturen bewirken eine große Vielfalt

Heidiland war nie – das Leben auf den kleinen landwirtschaftlichen Betrieben war oft hart und entbehrungsreich. Es ist auch heute nicht so einfach, hauptberuflich von der Landwirtschaft zu leben, da braucht es viel Einsatz und Herzblut. Billigimporte tun ihr eigenes dazu. Die Entscheidung der Konsumenten ist nicht immer nachvollziehbar, die Kennzeichnung von Produkten teilweise undurchschaubar. Abhilfe schafft das Ländle Gütesiegel, das Regionalität, hohe Qualität und viel Tierwohl garantiert, wie beispielsweise beim „Ländle Alpschwein“, das von 28. August bis zum 18. September im Handel erhältlich ist. Es lohnt auch immer ein Abstecher auf den Bauernmarkt, wenn es um die Entscheidung für regionale Produkte geht, oder zu den inzwischen vielzähligen Direktvermarktern, die neben den Hofläden teils auch mit Selbstbedienungsautomaten ausgestattet sind. Einblick in die landwirtschaftlichen Betriebe inklusive. Die moderne Landwirtschaft zeigt eine große Vielfalt an Betriebsstrukturen – vom kleinen Nebenerwerbs- zum innovativen Green-Care-Betrieb, vom Seminarbauernhof bis zum Vollerwerb. Allen gemeinsam ist, dass sie auch ein wichtiger Wirtschaftsfaktor sind. Es braucht Ställe, Maschinen und Maschinenhallen, Hofläden und Verarbeitungsräume. Für die „Urlaub am Bauernhof“-Betriebe Umbauten und vieles mehr. Wertschöpfung, die im Land und dem Land erhalten bleibt.

Weitere Informationen

bei der Landwirtschaftskammer Vorarlberg unter https://vbg.lko.at/ 

Den Ländle-Einkaufsführer, Informationen zum Ländle Gütesiegel und die Termine zu den Bauernmärkten gibt es unter www.laendle.at

Informationen zu Urlaub am Bauernhof und dem Angebot der Bäuerinnen unter www.baeuerinnen.at bzw. www.urlaubambauernhof.at/vorarlberg

 

* ein gemeinsames Marktforschungsprojekt der Landestourismusorganisationen und der Österreich Werbung.

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