Helmut Burtscher-Schaden

Die Akte Glyphosat

Juli 2018

Im Jahr 1976 erschütterte ein Skandal die USA: Es wurde publik, dass das zu dieser Zeit größte private Prüfinstitut für Industriechemikalien in den USA, die „Industrial Biotest Laboratories“ (IBT) in Minnesota, über Jahre hinweg systematisch Studien gefälscht und damit Zulassungsbehörden getäuscht hatte. In 22.000 IBT-Studien waren Hunderte Chemikalien als sicher eingestuft – und als Bestandteil von Tausenden Alltagsprodukten für den Markt zugelassen worden. Medien sprachen vom größten Fall wissenschaftlichen Betrugs in der US-Geschichte, betroffen waren Medikamente, Körperpflegeprodukte, Pestizide. Vor allem Pestizide. Nichts sei mehr sicher, hieß es damals.

Das Labor in Minnesota wurde geschlossen. Und es wurde verfügt, dass Hersteller, deren Produkte auf Basis solcher Fake-Studien zugelassen worden waren, diese Studien wiederholen mussten. Das traf auch Monsanto, jenen Konzern, der 1974 mit „Roundup“ das erste glyphosathaltige Unkrautvernichtungsmittel auf den US-Markt gebracht hatte – auf Basis einst von den IBT erstellten Krebsstudien. Unbrauchbar seien diese, urteilten die Behörden. Also musste Monsanto erneut ein Vertragslabor mit der Erstellung einer Ratten- und einer Mäusestudie zu Glyphosat beauftragen.
Beide Studien – sie blieben für die Öffentlichkeit unter Verschluss – waren vernichtend. So enthielt die 1981 vorgelegte Rattenstudie eindeutig signifikante Tumorbefunde, die in der staatlichen Bewertung allerdings „übersehen“ wurden. Bei der 1983 vorgelegten Mäusestudie machte die Behörde dagegen ihren Job richtig. Laut Studie waren drei von 50 Mäusen, die Glyphosat hochdosiert verabreicht bekamen, an einer für diese Tierart höchst seltenen Krebsform erkrankt. Die Behörde stufte das Mittel daraufhin als „möglicherweise für den Menschen krebserregend“ ein. Glyphosat, ursprünglich als Rohrreiniger konzipiert, stand damit ein knappes Jahrzehnt nach Markteinführung vor dem Aus.

Für Monsanto waren das katastrophale Nachrichten. Mit dieser Einstufung wäre maximal ein äußerst beschränkter, aber niemals ein flächendeckender Einsatz des Pestizids in der Landwirtschaft möglich gewesen. Forscher hatten in konzerneigenen Laboratorien aber bereits seit Jahren daran gearbeitet, Pflanzen mithilfe von Genmanipulation resistent gegen das eigene Unkrautvernichtungsmittel zu machen. Resistenzen in Mais oder Soja sollten die Behandlung mit Glyphosat in jedem beliebigen Pflanzenstadium ermöglichen. Die Nutzpflanze bliebe unbeschadet, jedes andere Unkraut würde vernichtet; ein Milliardengeschäft, ein unvorstellbarer Zukunftsmarkt. Doch um gegen die europäische Konkurrenz gewinnen zu können, die mit Ähnlichem experimentiere, brauchte Monsanto „unbedenkliches“ Glyphosat. Um jeden Preis, unbedingt.

Was tun? Zweifel schüren! Der Konzern beauftragte 1985 einen Pathologen, sich die Mäusestudie nochmals genauer anzusehen. Und dieser Experte fand, welch Zufall, angeblich einen Fehler, der die gesamte Studie als weniger beweiskräftig erscheinen ließ. Weitere von Monsanto beauftragte Wissenschaftler stützten rasch die neue Erkenntnis. Da nutzte es wenig, dass ein renommierter Pathologe der Umweltbehörde dagegenhielt, den angeblich entdeckten Fehler revidierte und die Studie bestätigte.

Denn der Konzern pflegte seit dem Vietnamkrieg – Monsanto hatte das Entlaubungsmittel Agent Orange geliefert – beste Verbindungen zu Behörden und Regierungsstellen, die Drehtüren zwischen der Konzernzentrale in St. Louis und den Schaltstellen der Macht in Washington sind Thema zahlreicher Bücher. Georg Bush, damals Vizepräsident, stattete den Monsanto-Laboratorien im Mai 1987 einen Besuch ab, ließ sich dort auch filmen. Im Video ist deutlich zu hören, wie Bush einem Monsanto-Oberen, der sich über die Zulassungs-Bürokratie beschwert, sagt: „Rufen Sie mich an, vielleicht können wir etwas für Sie tun.“

Zwei Beispiele für die Verbindungen zwischen dem Konzern und den Behörden: Der Mitbegründer der Umweltschutzbehörde EPA, der diese zweimal leitete, war zwischen seinen Amtszeiten Mitglied des Verwaltungsrates von Monsanto. Eine Juristin hatte zehn Jahre lang hohe Positionen bei der EPA besetzt, war dann „Vizepräsidentin für Regierungsangelegenheiten“ bei Monsanto, bevor sie wieder zur EPA zurückkehrte – und die Nummer zwei der US-Umweltbehörde wurde. Und so kam, was kommen musste. 1988 änderte die EPA die Krebseinstufung von Glyphosat: Von „möglicherweise krebserregend“ auf „nicht klassifiziert“. Monsanto musste zwar eine weitere Rattenstudie vorlegen, die wiederum mehrere auffällig eindeutige Befunde aufwies. Doch auch diese Befunde fielen unter den Tisch. 1991 stellte die EPA fest, es gebe nun genügend Beweise – für die Nicht-Karzinogität des Pestizids beim Menschen. Glyphosat war reingewaschen, Monsanto am Ziel.
Drei Wissenschaftler der Behörde verweigerten damals ihre Unterschrift, 15 stimmten zu. Eine der Unterschriften stammte von der Toxikologin Marion Copley. Später änderte sie ihre Meinung. An Krebs erkrankt, schrieb sie 2013 – kurz vor ihrem Tod – einem Kollegen, dass es „im Wesentlichen sicher ist, dass Glyphosat Krebs verursacht“, mit allen vorliegenden Beweisen müsse die Kategorie in „wahrscheinlich für den Menschen krebserregend“ geändert werden. Nachsatz: „Einmal in deinem Leben höre auf mich und spiele nicht deine fiesen politischen Spielchen mit der Wissenschaft, um die Hersteller zu bevorzugen. Tue einmal das Richtige und richte deine Entscheidungen nicht danach aus, wie sie sich auf deinen Bonus auswirken.“ Gerichtet war der Brief ab Jess Rowland – an jenen Mann, der bis 2016 federführend in der Neubewertung von Glyphosat durch die EPA tätig war. Wenig später tauchten Akten auf, die Rowland als Monsantos Maulwurf bei der US-Umweltbehörde darstellen.

Der 26. Juni 1991, der Tag, an dem die EPA Glyphosat als nicht krebserregend für den Menschen klassifizierte und damit reinwusch, war ein historischer für Monsanto: Überall auf der Welt folgten Zulassungsbehörden der Entscheidung und erklärten, das Pestizid sei harmlos für Mensch und Tier. Glyphosat wurde zum weltweit meistverkauften und eingesetzten Pestizidwirkstoff. Dank des flächendeckenden Einsatzes lässt sich Glyphosat heute im Urin nahezu aller Europäer nachweisen.

 

Der Artikel basiert auf einem Vortrag von Helmut Burtscher-Schaden (in der Stadtbücherei Bregenz-Vorkloster) und auf Burtscher-Schadens Buch „Die Akte Glyphosat“, zusammengefasst von Andreas Dünser. Weiterlesen! Helmut Burtscher­-Schaden. Die Akte Glyphosat. Wie Konzerne die Schwächen des Systems nutzen und damit unsere Gesundheit gefährden. Kremayr & Scheriau, Wien 2017.

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